Permanent schlechtes Gewissen

Huffington Post/FAZ Der Augenblick der Wahrheit ist gekommen: Der ganzen Wahrheit, da sich der Graben zwischen Habenden und Habenichtsen wieder besonders tief öffnet. Und ich bin schuld

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das zumindest suggerieren mir Stefan Niggemeier und die FAZ, die den Start von Huffington Post Deutschland in die Nähe organisierter Kriminalität rücken. „In Zeiten von Stellenabbau und mieser Bezahlung“, räsoniert das Frankfurter Feuilleton in scheinbar humoriger Abänderung des bekannten Satzes eines Mafiapaten, sei das von HuffPo so zu lesen: „Wir machen Ihnen ein Angebot, das Sie ablehnen können“. Gemeint ist das Werben um Leute, die bereit sind, per Blog in der neuen online-Zeitung zu veröffentlichen, ohne dafür Vergütung zu verlangen.

Das ist nicht mehr ganz so einfach wie es noch vor einigen Jahren bei der Wochenzeitung der Freitag war. Dort wurde verstärkt ab Februar 2009 das Publikum aufgefordert, sich auf der online-Plattform des Meinungsmediums zu Berlin einzuloggen und mitzuschreiben. „Ein Projekt“ hatte das JakobAugstein genannt und mit ihm die Hoffnung verbunden, einen Beitrag zur „Öffentlichkeit 2.0“ leisten zu können: „Glaubwürdige und transparente Medien in Netz und Print, die den Bloggern auf Augenhöhe begegnen.“

Den Shitstorm hier zu wiederholen, der über Eigner, Redaktion und der Community hereinbrach, lohnt nicht bis auf die Essenz, ein reicher Erbe würde arme Journalisten bei kargem Lohn knechten und diesen zusätzlich Druck durch eine Meute von Bloggern verschaffen. Die für Gottes Lohn und ein wenig Aufmerksamkeit schaffen würden. Die aber, paradoxerweise, letztlich nur lebensfremde oder internetsüchtige Menschen seien, so eine arg listige Skizze der FAZ von Juni 2010 und der Höhe ihrer „Gesellschafts“spalte herab.

Paradox deswegen, weil in einem sehr schönen Beitrag vom April desselben Jahres der im selben Haus beschäftigte Markus Jauer der Vielfalt („Deutsche Blogger“) nachgespürt hatte. Von seinen Erkenntnissen zu Einordnung und Bewertung, sprich: Bündelung der Mannigfaltigkeit hat die FAZ unzweifelhaft profitiert; sonst nicht beachtete Kolumnen dürfen sich bei faz.net erhöhter Aufmerksamkeit erfreuen,nachdem sie als Blogs verkleidet durchgehen.

Klientel vom Konkurrenten abhalten, aber nicht vor den Kopf stoßen

Einfacher aber ist es vor allem deswegen nicht geworden, weil HuffPo im Gegensatz etwa zu der Freitag auf Namen und Berufsgruppen setzt, statt Ano-/Pseudonyme zuzulassen. Hier schreiben in der linken Spalte der Blogs, die französische, spanische und italienische Ausgaben beweisen es, Wissenschaftler ebenso wie Künstler, der Tierschutzverein und der/die Vorsitzende einer Liga. Sich eine derartige Klientel mit Plattitüden zu verscherzen kann sich nicht einmal Niggemeier leisten. Daher auch sein nun eher pädagogischer Ansatz, der nicht von ungefähr den gleichen Titel trägt wie ein Beitrag des Erziehungswissenschaftlers Professor Benedikt Sturzenecker (Uni Hamburg). Der steht im Zeichen öffentlicher Kinder- und Jugendarbeit zu Bildung wie Partizipation. Nun auch bei einem erwachsenen, aufgeklärten Publikum.

Derart gesellschaftlich wertvoll angeleitet wie an der Ehre gepackt, dass doch niemand es nötig habe, den eigenen neben dem Namen von Prominenten aufleuchten zu sehen, führt das kalte lehrende Händchen der FAZ freilich vom eigentlichen Problem weg. Das Preise wie Gehälter drückende mediale Überangebot ist nicht von Bloggern oder generell Leser/Schreibern verursacht worden, sondern von einer Medienindustrie, die trügerisch auf weiterhin steigende Werbeetats ihrer Annoncenkunden bauend, Überkapazitäten aufgebaut hat. Dazu schrieb ich bereits vor Jahren in Erwiderung auf Jakob Augstein und werde hier nicht wiederholen, was ohnehin nur einen Gratis-Klick entfernt ist (-> „Immer an die Leser denken“). Und immer noch gilt.

Mit ihrem Exploit reduziert die FAZ vielmehr alles auf einen vermeintlichen Interessensgegensatz, mit dem auch die besonders prominente Situation bei Spiegel zwischen Magazin und SPON kolportiert wird: Hier die Habenden aus dem Paper, dort die vor allem um finanzielle Gleichbehandlung ringende online-Redaktion. Dass sich in mehr als einem Jahrzehnt auch eine andere Kultur des Lesens wie Schreibens etabliert hat, die nur noch geringfügig mit „gratis“ zu tun hat, wird dabei völlig ausgeklammert. Im Gegenteil könnte man sagen: Liebe Großverleger und mit Eurem Gewicht erschlagende Tageszeitungen, nachdem Ihr mit der Plattitüde vom „gratis“ endlich Euer Leistungsschutzrecht habt, könnten wir nicht anfangen, Tacheles zu reden?

Europa ist nicht die USA oder: Kann die FAZ französisch?

Denn tatsächlich tragen die Blogs bei HuffPo in Frankreich zu ca. 8% zu der Zahl derer bei, die die Seite überhaupt aufrufen, in Italien sind es ca. 10%; für Spanien liegen mir keine Zahlen vor. Wie generell die französische Ausgabe gerade einmal den 33. Platz des dortigen online-Medien-Rankings (also weit hinter Le Monde oder Figaro jeweils im Net) erreicht, in Italien die Situation vergleichbar ist. Der Kern des Anliegens von Niggemeier & Co., denen ich unterstelle, sich diesbezüglich dokumentiert zu haben, liegt also nicht bei den in der Reichweite kaum einschneidenden Blogs, sondern dem redaktionellen Teil, der von Festangestellten oder Freien, aber immer Journalisten gestaltet wird. Es ist das Geschäftsmodell des „Kannibalisierens“ von Nachrichten, dem die Tirade aus Deutschland gewichtigster Zeitung gilt, aber nicht ausgelebt werden darf: Eine Krähe hackt der anderen bekanntlich kein Auge aus.

Und damit bin ich beim wirklichen Ärgernis: Es gibt keinen Berufsstand der Welt, der das eigene Metier derart übel missbraucht, um ungeniert seine Interessen dem Publikum zu verkaufen!

Akademiker, die Taxi fahren müssen? Pillepalle. Ein Werk, das in Bochum schließt? Betrüblich. Aber wenn ein Schreibender um die eigene Existenz zu fürchten hat, ist richtig Leben in der Bude. Der darf dann mit dem überlegenen Gestus der gefühlten Widerwärtigkeit das Ansinnen zurückweisen, zu veröffentlichen.

Dabei korreliert, und das sollte ebenfalls berücksichtigt werden, die Pressefreiheit mit einer ganzen Reihe von Privilegien nicht nur verfassungsrechtlicher Natur. Der Presseausweis allein bewirkt oft (nicht immer) den Zugang, den sich Bürger/Blogger per Informationsfreiheitsgesetz und Instanzenzug erst mühsam erstreiten müssen. Nur wenige gehen diesen Weg und sind damit die Wegbereiter für eine erweiterete Kultur der Transparenz. Nehmen Sie damit Journalisten das Brot weg? Aber sicher, nämlich denen, die die Bezeichnung (und den Ausweis) nicht verdienen, weil sie das Privileg als gottgegeben erachten.

Der „europäische Kontext“: Money makes the World go round

Das zweite Ärgernis ist eine glatte Lüge des ansonsten sicher wahrheitsgetreuen Niggemeier. Indem er das schlechte Beispiel „The European“ einführt, dann ist es nicht um deren anfechtbaren Allgemeinen Geschäftsbedingungen Willen. Denn unser aller Stefan weiß ganz genau, dass die betreffenden Klauseln schon lange Gemeingut fast sämtlicher Verträge sind, denen sich Freie unterwerfen müssen, um ihre Elaborate unterbringen zu können, auch und erst recht im Paper.

„European“ wurde vielmehr in den Kontext eingeführt, um eine Marktbeherrschung auf dem Kontinent zu suggerieren, die in den USA selbstverständlich ist. Dort wird einmal produziert, was (das heimische Publikum betreffend) 313,9 Millionen potentielle Leser der Vereinigten Staaten konsumieren werden. Im Europa der vielen Völker und der ebenso vielen Sprachen geht das nicht: Jedes Land und jede Sprache haben ihre jeweiligen Themen und bedürfen ihrer jeweiligen Struktur.

Dem kommt HuffPo nach, in Frankreich in Zusammenarbeit mit der linksliberalen Verlagsgruppe Le Monde, in Italien mit der ebenso orientierten „Espresso-La Repubblica“, in Spanien mit „El Paìs“. Auch hierzulande wird sich der Themen angenommen werden, die spezifisch sind, auch wenn die Zusammenarbeit nicht mit einer Tageszeitung erfolgt und die tomorrow AG kaum dafür bekannt ist, politisch besonders fortschrittlich orientiert zu sein. Aber auf diese Weise den Schatten eines Hegemons an die Wand werfen? Das ist mindestens verkürzend wie unlauter.

Main-Stream

Niggemeier schreibt so, weil er da ist, wo er schon immer hinwollte. Und damit natürlich um seine eigene Existenzberechtigung, die er sich unzweifelhaft hart erarbeitet hat. Dafür nimmt er aber mit seiner eher frömmelnd-moralischen Betrachtung (Sie erinnern sich: „Ein unmoralisches Angebot“ war auch so ein Erfolgsfilm) billigend in Kauf, dass das gerade neu gespannte Tuch zwischen Lesern und Schreibern zerrissen wird, um das Supremat der schreibenden Zunft wieder herzustellen: Die Deutung dessen, was Alltag sei. Hat er das nötig? Offensichtlich ja.

Der Verfasser dieser Zeilen, ein (nicht behandlungsbedürftiger) Anonymer, vor allem ein Pseudonymer, der seit 4 Jahren auch zu der Freitag-online beiträgt, und damit: die Person, die tatsächlich in Fleisch und Blut am Bildschirm sitzt, ohne geldwert zu kassieren, lässt sich das von einer FAZ verkündete schlechte Gewissen nicht einreden. Dem Schenker vorzuwerfen, dass er keine Gegenleistung will, ist schon eine sehr seltsame Anwandlung; man müsste glatt jede Tafel verbieten.

Aber Nerds, Geeks, Aufmerksamkeitssüchtige: In welche Ecke die FAZ das Publikum auch stellt, das sich über den Leserbrief hinaus zu einer Äußerung bewegt – das sauer zu verdienende Brot der Publizistik wird niemandem dadurch streitig gemacht, dass jemand seine Themen freigiebig in einem Blog öffentlich, allein oder in Gesellschaft beackert. Es kommt allenfalls zum Schwur, wenn sich in der Summe zeigt, dass aus dieser Mitte besseres Wissen oder die überzeugenderen Argumente kommen. Das wäre die verdiente Aufmerksamkeit in einer doch sonst so hoch gelobten konkurrierenden Gesellschaft.

Vielleicht ist das der Grund: Die Angst der Profession vor dem Amateur, der seinen Gegenstand liebt. Oder auch nur, dass sich der Schreiber/Leser eben nicht „von Geld zuscheissen lässt“, wie es genauso plakativ in Kir Royal einmal hieß. Das Bankenviertel, bekanntlich in Frankfurt/Main belegen, lässt grüßen. e2m

e2m veröffentlicht seit vier Jahren auch bei freitag.de. Die Person hat weder finanzielle, gesellschaftsrechtliche noch verwandtschaftliche Interessen an Verlag, Zeitung, Betreiber und deren Personal, sondern ausschließlich philan- thropische am Projekt. Gleiches in Bezug auf alle anderen im Beitrag erwähnten Medien. Und dies ist kein Bewerbungsschreiben.

Im Übrigen ist die Erde: flach.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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