Wegen einer Familienangelegenheit musste ich hin, aber müssen muss man nur sterben, lieben und aufs Klo – nicht nach Amerika. Zur Strafe hockte ich dann da, an der Westküste, eingeschüchtert wie das Kaninchen vorm Weißkopfadler. Die Landschaft war GREAT, alles ist GROSSARTIG in den Vereinigten Staaten. Einen wie Trump hätten die Amerikaner gar nicht nötig. Auch ohne ihn pflegen sie ein quasi-totalitäres Begeistertsein von sich selbst. Egozentrik übertünchen sie durch aggressive Aufmerksamkeit, HONEY. WISH YOU A GREAT DAY. YOU’RE VERY WELCOME. Der Vorbehalt in den Augenwinkeln stellt sicher, dass die Freundlichkeit als Konvention erkennbar bleibt: BITTE NICHT ZU ERNST NEHMEN. Weil das dann doch zu mühsam wäre, in der Konsequ
, in der Konsequenz.Wenn man wirklich gut zueinander wäre, könnte man einander nichts verkaufen, könnte einander nicht ständig übertrumpfen wollen, könnte nicht das Leben um ein goldenes Kalb namens ERFOLG herumgruppieren und zu Tode reiten, während man in unnatürlich hoher Tonlage LOVELY, WONDERFUL, AWESOME juchzt. Nur, was sie wirklich denkt, sagt keine. Deshalb bin ich von jedem „How d’you do“ überfordert. Und küsse den Boden, als ich endlich wieder deutschen unter den Füßen habe. Fort von den riesigen Sonnenbrillen, Portionen, Wäschetrocknern, Wagen. Fort von der panzerartigen Freundlichkeit, die exakt bis zum Privateigentum reicht: NO TRESPASSING! Betreten verboten! Zu Fuß gehen? Never ever!„Indianer“ sagt niemand nicht mehr, aber den Landraub perpetuiert jeder mit jedem Schritt und Blick. Zum Ausgleich stellen die Progressiven in den weißen Vierteln, deren Kühlschränke und Häuser nicht weniger protzig sind als die mit der US-Flagge gebrandeten, großbuchstabige Glaubensbekenntnisse in ihre Vorgärten: WE BELIEVE BLACK LIVES MATTER FEMINISM IS FOR EVERYONE SCIENCE IS REAL. Dazu gibt es gechlortes Wasser, Getränke in Dosen und Wegwerf-Maßlosigkeit, als gäbe es kein Morgen. Das deutsche Pfandsystem oder gar Zu-Fuß-Gehen kommen einem dort so vergeblich vor wie das 1,5-Grad-Ziel. Denn wir Europäer folgen wie die Lemminge: „Follow the science“ ist auch für uns noch lange kein Grund, den eigenen Lebensstil zu ändern. Die Festgefahrenheit des american way of life fährt auch Europa gegen die Wand. Nicht nur die Revolution frisst ihre Kinder, auch die ausbleibende Revolution zerstört alle, die sich vorrangig als Kunden begreifen, weitere Kunden produzierend, aufgehübscht mit den allerorten blinkenden Lebensweisheiten – BE YOURSELF! MAKE A DIFFERENCE! – in jenem Twentyfour-seven-Supermarkt, der sich USA nennt und alles niederzuwalzen droht, das nicht nach seinen Gesetzen funktioniert.„Werte“ als Kaugummi der WeltverschlechterungUmso aufdringlicher wird so getan, es ginge um so genannte Werte. FREEDOM. SAFETY. HUMANITY. Sie sind der Kitt des Marktes, das Kaugummi der Weltverschlechterung, das mentale Schmieröl. Mit ihnen wird fröhlich weiter die Umwelt zerstört und der Klimaanlagenschwachsinn befeuert. Dieses Land, von dem aus die Große Achtsamkeit in die Welt schwappt, die jeden sprachlichen Furz zum pseudorevolutionären Akt macht – Gender, Anti-Rassismus, Anti-Sexismus, Body-Positivity, blabliblu – dieses unerhört sprachsensible Amerika lenkt erfolgreich davon ab, dass es vor allem die Große Unachtsamkeit exportiert. Mit grandioser Selbstverständlichkeit macht es weiter wie gehabt, Hauptsache Haben, Hauptsache hart sein, und dieses toxische Weitermachen wirkt mit jedem neuen Kulturexport effizienter als nur angeblich weltverändernde Sprechakte: Der kapitalistisch geförderte und geforderte cooler-Hund-Egoismus gilt als alternativlos. Schließlich ist man Amerikaner und gehört zur großartigsten, fortschrittlichsten, liberalsten, wissenschaftsbasiertesten Nation EVER! Und NETT sind alle, WAHNSINNIG NETT. Wenn Europa, wenn Deutschland von den USA etwas lernen kann, dann ist es, zu sich selbst netter zu sein als dieser Text zu den USA: selbstwertschätzenden Protektionismus gegen die zerstörerischen Zumutungen der US-Unkultur. Besser schlecht gelaunt Pfandflaschen zurückbringen auf holprigen Fahrradwegen, über die Steuererklärung murren und staatlich subventioniert ins Theater gehen als mehr oder weniger selbstironisch cheerleaderartig „großartig!“ zum größten Scheiß jubeln.Sonst verblöden auch wir Deutschen zu Burgern, die am Drive-In politisch korrekt Denglisch jodeln: Fremde im eigenen Land.