Für einen besseren Journalismus

Cool berichten. Wer eine bessere Presse will, muss selbst an ihr arbeiten - zur Not unbezahlt. Weg vom Ergänzungsbeitrag, hin zum alternativen Journalismus. Überlegt statt wütend.

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Die Kims, neulich im Theater

Gesellschaftliche Stimmungen sind ereignisgesteuert, und die Presse macht die Ereignisse. Daran hat sich auch im Blogzeitalter nicht viel geändert. Selbst die größten Blogs außerhalb des Mainstreams befinden sich eben außerhalb des Mainstreams, und wer dort publiziert, kann davon im Regelfall nicht leben. Oder wie Christian Y. Schmidt, selbst Journalist und Buchautor, vor über drei Jahren bei einem Vortrag in Beijing anmerkte: wer in Nischen-Publikationen veröffentlicht, wird

vom breiten Publikum nicht wahrgenommen. Er verdient ausserdem so wenig Geld, dass es fast nicht möglich ist, davon zu leben. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb viele Journalisten, die zu Beginn ihrer Laufbahn sehr kritisch waren, irgendwann bei den Mainstreammedien, in der Politik oder in der Wirtschaft landen, um dort dann zu sagen oder zu schreiben, was man hören will

Auch die persönliche Bereitschaft zum kritischen Hinsehen - oder auch zum Zorn - ist üblicherweise ereignisgesteuert. Das aktuelle, auslösende Ereignis wiederum muss zur persönlichen Prädisposition des Lesers, Hörers oder Fernsehzuschauers passen: einige Vorerfahrungen müssen den Medienrezipienten in die Lage versetzen, überhaupt erst einmal zu riechen, dass womöglich etwas faul ist.

Als bei mir als Leser zum erstenmal 2008 die Nachricht ankam, dass chinesische Dissidenten - und offenbar zum erstenmal auch ein "
Autorenkreis der Bundesrepublik" - sich mit einem offenen Brief an den Deutschen Bundestag zu Wort gemeldet hatten, um eine aus ihrer Sicht "faule" Berichterstattung beim chinesischen Dienst des Auslandssenders "Deutsche Welle" (DW) zu kritisieren, ahnte ich, dass das zu keinen wünschenswerten oder gar "gerechten" Ergebnissen führen würde. Die Berichterstattung darüber - z. B. dieser "Spiegel"-Artikel von Jan-Philipp Hein und Sabine Pamperrien - begann mit in einem konkreten Fall belegter Kritik an der stellvertretenden Leiterin der China-Abteilung der DW und setzte sich danach mit sehr viel weniger konkreten Vorwürfen gegen die generelle Arbeit der China-Abteilung fort. Es steht dahin, wieviele der Kritiker - insbesondere der nicht chinesischsprachigen Kritiker - sich je einmal mit den eigentlichen Inhalten der von ihnen kritisierten Programme auseinandergesetzt hatten.

Ein Gutachten des früheren "Tagesthemen"-Moderators Ulrich Wickert jedenfalls sprach die China-Redaktion Monate später handwerklich rundherum frei - das interessierte aber nur noch Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung". Der damalige DW-Intendant Erik Bettermann hingegen wollte nicht mehr über die Angelegenheit reden, und schon gar nicht Wickerts Gutachten veröffentlichen, um die China-Debatte nicht neu aufleben zu lassen.

Bei der deutschen Welle ging die Geschichte in den Jahren nach 2008 weiter - allerdings tatsächlich nicht als China-Debatte, sondern als "Qualitätsprojekt": wie vom "Autorenkreis" 2008 gefordert, bekam die China-Redaktion einen unabhängigen, diktaturimmunen Beobachter - den Ludwigshafener Sinologen Jörg-Meinhard Rudolph, der im Auftrag der Deutschen Welle nicht nur die qualitative Begleitung der China-Redaktion, sondern auch eine etwaige "Chinafreundlichkeit" von Beiträgen auf der Website der DW-China-Redaktion bewerten sollte.

Man bedenke: das geschah bei einem Sender, der dem - in diesem Fall chinesischen - Ausland nachvollziehbar vorturnen sollte, wie guter, unabhängiger und kritischer Journalismus "geht".

Vielleicht darum mein Misstrauen gegen aufgeregten Aktivismus. Zorn und geschwollene Kämme schaffen nur Schein-Ereignisse wie seinerzeit bei der "Deutsche-Welle-Kontroverse". Damit wird Politik gemacht - auf eine Weise, auf die die Initiatoren sehr schnell gar keinen Einfluss mehr haben, und die mit Meinungs- und Ausdrucksfreiheit überhaupt nichts zu tun hat.

Vergleichsweise viel Aufmerksamkeit finden zur Zeit die Ereignisse in der Ukraine, und die Presseberichterstattung darüber. Es ist überhaupt nicht erstaunlich, wenn manches, was nicht ins Bild der deutschen politischen Klasse passen will, nicht oder kaum in den Berichten stattfindet. Im Gegenteil: es ist eine der leichtesten Übungen - für den "geschickten" Journalisten.

Es mag schwer sein, sein eigener Journalist zu sein. Das muss vielleicht auch gelernt werden, und kaum jemand hat beliebig viel Zeit dafür. Aber ich glaube, dass unaufgeregte, um Neutralität bemühte Berichte auf Dauer ihre Leser finden. Sie sollten nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben sein, aber sie müssen nicht langweilig sein. Sie dürfen auch Meinung enthalten, so lange sie als Meinung kenntlich wird. Sie können unter Umständen auf konstruktive Kritik von Kommentierern zurückgreifen. Und sie werden im Regelfall darauf angewiesen sein, zum Beispiel auf russische oder chinesische Medien zurückzugreifen. Mit kritischem Urteilsvermögen, versteht sich. Das Know-how dazu ist auch unter Nichtjournalisten vorhanden.

Es sollte also nicht um Ergänzungsbloggen gehen - nicht darum, den etablierten Berichten hinzuzuschreiben, was dort "fehlt". Es geht um Journalismus, so wie er sein soll. Wer den für Andere vorstellbar machen will, muss auf Beispiele für gelungene Berichterstattung verweisen können - oder sie aber selbst praktizieren.

Dieses Land braucht nicht zornigere, sondern vor allem informiertere Menschen. Zorn überzeugt nicht - vertrauensbildende Info überzeugt vielleicht.

» Wichtige Medien verlieren ihr Rating+, schrieb Berlino am Montag. Ich habe ihm zum Teil widersprochen, und soeben fällt mir auch wieder ein, warum ich ihm vermutlich just hinsichtlich der "Süddeutschen Zeitung" widersprochen habe.

Dabei stelle ich nicht in Frage, dass er die Ereignisse in der Ukraine besser beurteilen kann als ich: er hat ganz andere Vorerfahrungen und Vorkenntnisse.

Als Leser möchte ich aber gerne, dass Blogger wie z. B. Berlino das zu einem ganz bestimmten Ziel hin nutzen: nicht mehr nur zum Ergänzungsbeitrag, sondern zu einem überzeugenden Journalismus der Marke Eigenbau.

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Updates/Links

» Amateurideal, 22.10.13
Große Egos, 21.08.12

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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