Untergang der Titanic: Was RTLs Ausverkauf bei Gruner + Jahr für Hamburg bedeutet

Meinung Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe hat dem einst stolzen Verlagshaus Gruner + Jahr den Todesstoß versetzt. Die Jungen, Kreativen und Flexiblen werden ihr Glück jetzt eher in Berlin versuchen
Ausgabe 07/2023
Verlagshaus von Gruner + Jahr am Baumwall in Hamburg (Archivbild)
Verlagshaus von Gruner + Jahr am Baumwall in Hamburg (Archivbild)

Foto: Lars Berg/Imago Images

Überraschend kam das alles nicht. Wer in den letzten Monaten in Hamburg durch die verwinkelten Gänge des Verlagsgebäudes von Gruner + Jahr lief, an dem inzwischen die Buchstaben RTL prangen, traf dort nur wenige Kolleg:innen. Nicht nur, weil viele im Homeoffice arbeiten. Das an einen großen Dampfer erinnernde Haus am Hamburger Hafen ist längst zu groß für die ständig schrumpfenden Redaktionen. Einige Magazine wurden zuletzt von nur zwei, oder drei Redakteur:innen produziert, unterstützt von freien Mitarbeiter:innen und Praktikant:innen. Feste Schreibtische gibt es in den papierlosen Büros schon seit einem Jahr nicht mehr. Wer trotzdem im Verlag arbeiten möchte – etwa um in der eigenen Wohnung Strom und Heizkosten zu sparen – muss sich über das Buchungssystem täglich einen neuen Platz suchen. Wo einst aufwändig recherchierte Reportagen entstanden, geht es seit der Fusion mit RTL vor allem um ordentlichen Profit und um „Synergien zwischen Print und TV“. Doch wie so etwas genau aussehen soll, das wusste keiner.

Am Dienstag, dem 7. Februar 2023, versetzte Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe dem einst stolzen Verlagshaus Gruner + Jahr den Todesstoß: 23 Magazine werden eingestellt, 13 weitere verkauft, 700 Stellen gestrichen. Betroffen sind allerdings deutlich mehr Menschen, wegen der zahlreichen Teilzeitkräfte, darunter viele alleinerziehende Mütter. Aber auch das schon länger prekär arbeitende Söldnerheer der freien Journalist:innen, die den Laden am Laufen halten.

„Nun setzt Bertelsmann also ein kleines Dorf vor die Tür“, seufzte die SZ treffend vergangene Woche. Und der Hamburger Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda erklärte, man hätte „kreativer mit den Herausforderungen umgehen können und müssen, vor denen das Unternehmen und die Branche stehen“. Was Politiker in solchen Situationen eben sagen, doch unrecht hat er keinesfalls: Der mit einem blauen Auge davongekommene Stern lässt sich bis heute nicht auf dem iPad lesen. Mit den anderen G+J-Magazinen ist es ähnlich.

Hamburg war der journalistische Nabel der alten BRD

Gedruckte Magazine sind heute eher ein Luxusartikel. Ältere Journalist:innen und Leser:innen träumten immer noch von den goldenen Zeiten, als Hamburg der journalistische Nabel der alten Bundesrepublik war. Selbst in den Neunzigern leistete sich der Jahreszeiten Verlag noch innovative Blätter wie Tempo oder Die Woche, wo gute Reportagen auch mal was kosten durften – so wie beim Stern.

Und jetzt? Nach der ersten Empörung, einer Demo vorm Hamburger Rathaus und zahlreichen Berichten auf den Medienseiten der Tagespresse, macht sich eine schleichende Depression breit. Große Visionen hat hier keiner mehr. „Bohrinsel“, nannte ein Kollege die Medienlandschaft an der Elbe schon vor Jahren. Weil man hier nach Tiefschlägen eher in die Hände spuckt und weitermacht, als auf die Straße zu gehen und sich zu beschweren. Ein ebenfalls beliebter Spruch: „Taschentücher gibt’s in der Küche!“ Wer ohne auskommt und eine neue Plattform sucht, wird jetzt vielleicht beim als uncool und verstaubt geltenden Bauer Verlag anklopfen. Oder bei Klambt, der Funke Mediengruppe oder dem, was vom Jahreszeiten Verlag übrig blieb. Man darf davon ausgehen, dass alle mitgeboten haben, beim großen Schlussverkauf von RTL. Und vielleicht landen ja auch ein paar der demnächst arbeitslosen Kolleg:innen bei Spiegel und Zeit, wo der Gürtel aber gerade ebenfalls enger geschnallt wird.

Die Jungen, Kreativen und Flexiblen werden ihr Glück wohl eher in Berlin versuchen – so, wie es vor 20 Jahren die Musikbranche vorgemacht hat. Alles eine Spur kleiner, digitaler, selbstausbeuterischer. Etwas Besseres als den Tod, heißt es, findet man überall.

Jürgen Ziemer ist freier Journalist und lebt in Hamburg. Von den Magazinen, für die er zuletzt gearbeitet hat, wurden zwei eingestellt und eines verkauft

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