Fridericus Rex oder Fridericus’ Sex: Die DEFA muss sich entscheiden
Zeitgeschichte 1967 Queer, quirlig und mit Querflöte. Fast hätte die DEFA ein Musical über Friedrich II. gedreht. Doch die Sache verlief im preußischen Sande
Der Filmkomponist Wilhelm Neef hat eine Idee für einen Abenteuerfilm. Neef, Jahrgang 1916, arbeitet viel für die DDR-Filmproduktion. So hat er etwa die Musik zum klotzig-aufwendigen Ernst-Thälmann-Zweiteiler der 1950er Jahre geschrieben, Regie Kurt Maetzig. Seine Arbeit für die Komödie Wenn du groß bist, lieber Adam andererseits kommt wegen des berühmten Rundum-Kahlschlags 1965 in keinem Kino zum Klingen, solange die DDR existiert.
1967 skizziert er der DEFA in kurzen Zügen nun folgende Idee: Preußens König Friedrich II., zur Zeit der Handlung 31 Jahre alt, empfängt seinen Freund Voltaire auf Schloss Sanssouci, das noch im Bau ist. Der Preuße, „von langen Kerls und einem Schwarm Pagen, aber keiner Frau umgeben“, will de
ben“, will des Franzosen Meinung übers entstehende Schloss erfahren und muss hören, wer Versailles kenne, empfinde Sanssouci als mickrige Kopie. Doch eins vor allem fehle, Frauen. „Frauen?“ „Ja.“ Friedrich, der schon als Kronprinz mit einer von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern verheiratet worden ist, lebt von dieser Frau getrennt. Aber was Voltaire meint, sind: „Maitressen! Ein König ohne eine einzige Maitresse ist kein Souverän, zählt nicht, kann sich nicht sehen lassen. Der König von Frankreich hat sie hundertweis’.“ Aha, na ja, wenn dem so ist, alors en marche! Fritz befiehlt, eine Dame müsse her, eine Ausnahmeschönheit selbstverständlich, man beschaffe sie, tout de suite! Emissäre durchstreifen halb Europa. In Venedig finden sie Barbarina Campanini.Diese Tänzerin gab es wirklich. Sie galt als eine der besten weltweit. Und ist tatsächlich Mätresse Friedrichs II. geworden. Voltaire notierte in schöner Offenheit über die importierte Galanterieware: „Der König hatte diese Tänzerin in Venedig durch Soldaten wegnehmen und über Wien nach Berlin bringen lassen. Er war ein wenig in sie verliebt, weil sie Mannsbeine hatte. Was aber unbegreiflich war, dass er ihr 32 Tausend Livres Salarium gab. Sein italienischer Poet, den er die Opern, wozu er beständig den Plan selbst entwarf, in italienische Verse setzen ließ, hatte nur 12 Hundert Livres Besoldung; man muss aber auch erwägen, dass er sehr hässlich war und nicht tanzte. Mit einem Wort, Barbarini bekam allein mehr als drei Staatsminister.“Den Mythos um den alten Fritz satirisch zerstörenBarbarina also – weiter in Neefs Handlungsskizze – wird vom saftigen Süden ins sandige Preußen kutschiert. Man schließt einen Contract mit ihr, und der König präsentiert seine Eroberung dem diplomatischen Corps. Ansonsten mag er mit der selbstbewussten Frau nichts anstellen, er spielt lieber auf seiner Flöte. Barbarina langweilt ihre Rolle als Staffage. Sie türmt aus dem öden Berlin-Brandenburg, wird wieder eingefangen, verliebt sich in den Sohn eines Kanzlers, wird entführt, zurückerobert und schließlich vom König verheiratet und abgeschoben auf ein Gut im niederschlesischen Nirgendwo. Mantelschöße flattern, Degen klirren, Reiter stürmen, es gibt Hauen, Stechen, Jagen, auch Exerzieren und Tanz auf der Opernbühne.Die Idee hat Witz. Erzählt sie doch, wie eine zentralistische Herrschaft sich mit viel Aufwand bemüht, comme il faut und „von Welt“ zu erscheinen. Der mit dem Dreispitz auf dem Kopf behauptet, er sei der erste Diener seines Staats. Der mit dem Spitzbart sagt, es müsse alles demokratisch aussehen, „aber wir müssen es in der Hand haben“. Diesen Punkt expliziert Neef in seinem Vorschlag natürlich nicht. Er schreibt aber: „Das Genre, das dieser Film versucht, fehlt in unserer Filmprogrammatik ganz. Der Abenteuerfilm entspricht einem Bedürfnis des Publikums, das bis jetzt weitgehend durch ausländische Filme befriedigt werden musste. (Man hat einmal den Versuch mit Mir nach, Canaillen! gemacht.)“ Neef regt an, den Streifen musicalhaft zu gestalten, er selbst werde die Musik komponieren, und er wünscht sich, Barbarina auf 70-mm-Film gedreht zu sehen, in Farbe natürlich. Teuer! Über die Figur des ja überhaupt noch nicht „alten Fritzen“, meint Neef, könne gelacht, „sein Mythus satirisch zerstört“ werden.Fridericus gay? Das ist gewagt Mitte der 1960er, und zwar nicht nur in der DDR. Schwule in Filmhauptrollen gibt es so gut wie keine, nirgends. Die wenigen sind tragische. Und als komische Sidekicks tänzeln sie ausnahmslos am Rand der Gesellschaft, des guten Geschmacks und des Nervenzusammenbruchs. Bis zum ersten (und letzten) queeren DEFA-Film dauert es noch reichlich 20 Jahre. Coming Out feiert seine Premiere in der Nacht des Mauerfalls (der Freitag 42/2019); und beginnt immer noch mit einem Suizidversuch. – Was für ein Spaß, was für ein Lachen „über (!) den alten Fritz“ wäre das am Ende geworden, wäre Barbarina wirklich gedreht worden? Das Exposé lässt es offen. Neef sagt fürs Erste bloß: Leute, macht euch mal locker.Eine gerade Linie reaktionärer PolitikLocker? Friedrich II. – auf gar keinen Fall „Friedrich der Große“, wichtige Sprachregelung! – ist in der DDR eine hochpolitische Angelegenheit. Da geht man zum Lachen lieber in den Keller oder besser noch – und um im Bild zu bleiben – gleich in die Ruine des Berliner Führerbunkers. Der „Tag von Potsdam“ im März 1933 stand am Anfang von Hitlers Herrschaft. Als der Krieg zwölf Jahre später sein elendes Ende fand, hing in des „Führers“ Bunkerraum als einziges Bild ein Porträt vom alten Preußenkönig. Der war auch zuvor schon gründlich vereinnahmt und verklärt worden. Schüler kaiserlicher Lehranstalten, denen eingeprügelt wurde, es sei „süß und ehrenvoll“, im Krieg fürs Vaterland zu sterben, wussten alle guten Taten des großen Königs aufzusagen.Die DDR macht damit Schluss und definiert: Preußen, dessen Adel, die Nazis, das ist eine schnurgerade Linie reaktionärer Politik. Ihr Ziel immer der Krieg. Bertolt Brecht reimt 1950, als Fritzens Reiterstandbild vor der Berliner Humboldt-Uni vom Sockel kommt: „Da war der Lehrer Huber, / der war für den Krieg, für den Krieg. / Sprach er vom Alten Fritzen, / sah man sein Auge blitzen, / aber nie bei Wilhelm Pieck.“Auch sieht sich die DEFA, dreht sie einen Fridericus Rex, einer unguten Babelsberger Tradition gegenüber, die zur politischen Indienstnahme des Herrschers über Jahrzehnte die passende Kinounterhaltung lieferte. Otto Gebühr, der ewig „alte Fritz“, hatte in zwölf Filmen den Monarchen gespielt; zuerst 1919 in einem Streifen ausgerechnet mit dem Titel Die Tänzerin Barbarina.In der EntwicklungshölleDas also ist die Lage. Was wird aus Neefs Idee? Nun, so schnell schießen die Preußen nicht, auch keine Filmbilder. Barbarina gerät in etwas, was man in Hollywood „development hell“, die Entwicklungshölle, nennt: Es wird an einer Idee so lange herumgedoktert und -gewerkelt, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Neef arbeitet, schreibt, strickt die Handlung neu und legt 1971 ein Exposé vor. Inzwischen ist der für den Film vorgesehene Regisseur gestorben. Der neue, Ralf Kirsten – er hat Mir nach, Canaillen! gedreht –, holt seine Frau mit ins Boot. Von jetzt an rudern zwei, und jeder will woandershin.Brigitte Kirsten macht Barberina (!) Campanini zur Hauptfigur und möchte in einem Biopic „die Geschichte einer Schustertochter aus Parma“ darstellen, deren Stern kurz leuchtete „und bald darauf unterging“. Italien, Frankreich, England, Preußen sind Handlungsorte. Der Film wird (auf dem Papier) immer teurer. Brigitte Kirstens erstes Exposé datiert von 1972. Es folgen mehrere Drehbuchfassungen. Neef komponiert indessen schon Songs. Probeaufnahmen entstehen. Ein Drehbuch Neefs, Barbarina – ein Film-Musical, unter Mitarbeit des Regisseurs Celino Bleiweiß geschrieben, ist im Dezember 1974 fertig. Später wird Bärbel Wallstein als dritte Autorin hinzugezogen. Ihr Exposé liegt 1978 vor. Neef, hochgradig genervt, wendet sich an den Generaldirektor der DEFA, Hans Dieter Mäde, und drängt ihn, sich die existierenden Probeaufnahmen anzuhören, um zu erleben, dass dieser Stoff nicht Qual, sondern Vergnügen sei.Das Studio beauftragt einen Lektor. Der wühlt sich durch Stofffassungen aus nun mehr als zehn Jahren. Besonders missfällt ihm die letzte, weil sich ihm darin eine „Preußenoperette“ andeutet, „womit sowohl die Betulichkeit und Einfallslosigkeit der Gestaltung gemeint ist als auch, dass der Preußenkönig zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte gemacht wird. Persönlich erschiene mir jede beliebige Verfilmung einer gestandenen Offenbach-Operette weitaus akzeptabler als eine derartige ‚Neuentwicklung‘ durch unser Studio.“Die Akte Barbarina wird geschlossen, kein Filmbild entsteht. Das Standbild Friedrichs II. Unter den Linden dagegen nimmt 1980 wieder seinen Platz ein. Die Zeiten haben sich geändert. Ingrid Mittenzweis Biografie Friedrich II. von Preußen markiert 1979 einen (lange im Hintergrund vorbereiteten) Wendepunkt. „F zwo“ darf fortan als widersprüchlicher Herrscher gelten. Claus Hammel, Hausautor am Volkstheater Rostock, schreibt Die Preußen kommen. Der Theaterspaß wird 1981 mit großem Erfolg uraufgeführt und landesweit nachgespielt. Ein Lustspiel über den ollen Fritzen, geht doch! Man muss nur wissen, wann. Und nicht so schwul, bitte.