Zeig mir das Land der geheimen Namen

#autorenleben Die Selfpublisherwelt riecht ein bisschen nach Selbstoptimierung und Lebensverbesserung
Ausgabe 41/2018

Während wir den menschenleeren Jaden Boulevard hinunterschlendern, sagt Pen-Q zu mir: „Das Internet ist eine Welt unendlichen Reichtums. Komm in den verzauberten Garten und schau!“ Pen bleibt urplötzlich an einem längst verlassenen Asia-Imbiss stehen und schnipst rhythmisch mit den Fingern. „Mach mit, dann klappt es!“

Ich kann immer noch nicht glauben, wohin es mich in den letzten Wochen verschlagen hat. Bonn, Wien, Maryland sind die Stationen, und jetzt stehe ich mit einem Halbblutwesen (halb Mensch, halb Stift) in der amerikanischen Provinz und soll versuchen, mit Fingerschnipsen ein Portal in die verzauberte Selfpublisherwelt zu öffnen. Grimmig blicke ich Pen an. Es hat mich schon immer gestört, rhythmisch zu klatschen. Mein hartes Gesicht löst sich erst, als aus der verrotteten Speisekarte des Asia-Ladens eine feine Melodie erklingt, und ich mache widerwillig und dann immer williger bei dem rhythmischen Schnipsen mit.

Der Rhyme muss auch fett sein, sagt Pen noch, nicht nur Rhythm ist ein Dancer, als ein Kristallstaubsauger beginnt, uns in die Welt des neuen Schreibens zu portieren. Kein Verlag, der deine Wünsche jäh zerstört, du brauchst nur ein gescheites Lektorat und etwas Fantasie für das Cover und schon wird der Traum Wirklichkeit. Was auf den „Schreib dein eigenes Buch“-Werbeanzeigen immer so schrecklich albern erschien, ist hier plötzlich einfach nur schön.

Richtig nette Leute! In einem Datengarten sitzen gemütliche Leser unordentlich verteilt herum und sharen ihr Wissen, ihre Geschichten und ihre Haltungen. „Werde, der du bist ... du brauchst einen neuen Namen!“, schmeichelt eine als Hexe klar erkennbare Frau, in deren hoch aufgetürmten Haaren Maiglöckchen und Besenreisig hängen. „Jeder hier hat einen Namen, oder auch zwei, drei und viele.“ Pseudonyme, für verschiedene Genres, manchmal jedes Genre ein Pseudonym. „Vitus Pellus! Ida von Canitz! Geraldine Bloomberg!“, ruft die Hexe, schwingt sich ihren Haarturm zurecht und verschwindet im nächstgelegenen Maiglöckchenhaus.

Die Szene riecht ein bisschen nach Selbstoptimierung und Lebensverbesserung. Viele dieser Selfpublisher haben lange in einem anderen Beruf gearbeitet, bevor sie sich fürs hobby-berufsmäßige Schreiben entschieden haben. Andere studieren noch. Ein Einstieg bei Twitter, das geheime Internetportal in die Selfpublisherwelt: das Hashtag #autorenleben.

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Geschrieben von

Julia Seeliger

schreibt alle vier wochen das "medientagebuch"

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