Bleiberecht als Privileg

Ausgrenzung Kriminalisierung, pauschale Ausgrenzung, 2-Klassen-Migration, Nationalisierung. Wenn die Regierung über Flüchtlingspolitik entscheidet, verlieren am Ende die Flüchtlinge

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Europa macht dicht
Europa macht dicht

Bild: DIMITAR DILKOFF/AFP/Getty Images

Gestern wurde im Bundestag einem Gesetzesentwurf des Innenministeriums zur Neuregelung des Aufenthaltsrechts, der Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, zugestimmt. Vielfach wurde dieses Vorhaben medial und zivilgesellschaftlich kritisiert und als Inhaftierungsprogramm enttarnt. In welchem Kontext werden diese Verschärfungen beschlossen? Immer mehr Menschen sind weltweit auf der Flucht, immer mehr Menschen suchen Schutz und manche gelangen dabei nach Deutschland. Die Bevölkerung bekommt das Bild einer Welle, bestehend aus vielen, vielen Menschen – Flüchtlingen! – in den Kopf gesetzt. Und so bildet sich ein hetzender Mob, der das Potential hat, sich immer weiter auszudehnen.

Und das hat auch wesentlich mit den Reaktionen der politischen Entscheidungsträger zu tun; die Regierung will offenbar mit den rechten Populisten und besorgten, hasserfüllten Bürgern kuscheln, wie Rhetorik und politische Praxis zeigen. Wie 1993 stellt sie sich nicht vor die Geflüchteten, sondern möchte wahlkampfstrategisch handeln und das bedeutet: Verschärfung des Asylrechts. Aber diese neuen Regelungen zeigen weder einen neuen Kurs auf, noch sind sie das Ende der Umsetzung einer umfassenden Strategie der Flüchtlingsabwehr und Migrationssteuerung. Das Dublin-System soll – zum Vorteil der deutschen Verantwortungslosigkeit – verfestigt werden und konsequenter werden. Auch das pauschalisierte Entscheiden über Existenzen aufgrund des Herkunftslandes soll erweitert werden, wie ein Maßnahmenkatalog, der auf einem flüchtlingspolitischen Gipfel zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten der Ländern beschlossen wurde, verrät.

Kriminalisierung von Flucht

Über die Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung lässt sich im Einzelnen viel bereden und kritisieren, wie es an anderer Stelle auch getan wird. Kurz gefasst will die Regierung mit den neuen Regelungen dafür sorgen, dass das Dublin-System noch lückenloser funktioniert. Der Blick der Entscheider richtet sich ausschließlich auf nationalstaatliches Interesse, von europäischer Solidarität ist – wie in so vielen Bereichen – keine Spur. Um Geflüchtete sollen sich alle anderen kümmern, aber nicht wir.

Zwar beinhaltet der Entwurf auch neue Bleiberechtsregelungen, denn Geduldete dürfen nun – je nach Familienstatus und Alter – schneller Bleiberecht bekommen, jedoch ist das gekoppelt an Bedingungen, die oftmals gar nicht erfüllt werden können, weil keine integrationspolitischen Maßnahmen ergriffen werden und es schon allein an Deutschkursen mangelt. Dominant ist in dem Gesetzesentwurf die Ausweitung der Abschiebehaft durch Schaffung neuer Haftgründe: Inhaftiert wird, wer aus einem anderen EU-Staat eingereist ist, ohne abgeschlossenes Asylverfahren (also alle, die unter die Dublin-Regelungen fallen), wer unvollständige oder falsche Angaben bei den Behörden macht, keinen Pass bei sich hat, große Geldsummen an Schlepper bezahlt hat und wer Grenzkontrollen umgehen konnte. Das betrifft damit so ziemlich alle Flüchtlinge, da es auf dem Land- und Seeweg unmöglich ist, all diese Haftgründe zu umgehen, wenn keinerlei legale Fluchtwege bestehen.

Pauschale Verweigerung eines fairen Asylverfahrens

Seit dem Asylkompromiss 1993 gibt es laut Grundgesetz unter anderem die Möglichkeit, Staaten zu bestimmten, aus denen Menschen nicht zu fliehen haben, weil sie dort unmöglich politisch verfolgt werden können, sichere Herkunftsländer (GG, Art. 16a, 3). Länder können einfach für sicher erklärt werden, so dass die Flüchtlinge beweisen müssen, dass es in ihrem Herkunftsland doch nicht so sicher ist und ihnen dort wirklich kein Schutz geboten wird; nicht das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) muss die Sicherheit der Länder nachweisen. Und wohin führt die Möglichkeit solcher Bestimmungen? Natürlich zur Umsetzung und damit zur pauschalisierten Ablehnung von Asylanträgen ohne sorgfältige Prüfung des Einzelfalls. Die ersten sicheren Herkunftsländer wurden 1996 bestimmt, nämlich Ghana und Senegal. Eine solche Festlegung ist nicht nur anmaßend und ignorant, sondern bedroht die Existenz vieler Menschen, weil ihnen keine Chance gegeben wird. Weil die Regierung sagt, Ghana ist sicher.

2014 dann gab es einen neuen Beschluss zu sicheren Herkunftsländern. Seitdem gelten auch Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina als sichere Staaten; es gibt keinen Grund, von dort zu fliehen. Diese Regelung präsentiert sich als Anti-Roma-Gesetz, denn Flüchtende aus den genannten Staaten sind weitgehend Roma und sind massiver Diskriminierung und Elend ausgesetzt. Wie ist das zu rechtfertigen? Die Festlegung basiert nicht auf einer gründlichen Prüfung der Situation vor Ort. Es gibt keine Berichte, die Anzeichen dafür geben, dass es sich um sichere Länder handelt. Es ist eine rein politische Entscheidung; das Gesetz musste durchgeboxt werden, nachdem man sich ein paar Länder rausgesucht hatte, aus denen immer mehr Menschen auswandern, um woanders besser oder überhaupt zu leben. Diese Leute propagiert man als unliebsame Einwanderer und kann sie unter dem Jubel der Besorgten ausgrenzen. Aber damit nicht genug, die nächsten sicheren Herkunftsländer sollen folgen.

Maßnahmen zur Selektion und Massenabfertigung

Angela Merkel hat kürzlich mit den Ministerpräsidenten eine Maßnahmenkatalog für die Flüchtlingspolitik beschlossen. Darin werden Flüchtlinge erster und zweiter Klasse bestimmt, von Pro Asyl als Integration für die einen, Massenabfertigung für die anderen beschrieben. Leute mit günstiger Bleibepersektive sollen bessere Integrationsmöglichkeiten haben, z.B. werden Deutschkurse für sie geöffnet, und es gibt eine einjährige Duldung für Flüchtlinge mit Ausbildungsplatz. Aber was heißt das? Was ist eine günstige Bleibeperspektive? Woran wird das gemessen? Es läuft ganz offensichtlich auf pauschalisiertes, herkunftsbezogenes Entscheiden hinaus. Kollektivbetrachtung, statt Einzelfallprüfung. Besonders Menschen aus sicheren Herkunftsländern leiden darunter noch mehr, als sie es eh schon tun: Über Menschen mit geringer Bleibeperspektive soll in zentralen Entscheidungszentren entschieden werden, die letztlich zur Massenabfertigung gemacht sind. Wer eine geringe Bleibeperspektive hat, wird dann künftig nicht mehr auf die Kommunen verteilt, sondern bleibt in Erstaufnahmeeinrichtungen, um innerhalb von 3 Monaten abgeschoben zu werden. Und weil es zu viele Flüchtlinge gibt, sollen auch noch Außenlager geöffnet werden, um bestimmte Flüchtlingsgruppen (am besten Roma) auszulagern. Es besteht die Gefahr, dass dadurch vermehrt Massenabschiebungen drohen würden.

Und nun soll auch noch geprüft werden, ob der Kosovo, Albanien und Montenegro nicht auch zu sicheren Herkunftsstaaten werden können; zu einer Zeit, zu der in Bayern massiv gegen Zuwanderung aus dem Kosovo gewettert wird. Bayerns Regierung protokollierte zu diesen Maßnahmen noch, dass Visapflicht für die Westbalkanstaaten wiedereinzuführen sei, dass Auffanglager in Nordafrika errichtet werden müssen, wie es ja auch geplant ist, und dass Schlepper bekämpft werden müssen, wie es ja auch nun intensiv geschehen soll. Zusätzlich werden als Krönung Arbeitsverbote für Migranten aus sicheren Herkunftsländer und Flüchtlinge, die unter die Dublin-Regelungen fallen, gefordert, sowie Leistungskürzungen für Menschen aus sicheren Herkunftsländern. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis dieser Maßnahmenkatalog in die Tat umgesetzt werden soll. Wir sehen nicht nur in Ländern wie Ungarn, den Niederlanden oder Frankreich das Erstarken nationaler Kräfte. Die deutsche Politik fixiert sich in der Asylpolitik auf die klare Betonung des Nationalstaats, an den kein Solidaritätsbedürfnis herantreten kann.

Die Durchsetzung nationalstaatlicher Ignoranz

Über 20 Jahre nach dem Asylkompromiss reagiert die Regierung wieder feige auf steigende Flüchtlingszahlen und rechte Hetze. In allen Entscheidungen, die auf nationalstaatlicher, aber auch europäischer Ebene getroffen werden, ist ein staatsfixiertes Abschottungsdenken tonangebend. Anstatt sich der eigenen Verantwortung und Möglichkeiten zu stellen, wird alles unternommen, um Massenausgrenzung nicht nur zur Gegenwart, sondern auch zur Zukunft deutscher Asylpolitik zu machen. Deutschland will Dublin lückenlos durchsetzen, Deutschland will keine Menschen aus dem westlichen Balkan. Und auch sonst möglichst wenige Flüchtlinge. Mein Herkunftsland entscheidet, ob ich ein faires Asylverfahren bekomme, ob ich hier sein darf. Mit einer solchen Ignoranz kann sich nie ein auch nur ansatzweise humanitärer Umgang mit Flüchtlingen in der EU entwickeln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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