Wir waren in Berlin-Mitte und haben uns eine Ausstellung über Richard Wagner angeschaut. Es ging auch um den Kapitalismus, Wagner war dagegen. Er hat behauptet, die Juden seien schuld – am Kapitalismus und daran, dass er als Künstler anfangs keinen Erfolg hatte. Und weil er nicht wollte, dass Kunst zur Ware wird. Während er das nicht wollte, hat er seine Kunst erfolgreich vermarktet, auch seinen Antisemitismus. „Weil ich’s kann!“, hätte er vielleicht ähnlich reist geantwortet wie die Heutigen, die sich cool vorkommen, wenn sie die Schöpfung zerstören, indem sie völlig überflüssige Dinge tun. Einfach nur, weil es möglich ist. Zum Beispiel von Berlin nach München fliegen, als wäre die eigene Zeit kostbarer als das Überleben aller. Das Licht brennen lassen und hemmungsloses Stand-By. Die eigene Energie sparen statt Strom, bequem bleiben mit jedem Klick. Weil wir’s können.
Das Museum war runtergekühlt auf gefühlt 16 Grad. Wir froren. Wir ärgerten uns. Wir blieben nicht lange. In einem Café in der Nähe haben wir darüber geredet. Äußerlich machte der Laden einen vertrauenerweckenden Eindruck. Es gab Getränke in Emaille-Bechern. An der Decke hing in Erdkugelform die Mahnung „There ist no planet B“, es gibt keinen zweiten Planeten. Neben der Kasse zeigte ein stromfressender Liveticker den aktuellen Ressourcenverbrauch an. Die Pommes kamen in beschichteter Pappe. Man hatte die Wahl zwischen einer Holz- oder Plastikgabel, neben dem Wegwerfbesteck stand eine Pflanze, die mit einem Plastikschild für sich warb: „Ich bin nicht aus Plastik“. Das ist halt das Ding, sagte meine Begleiterin: einen auf klimasensibel machen, damit die Kunden kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie weiter die Umwelt versauen. Achtsamkeitsswashing. Selbstdarstellung statt wirksames Handeln. Weil wir’s können.
Der Wunsch nach Verdrängung ist verständlich – es ist verdammt mühsam, achtsam zu sein. Wenn man einmal damit anfängt, hält man es kaum noch aus. Alles springt einen an, auch wenn man sich umweltfreundlich fortbewegt. Der öffentliche Raum ist vollgestellt mit Werbung für neuen Müll, für die nächste Unachtsamkeit, und fast immer ist sie „digital gestützt“, wie es so hübsch heißt, was bedeutet: sie verbraucht eine Menge Strom. Als müsse, wer nur mal eine Sekunde nicht auf sein Werbetelefon guckt, sofort weiterversorgt werden mit Bedürfnissen, die es energieaufwändig zu befriedigen gilt – möglichst sofort. To-go. Eins nach dem anderen, oder gleichzeitig, rauf und runter, hin und her, wische-wasche, alles bewegt sich ohne Unterlass, nur die Köpfe nicht. Wo doch mal ein Plakat aus schlichtem Papier zu sehen ist, wird es angestrahlt, damit es auch mitten in der Nacht die allgemeine Verblendung beleuchtet. Weil wir’s können.
Sparen bringt keine Likes
In der Zahnarztpraxis dröhnt die Klimaanlage. Es gibt einen Wasserspender mit Plastikbechern. Bei strahlendem Sonnenschein ist das Licht im Wartezimmer eingeschaltet. „Die Patienten beschweren sich sonst“, behauptet die Sprechstundenhilfe. Außer mir sitzt keiner im Raum, also schalte ich das Licht heimlich aus, das ist mein popeliger ziviler Ungehorsam. So mache ich es auch im Büro oder in der Volkshochschule, wenn ich zum Pilates gehe. Sie heizen dort die Toiletten auf Saunastufe und lassen gleichzeitig die Fenster auf Dauer-Kipp, damit man nicht schwitzt. Schon vor Corona war das so. Wie es in diesem Herbst wird, weiß ich nicht, aber ich fürchte, die Mühlen der Ämter mahlen so langsam, dass die Flüssiggasterminals sich rasant leeren werden. Ich klappe die Fenster zu und versuche, die Heizung runterzudrehen, auch in den Fluren, aber oft sind die Schrauber auf maximale Hitze festgestellt, und die – immerhin per Bewegungsmelder gesteuerten – Lampen lassen sich nicht ausschalten, obwohl sie seeeehr lange brauchen, ehe sie „entscheiden“, dass sich wirklich niemand mehr bewegt.
Wozu tageslichtzugängliche Flure elektrischstrahlendhell sein müssen, habe ich auch vor der „Energiemangellage“ nicht verstanden – so schön sind sie ja auch nicht. Wegen der Heizung und der Fenster schrieb ich vor Jahren eine Mail an mehrere Adressen der Verwaltung, eine Antwort erhielt ich bis heute nicht, nicht mal eine automatische. Ist anscheinend zu aufwändig. Sparen bringt keine Likes, erscheint nicht mit großen Buchstaben in der Zeitung. Stattdessen stehen dort Überschriften wie „Wir brauchen in den Kiezen ein Recht auf Schatten“. Fordern kommt immer gut. Fordern ist laut. Heizung runterdrehen ist leise. Wer auf weniger Verbrauch achtet, auf den achtet keiner. Beim Sparen kann man keine Reden halten, muss dafür keinen PR-Berater engagieren – man muss es nur einfach mal machen bzw. eine Menge sein lassen. Beim Nichtmachen kann man sich aber nicht breitbeinig hinstellen und „Weil ich’s kann“ ins Mikrofon blöken.
„Weil ich’s kann“ dürfte sich auch der russische Präsident gedacht haben, als er sein Nachbarland überfiel und Soldaten aus ärmlichsten Verhältnissen in den Tod schickte (bei den Reichen wäre es schwieriger zu vermitteln). „Weil ich’s kann“ hat mit Geld und mit Macht zu tun, auch mit den vielberaunten Strukturen, aber noch mehr mit Beschränktheit auf das eigene aufgeblasene Ich. Irgendwann platzt es, aber dann ist es zu spät, und vorher will man rausholen, was geht: „Hauptsache, mir geht’s gut.“ Und damit auch ja möglichst viele den Mist mitmachen, lässt man erfolgreich die Ideologie verbreiten, der eigene Egoismus führe zum Wohle aller – darin gar nicht unähnlich der Ideologie, das kommunistische Paradies auf Erden komme ganz gewiss, wenn man nur fest genug daran glaubt, und die Hölle, die auf dem Weg dorthin durchschritten werden muss, zählt nicht. Ob Egoismus oder Kommunismus als höherer Wert propagiert wird, ist der ausgebeuteten Umwelt ziemlich egal. Erst machen wir alles kaputt, dann erfinden wir Begründungen dafür, warum die Zerstörung alternativ los ist. „Menschen sind so.“ „Die Sachzwänge.“ „Die Wirtschaft.“ „Die Verwaltung.“ „Die Geopolitik.“ „Das Wachstum.“ „Der internationale Wettbewerb.“ „Die strukturelle Verantwortungslosigkeit.“ „Wir können nicht anders.“ Wirklich nicht?
Die Bäume in Berlin werfen jetzt ihre großen Äste ab. Nicht, weil sie’s können, sondern weil sie’s müssen: Es ist zu trocken. Bevor sie uns erschlagen, könnten wir von ihnen lernen. Alles abwerfen, was nicht nötig ist. Loslassen. Schrumpfen. Nichtmachen. Dafür brauchen wir keine neue Ideologie, auch keine alte. Der gesunde Menschenverstand reicht völlig aus: Weil wir’s können!
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