Serienwahn

Medien In den großen Zeitungen will niemand mehr über das lineare Fernsehen schreiben. Dabei schauen immer noch viele Millionen Menschen Sendungen wie „Promi Big Brother“
Ausgabe 35/2018
Früher war mehr „Dalli Dalli“, auch auf den Medienseiten
Früher war mehr „Dalli Dalli“, auch auf den Medienseiten

Foto: United Archives/Imago

Wie hältst du es mit dem Fernseher zu Hause? Für Intellektuelle und alle, die als solche gelten wollen, gibt es seit jeher nur zwei mögliche Antworten auf diese Frage. Sie lauten: „Den habe ich schon lange abgeschafft“, oder: „Ich schaue höchstens mal Arte.“ Mittlerweile scheinen das auch deutsche Medienredakteure so zu handhaben. Lohnt sich die neue Show mit Thomas Gottschalk und Günther Jauch bei RTL? Wie schlägt sich Steffen Henssler als Stefan-Raab-Double bei Pro Sieben? Und gibt es eigentlich noch Sat 1, und wenn ja: Was senden die? Auf den Medienseiten der Zeitungen steht dazu fast nichts. Ab und an findet ein Tatort mit Aufregungspotenzial Beachtung, oder wenn das Aktuelle Sportstudio mit Dunja Hayali eine Frau für die Fußball-Berichterstattung engagiert. Auch im Nachtprogramm versendete öffentlich-rechtliche Dokumentationen werden noch mit Rezensionen geadelt. Doch Talkshows? Fernsehfilme? Die neuesten Show-Ideen der Privaten? Sporadisch. Der Drang, etwas unbedingt sehen zu müssen, weil alle heute darüber schreiben und morgen darüber reden, stirbt dabei gleich mit.

Eine Ausnahme bildete zuletzt die SWR-Dokumentation Kulenkampffs Schuhe. Wie westdeutsche Showmaster im Nachkriegsdeutschland ihre Weltkriegs-Vergangenheit verarbeiteten bzw. verdrängten, fand viel Beachtung. Dalli Dalli mit Hans Rosenthal, die Peter-Alexander-Show, Einer wird gewinnen mit Kulenkampff – das waren die berühmten Lagerfeuer, zu denen sich Familien samt gebadeten Kindern vor dem Fernseher versammelten. Doch spätestens seit dem Ende von Wetten, dass..? vor vier Jahren scheinen diese nicht mehr zu brennen, und falls doch, bekommt das keiner mehr mit.

Die Sender machen sich derweil auf eigene Wege, um ihr Programm an die Zuschauer zu bringen. Pünktlich zur Internationalen Funkausstellung schickt etwa die ARD eine neue Version ihrer Mediathek ins Rennen. Dort werden nicht nur alle Produktionen, auch der die Dritten Programme und der Hörfunksender, gebündelt. Zudem soll auch die Möglichkeit einer stärkeren Personalisierung bestehen.

Bislang lassen sich die Sendungen über das Datum, ihren Namen oder das Genre finden. Zudem gibt es auf der Startseite Empfehlungen der Redaktion. In Zukunft kann man sich einen Account zulegen und wie bei Netflix oder Amazon Prime per Algorithmus angepasste Tipps erhalten. Sie schauen gerne Tagesschau, Rote Rosen und das Politik-Magazin Kontraste? Dann wäre die Serie Weißensee vielleicht etwas für Sie.

Die Medienredakteure, die früher für eine solche Vorauswahl zuständig waren, haben ihren Fokus auf anderen Dingen, zu denen sich das Einschalten lohnt. Meist sind das Serien US-amerikanischer Herkunft, zu sehen bei Spartenkanälen und Streaming-Portalen mit Bezahloption wie Entertain TV, Netflix oder TNT. Diese Anbieter veröffentlichen keine Nutzerzahlen; mancher Abonnent von FAZ oder SZ weiß sicher nicht mal, was das überhaupt ist. Somit ist völlig unklar, wie viele der Leser die besprochenen Angebote jemals wahrnehmen werden. Die Medienjournalisten rezensieren dennoch munter vor sich hin.

So ist das halt mit der fragmentierten Mediennutzung, könnte man meinen. Doch Das Sommerhaus der Stars, ZDF-Krimis und Promi Big Brother schauen immer noch viele Millionen Menschen. Für die meisten brennt das Feuer also weiter. Nur die Medienseiten der Zeitungen verkriechen sich in Nischen, in die keiner schaut.

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