Spaß am gereimten Leitartikel

Legende Vor 80 Jahren wurde Erich Mühsam im KZ Oranienburg ermordet. Ein Lesebuch stellt weniger bekannte Texte in den Mittelpunkt
Ausgabe 28/2014

Das auf die SPD gemünzte Spottgedicht vom Revoluzzer, der, „im Zivilstand Lampenputzer“, die Revolution fahren lässt, damit seine geliebten Gaslaternen nicht kaputtgehen – wer kennt es nicht? Aber Erich Mühsam war mehr als ein scharfzüngiger Humorist. Davon zeugt ein neues Lesebuch, erschienen im Verbrecher-Verlag, der für seine Gesamtausgabe von Mühsams Tagebüchern gerade erst den Kurt-Wolff-Preis erhalten hat.

Das seid ihr Hunde wert! lautet der dem Lumpenlied entnommene Titel des Buchs, mit ihrer Zusammenstellung belegen die Herausgeber Markus Liske und Manja Präkels eindrucksvoll die Aktualität von Mühsams Themen, die Zeitlosigkeit seines Witzes und die Modernität seiner Sprache. Dabei haben sie sich nur selten aus der Palette der mühsamschen Klassiker bedient, sondern jene Texte in den Mittelpunkt gestellt, an denen sich Kulturbetrieb und Parteilinke bis heute stoßen: Seine meist unter Pseudonym veröffentlichten Zeitungsgedichte und die politischen Aufsätze. Auch bislang unbekanntes Material wird vorgestellt, etwa Siegeslied oder Freiheit, beide 1908 unter dem Namen I. Diot erschienen. Siegeslied ist das lyrische Psychogramm eines Polizisten der Eingreiftruppe, das noch heute jeden erfahrenen Demonstranten erheitern dürfte („Feind ist aufs Gerüst geflohn; / Schmidt stürmt nach und hat ihn schon!“), Freiheit eine Kritik der medialen Kampagne rund um den sagenhaften Hauptmann von Köpenick, die sich problemlos auf heutige Fälle, wie den des Erpressers Dagobert, übertragen lässt: „Wisst ihr denn, wie den Schuster Voigt, / bevor er euch, erst ihr betrogt? / Und wie ihr den zermanscht, zerdrückt, / dem kein so guter Witz geglückt?“

Zwar kokettiert der späte Mühsam in Briefen mit seiner Abneigung gegen das, was er den „gereimten Leitartikel“ nennt und was ihm den Lebensunterhalt sichert, doch der Spaß am lyrischen Spott ist den Zeilen schon anzumerken. Gleiches gilt für die meisterhaften Schüttelreime („Mit einem starken Schweden ringen / ist nicht so leicht wie Reden schwingen.“), die er in seinen Jahren der Berliner und Münchner Boheme mit feierlichem Ernst auf Cabaretbühnen vorträgt. Noch Ende 1933, im Gefängnis Plötzensee, dichtet er für seine Frau Zenzl: „Bleib mutig, stark, gesund und froh, – / Dann bleib ich’s nämlich ebenso.“ Zu diesem Zeitpunkt hat Mühsam bereits monatelange Folter im KZ Sonnenburg hinter sich und wird noch mehr davon aushalten müssen, bevor ihn die SS in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet.

Die Schilderung dieser grauenvollen Haftzeit ist ebenfalls im Buch enthalten. Sie stammt aus der Feder Zenzl Mühsams, die die Herausgeber bereits zur Novemberrevolution von 1918 zu Wort kommen lassen. Erich Mühsam hat keine Zeit mehr, seine Korrespondenzen zu pflegen, Zenzl übernimmt und beschreibt in einem Brief an den dänischen Schriftsteller Martin Andersen Nexø, wie sie ihren Erich als Revolutionär erlebt.

Es ist die große Stärke dieses Buchs, dass es diese biografische Ebene durch geschickte Montage von Briefen, Tagebuchpassagen oder Auszügen aus Mühsams Unpolitischen Erinnerungen miterzählt. So fügt sich aus den versammelten Kurztexten eine Art künstlerische Autobiografie. Und auch das Buch ist Teil eines größeren Ganzen: Mit ihrer Band Der Singende Tresen haben Liske und Präkels einige der Texte neu vertont und zur Plattenveröffentlichung von Mühsamblues am 12. Juli ein Erich-Mühsam-Fest mit über 80 Künstlern in Berlin organisiert.

Das seid ihr Hunde wert! Ein Lesebuch Erich Mühsam, Manja Präkels und Markus Liske (Hg.), Verbrecher Verlag 2014, 352 S., 16 €

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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