Kohl und die Mär der Spender

Schwarze Kassen Die Spender der Schwarzgeldaffäre der 1990er Jahre sind bloße Erfindung. Helmut Kohl hat sich offenbar das langfristig bessere Narrativ einfallen lassen
Ausgabe 35/2015
Der bessere Märchenonkel: Helmut Kohl (links) mit Wolfgang Schäuble 1998
Der bessere Märchenonkel: Helmut Kohl (links) mit Wolfgang Schäuble 1998

Foto: Sepp Spiegl/Imago

Jetzt erst, spät, im Grummelton alter Männer, erzählt Wolfgang Schäuble einem Reporter fürs Fernsehen, dass es in den 1990er Jahren Spender, die Helmut Kohl mit Geld für die CDU versorgten, überhaupt nicht gegeben habe. Das illegal aufgebrachte Geld stamme wohl aus einer älteren, zum Flick-Skandal gehörenden Quelle. Um das nicht eingestehen zu müssen, habe Kohl die Spender und das auf deren Bitte hin gegebene Versprechen erfunden, ihre Namen nicht zu nennen. Schwarze Kassen!

Das ist ein Thema, für das man bei der CDU weiter ausholen muss. Es war 1956 in Köln, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer vor Industrie-Bossen im Festsaal des Gürzenich seinem überaus populären und erfolgreichen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in den Rücken fiel, indem er den dort gegen ihn erhobenen Vorwürfen in seiner Rede mehrfach recht gab. Die Aufregung im Land war groß. Für den Tag darauf hatte der Kanzler eine Sondersitzung des Kabinetts angesetzt. Abends. Hier nun weist Adenauer die Runde darauf hin, dass im nächsten Jahr Bundestagswahlen stattfinden. Die sind kostspielig. Die CDU braucht Geld. Adenauer: „Wer soll denn dat Jeld jeben, wenn es die Industrie nich tut? Können Sie es etwa bezahlen, Herr Erhard? Haben Sie dat Jeld vielleicht mit? Dann lejen Sie es hier auf den Tisch, dann will ich Unrecht haben. (Pause). Se haben es also nich! Dann seien Se doch heilfroh, meine Herren, dat ich die Anjelejenheit mit der Industrie wieder so leidlich in Ordnung jebracht habe.“ In dieser Weise ging es zu vor 60 Jahren. Da muss die Merkel noch viel lernen.

In der Flick-Affäre hatte ein Industrie-Imperium fast alle Bundestagsparteien bestochen, um eine Möglichkeit zur speziellen Senkung der Erbschaftsteuer zu erwirken. Im Zuge der Aufklärung dieser Sache hatte Kohl in einem Untersuchungsauschuss die Unwahrheit gesagt, war aber durch CDU-Generalsekretär Heiner Geißler mit dem Hinweis gerettet worden, der Kanzler habe da wohl einen Blackout gehabt. Wahrscheinlich hat Kohl ihm diese Rettungstat nie verziehen. Aber der Bruch mit ihm kam viel später.

Der Bruch mit Schäuble kam, als der Kohl-Nachfolger im Amt des CDU-Vorsitzenden selbst von seiner Spenden-Geschichte (mit einem Waffen-Lobbyisten) eingeholt wurde und dazu im Bundestag eine falsche Aussage machte. Schäuble verlor den Parteivorsitz an Angela Merkel. Aber damit war die Sache auch erledigt. Er wurde 2005 Innenminister, 2009 Finanzminister und gilt heute als der große alte Mann der Union. Wenn die Griechenlandkrise so weitergeht, wird demnächst die Heiligsprechung kaum aufzuhalten sein.

Kohl schien zunächst tiefer zu stürzen. Er verlor den Ehrenvorsitz in der CDU. Er brachte die 600.000 D-Mark Strafe für den Spendenskandal auf, was ihm mithilfe neuer Spender gelang. Aus der SPD heraus wurde ihm der Gefallen getan, die neuen Spender zu verunglimpfen, was die Plausibilität des Geheimhaltungsversprechens an die alten erhöhte und dessen Wahrung in das goldene Licht der Legende rückte.

Kohl hatte dabei zwar etliche Freunde verloren, alte Kampfgefährten, und es waren mehrere Wellen rechtssstaatliche Entrüstung über ihn hinweggerauscht, es hatten sich Leute empört, bei denen man das nicht vermutet hatte, aber je mehr Zeit verstrich, umso weniger schien das Ansehen des Altkanzlers gelitten zu haben. Und das hatte wohl nicht nur mit der Wiedervereinigung zu tun. Kohl hatte für seine Verfehlung einfach – um einen modischen Ausdruck zu gebrachen – das bessere Narrativ gewählt. Er hatte eine Geschichte erzählt, von der er, der gelernte Historiker, wusste, dass sie irgendwann die schönere sein würde: Er hatte seine Kumpels nicht verraten, sein Versprechen nicht gebrochen. Da konnte der Advokat Schäuble nicht mit. Und das schabt ihn bis heute.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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