Der Journalismus und der öffentliche Raum

Amateurideal. Ohne Medien gibt es keinen öffentlichen Raum. Aber wie sehen Medien aus, die den öffentlichen Raum wirklich ermöglichen?

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Der "Freitag" veröffentlichte vorige Woche einen Artikel von Alain Badiou - einen Artikel, der links ist. Nicht "irgendwie" links, sondern links. Das ist ein Lichtblick - man würde ihn nicht in vielen anderen deutschen Zeitungen finden. Würde ich allerdings nicht auch weniger Linkes im "Freitag" finden, würde ich ihn nicht so häufig lesen. Mein Verhältnis zu Badious Artikel kann ich aufgrund mangelnder Vorkenntnis gar nicht ordnen.

http://justrecently.files.wordpress.com/2013/09/umpf.jpgDer öffentliche Raum, wie ihn sich öffentliche Institutionen vorstellen. (JR-Archiv)

Die FC ist irgendwie links, ebenso wie der "Freitag" an sich. Zumindest habe ich das öfter gehört. Der "Freitag" und die FC sind aber auch noch etwas ganz anderes, nämlich Teile des öffentlichen Raums. So sehr auch die angebliche Folgenlosigkeit dessen, was wir hier schreiben (also sagen), immer wieder in der FC selbst verspottet wird: es gibt trotzdem ein Bedürfnis zu sprechen. Und in der Mehrzahl der Fälle entsteht vielleicht gar kein Bedürfnis über das Sprechen - das laute Denken vor anderen - hinaus. Dieses Sprechen vor einem FC-Bruchteil des öffentlichen Raums ist der ständige (und im extrem wahrscheinlichen Fall der Erfolglosigkeit durchaus auch immer wieder komisch wirkende) Versuch, die Welt durch das Aussprechen von Wahrheiten - gedachten oder erfahrenen Wahrheiten - zu verbessern. Sowohl die Tat als auch das Wort sollen ja bei den Griechen (auf die sich der anfangs erwähnte Alain Badiou bezieht) einmal als "Aktion" gegolten haben.

Die Presse ist keine "Vierte Gewalt" - eine 4. Gewalt kommt in der Verfassung so wenig vor wie in der Wirklichkeit. Die Presse kann Gewalt ausüben, wie Heinrich Böll einmal explizit dargestellt hat, aber sie ist berechtigt, dabei private und privatwirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Staatliche Gewalten dürfen das - formal jedenfalls - nicht.

Dafür, Erfahrungen und Denken mit anderen zu teilen und das Denken weiterzuentwickeln, braucht es den öffentlichen Raum. Wenn die Presse diesen öffentlichen Raum ermöglichen wollte, könnte sie das Internet eigentlich nur begrüßen. Und gleichzeitig stellt das Internet sie doch auch vor Widersprüche, mit denen sie vor aller Augen kämpft - und die Augen ihrer Beobachter sind keineswegs durchweg freundlich oder von Sympathie geprägt. Vor allem dann nicht, wenn die Presse vor dem aus ihren Reihen so oft postuliertem Anspruch, eine Art selbstloser vierter Gewalt zu sein, völlig versagt.

Es gibt keinen Berufsstand der Welt, der das eigene Metier derart übel missbraucht, um ungeniert seine Interessen dem Publikum zu verkaufen,

schrieb der FC-Blogger Ed2Murrow am 9. Oktober als Reaktion auf Kritik etablierter Pressemenschen und Blogger an der Huffington Post, die seit kurzem mit einem Modell am Start ist, das in manchem dem des "Freitag" gleicht: Jeder kann als Blogger publizieren - nur eben nicht gegen Bezahlung.

Und jeder darf mit seinen Veröffentlichungen - wenn er das publikumswirksam hinbekommt - den Berufsjournalisten Konkurrenz machen. Denjenigen also, die auf ihre journalistische Arbeit zum Broterwerb angewiesen sind.

Das riecht nach ökonomischem Wettbewerb mit einem endlosen Reservoir an Dumping-Elementen. Links wäre das nicht, auch nicht irgendwie. Zumindest gäbe meine Fantasie keine Begründung dafür her.

Das ändert nichts daran, dass die Inhalte durchaus links sein können - der Badiou-Artikel ist ja ein Beleg dafür. Aber für die materiellen Grundlagen beim "Freitag", für sein Wirtschaften, gilt etwas anderes.

Formuliert hat das vor über einem Jahr - aus seiner Freitag-Online-Perspektive und nicht notwendigerweise für die ganze Wochenzeitung "gültig" - Jan-Jasper Kosok, auf die Frage, was "der Journalist der Zukunft" können müsse:

a) muss man sich wirklich gut vermarkten können. Also man muss seinen eigenen Markt schaffen. b) glaube ich, wenn man als freier Journalist zum Beispiel tätig sein muss, dann sollte man sich vielleicht noch einen Nebenjob suchen, weil ich glaube, dass Journalismus und vor allen Dingen freier Journalismus auf lange Sicht jetzt nicht unbedingt irgendwie die Miete finanziert, sondern vielleicht irgendwie das ist, was man halt nebenbei machen kann.

Das wäre vielleicht ein Anfang, wenn man sich den Journalismus der Zukunft vorstellen will - vorausgesetzt, man fasst den Begriff "vermarkten" recht unschuldig auf. Man könnte argumentieren, Jack London sei ja ein Linker gewesen, der sich als Schriftsteller trotzdem vermarktet habe. Beim Lesen des "Seewolfs" wird mir allerdings deutlich, dass die Vermarktungsnotwendigkeit dem, was London für sein gar nicht so linkes Publikum schreiben durfte, mit einiger Wahrscheinlichkeit Grenzen setzte.

Journalismus, der nur oder auch nur vornehmlich auf seine Vermarktbarkeit setzt, entwickelt blinde Flecken. Der Journalist, der seinen Lebensunterhalt mit einem Nebenjob bestreitet (tatsächlich ist der Job, der das leistet, nicht der Neben-, sondern der Hauptberuf), kann nur dann offen sein für Neues und für Skandalöses, wenn er nicht in der Hoffnung lebt, aus seinem Neben- vielleicht einmal einen Hauptberuf machen zu können.

Nur dann entfaltet der öffentliche Raum sein wirkliches Potenzial für jeden, der seiner Meinung schriftlich Ausdruck geben kann. Nur dann können Gedanken, die die Gesellschaft verändern, wirklich ausgesprochen werden, und Sachverhalte, von denen ein Leser zur Weltverbesserung Kenntnis haben muss, benannt und beschrieben werden.

Das muss gar nicht druckreif sein. Denn alles, was gesagt wird, kann auch von anderen aufgegriffen und präzisiert werden kann. Mehr noch: es kann miteinander besprochen und entwickelt werden. An die Stelle des Wettbewerbs, in dem der kommerzielle Journalismus sich nun einmal befindet, tritt in jedem solchen Moment die Zusammenarbeit.

Das Internet bietet die technischen Voraussetzungen dazu. Und die Journalisten im Nebenberuf finden sich - täglich neu.

Das ist vielleicht gar nicht links. Aber es ist irgendwie zukünftig.

Fragen danach, was der Journalismus tun oder lassen soll, werden immer wieder anders gestellt und beantwortet. Vor fast zwei Jahren las ich diese Wiedergabe eines Vortrags des damaligen Deutsche-Welle-Intendanten Erik Bettermann, der erklärte, die Öffentlichkeit habe Erwartungen hinsichtlich der Professionalität und Verlässlichkeit von Journalisten in ihrer Eigenschaft als "Pfadfinder im Informationsdschungel". Angesichts der jüngeren Geschichte des Journalismus bei einem Teil der Deutschen Welle selbst fand ich Bettermanns journalistischen Anspruch, eine Art Scout sein zu wollen, gedankenanregend.

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Hinzu kam dieses Transkript eines Vortrags, den Christian Y. Schmidt in China hielt. Alles gar nicht neu, aber eine sehr geordnete (und darum erhellende) Gesamtschau der Möglichkeiten und Grenzen einer "freien" deutschen Presse.

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Dann kam Ed2Murrows Beitrag vom 09.10. hinzu, der mich so beschäftigte, dass ich erst nach zwei Tagen einen Kommentar hinterließ - da war die Diskussion aber schon durch.

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Und schließlich noch eine Diskussion unter einem kurzen Anstoß hier. In dem Zusammenhang vielen Dank an Georg von Grote für seinen Hinweis auf das Media-Lectures-Interview mit Jan-Jasper Kosok, das ich vorher nicht kannte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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