Bedrohung der öffentlichen Ordnung?

Grenzkontrollen Nach der Inszenierung des Notstands führt die Bundesrepublik wieder Grenzkontrollen ein. Auf das Scheitern des Dublin-Systems wird mit Entsolidarisierung reagiert.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Gestern wurde der pseudo-humanitären Selbstdarstellung der Bundesregierung ein Ende gesetzt: Die Grenzen zu Österreich sind geschlossen. Für 12 Stunden wurde auch der Zugverkehr zwischen Deutschland und Österreich ausgesetzt, mittlerweile fahren die Züge zumindest teilweise wieder. Ob die Grenzkontrollen nur an der bayrisch-österreichischen Grenze bleiben oder ausgeweitet werden, bleibt abzuwarten.

Innenminister de Maizière erklärt, diese Maßnahme sei mit dem Schengen-Abkommen vereinbar. Damit sind er und die Große Koalition sich wohl einig, dass eine ernste Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit bestehe (Artikel 23 des Schengen-Abkommens). Die kürzliche Aufnahme von einigen Geflüchteten, die in Ungarn festsaßen, war taktisches humanitäres Schauspiel, um im Anschluss Maßnahmen zur Restriktion zu beschließen und jetzt innereuropäischer Solidarität endgültig den Rücken zuzukehren. Die Schengen-Grundsätze werden eingeschränkt, um die Dämonisierung und Kriminalisierung von Zuwandernden rhetorisch und praktisch zu optimieren.

Erst wurde der Notstand inszeniert, jetzt zeigen die Regierenden ihr wahres Gesicht. Nach jahrelanger Ignoranz sind die Plätze zur Erstaufnahme hierzulande knapp, aber mit Grenzschließung und Abschreckungsmaßnahmen wird dem nicht entgegengewirkt. Zudem werden dadurch keine Menschen von der Weiterflucht abgehalten, die Wege werden nur noch härter, gefährlicher und wohl auch teurer. Das Einzige, was damit erreicht wird: Die restlichen EU-Staaten werden so motiviert, es Deutschland gleich zu tun. Österreich macht seine Grenzen ebenfalls dicht. Und die Außengrenzstaaten – so ist es zu befürchten - werden als Reaktion noch brutaler an ihren Grenzen vorgehen, um mit allen Mitteln Flüchtende abzuwehren. So werden flüchtende Menschen zu einem Feind konstruiert, der auf allen Ebenen bekämpft wird.

Wir können nun auch deutlicher als zuvor erkennen, dass das Dublin-System gescheitert ist. Die Außengrenzstaaten sind nicht mehr in der Lage, es einzuhalten (oder wollen es nicht) und der Rest reagiert mit innereuropäischer Abschottung. Das ungarische Flüchtlingslager Röszke wurde wohl geräumt, niemand wird mehr registriert, flüchtende Menschen werden mit Sonderzügen zur österreichischen Grenze gefahren. Die europäische Entsolidarisierung bedeutet auch, dass der europäische Integrationsprozess flüchtlings- und asylpolitisch zurückgeschraubt wird. Von Anfang an wurde Zuwanderung in der EU in der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Innenpolitik betrachtet und damit immer als Bedrohung aufgefasst. Ein gemeinsames Asylsystem war quasi schon immer ausgeschlossen, da in diesem Bereich kein solidarischer Konsens bestand. So ist es auch jetzt, wir können davon ausgehen, dass auch in Zukunft keine Einigung auf eine umfangreiche, mehr oder weniger gerechte, Verteilung erreicht wird; in der Aushandlung von Quoten offenbart sich die Entsolidarisierung sehr anschaulich. Die institutionelle und strukturelle europäische Integration führte migrationspolitisch zu Selektion und Abschottung, zur Stilisierung von Zuwanderung als Friedensgefährdung. Durch die jetzigen Entwicklungen inklusive der (temporären) Schließung von Binnengrenzen, wird die gesamte europäische Integration in Frage gestellt und zurückgeworfen.

Aber eines funktioniert gemeinschaftlich noch: Der Militäreinsatz gegen Schlepper, also die sinnlose Symptombekämpfung, soll ausgeweitet werden und die zweite Phase der Bekämpfungsmission eingeleitet werden: Nach dem Aufspüren sollen jetzt Schiffe auf hoher See gefasst und zerstört und Schleuser inhaftiert werden. Im Bundestag muss dem noch zugestimmt werden (da die Bundeswehr beteiligt ist), was aufgrund der Einigkeit in der Großen Koalition aber kein Problem sein wird. Und was wird dadurch erreicht? Es werden Menschenleben gefährdet, es wird keinem Menschen geholfen, es werden keine Aufnahmekapazitäten geschaffen, keine Integrationsmöglichkeiten. Es wird permanent eine Krise inszeniert und verschärft durch kontrolliert fehlgeleitete politische Maßnahmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden