Impfkampagne von Karl Lauterbach: Am Lagerfeuer der Vernünftigen

Meinung Unter dem Motto „Ich schütze mich“ startet die neue Impfkampagne von Karl Lauterbach. Nebenbei räumt er damit ein Dogma der Pandemiebekämpfung ab
Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellt die neue Impfkampagne vor. Im Hintergrund, Autorin Margarete Stokowski
Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellt die neue Impfkampagne vor. Im Hintergrund, Autorin Margarete Stokowski

Foto: Metodi Popow/Imago Images

Nun ist es raus. Der Winter wird hart, die Wohnungen kalt, in öffentlichen Innenräumen holt man sich Covid – da hilft nur eins. Der Bundesgesundheitsminister hat’s erkannt. Er lädt ein zum „Lagerfeuer der Vernünftigen“. Damit sind alle Geimpften gemeint – wer nicht geimpft ist, muss frieren. Nebenbei räumt Karl Lauterbach ein Dogma der „Pandemiebekämpfung“ ab – die Solidarität nämlich.

Die Vernünftigen am Lagerfeuer brauchen sie nicht mehr, sie dürfen ihrem Egoismus frönen. „Ich schütze mich“ heißt die neue, 32,7 Millionen Euro teure Impfkampagne. Mit dem Geld hätte man eine Menge cooler Jugendreisen organisieren können, inklusive Lagerfeuer. Oder Masken für die Bedürftigen, dazu den einen oder anderen Corona-Test.

Man hätte Aufklärungsteams in impfskeptische Milieus schicken können – aber darum geht es Lauterbach ausdrücklich nicht. Er will nicht diejenigen ansprechen, die Vorbehalte gegenüber dem Impfen haben, sondern die Impfwilligen – also die, die sich dann nachher, mit dem Impfpflaster als Branding, am Lagerfeuer versammeln und – natürlich mit zwei Metern Abstand! – gemeinsam ein schunkelndes Impflied singen, zum Beispiel „Yesterday, oh my troubles seemed so far away, now it looks as though they’re here to stay …“

Es steht zu befürchten, dass an diesem Lagerfeuer dann auch Dr. Eckart von Hirschhausen mit seiner Gitarre sitzt, alle penetrant duzt und der versammelten Vernunft Organspendeausweise und sein neues Buch aufdrängt. Immerhin: 84 Menschen hat der Gesundheitsminister bereits überzeugt. Auf Plakaten und in Videos „erzählen“ sie ihre „persönlichen Geschichten“, jeden Tag outet sich in überwältigender Schlichtheit ein neuer Vernünftiger, stellvertretend für die „breite Mehrheit“, denn Mehrheiten haben heutzutage breit zu sein.

Margarete Stokowski ist Gesicht der Impfkampagne

Wahrscheinlich klingt das in den Ohren der Vernünftigen irgendwie fetter als „groß“, und bei „breit“ kann man dann gleich noch an die Risikogruppe der Übergewichtigen denken und breit mahnen: IMPFEN GEHEN! Gerne auch über das von der Ständigen Impfkommission empfohlene Maß hinaus. Also doppelt- und fünffach boostern! Vernunft kennt kein Maß, nicht beim Impfen! Lauterbach jedenfalls scheint zufrieden, ja, fast wirkt es, als sei das Comeback von Corona zumindest für ihn ein Grund zur Freude: „Die Pandemie ist zurück“ – endlich!?

Seltsam nur, dass der Minister sich ausgerechnet Margarete Stokowski als „Gesicht der Kampagne“, wie es im Werbeslang heißt, geholt hat. Die Autorin leidet, trotz dritter Impfung, nach einer Corona-Infektion unter Long Covid. Sie tut dies vernünftigerweise öffentlich, damit Long Covid ein Gesicht hat. Die Vernünftigste aller Zero-Covid-Verfechterinnen twittert seit Monaten über ihre Krankheit, beklagt sich, dass sogar viele Ärzte sie nicht ernst nähmen, und berichtet auf der Pressekonferenz ausführlich von ihren Symptomen – Müdigkeit, „krasse Kopfschmerzen“, „Kribbeln in verschiedenen Körperteilen“, Konzentrationsstörungen.

Schon ein Gang zum Supermarkt sei ein Kraftakt. „Ich bin hier heute das Abschreckungsbeispiel“, erklärt die 36-Jährige sehr ernst. Das mag sein, aber man fragt sich unwillkürlich: wofür? Denn Stokowski infizierte sich, nachdem sie geboostert war. Sie habe sich draußen angesteckt – woher sie das weiß, verrät sie nicht – und rät dringend, „auch im Freien Maske zu tragen“. Also auch am Lagerfeuer der Vernünftigen. Es wird wohl kein Freudenfeuer.

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Geschrieben von

Katharina Körting

Freie Autorin und Journalistin

2024 Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

Katharina Körting

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden