Wer über die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, im Vorhinein urteilte, sie könnte ihre Aufgabe allzu „woke“ gestalten und dabei die Belange der Mehrheitsgesellschaft vergessen, wird sein Vorurteil revidieren müssen. Ataman äußerte kürzlich, dass sie Altersdiskriminierung für ein sehr unterschätztes Phänomen hält, und kündigte an, den Artikel 3 des Grundgesetzes um den Begriff „Lebensalter“ zu ergänzen. Dort heißt es bisher: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Beh
ösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Reiht sich „Lebensalter“ bald in die Aufzählung ein?Ein Artikel zu Atamans Vorstoß wird im Netz mit einem modisch gekleideten Senior bebildert, der, einen Sommerhut auf dem Kopf, dynamisch durchs Grüne spaziert. Jedoch, Missverständnis! Ataman meint von Alterdiskriminierung Betroffene um die 50 Jahre, und die notorisch verdruckst-verlegene Bebilderung zum Thema „irgendwas mit Alter“ beweist hier nur nebenbei, wie unterschätzt das Problem in dieser Alterskohorte sein muss.Angefangen beim Arbeitsmarkt. Dass Schauspielerinnen weniger Rollenangebote erhalten, wird noch pflichtschuldig ins Rampenlicht gerückt. Kaum beleuchtet wird jedoch die beschämende berufliche Benachteiligung von Normalos allerspätestens ab 50 Jahren. Diese findet branchenübergreifend ganz normal statt, in Wirtschaft und Verwaltung, an Schulen und Universitäten. Und dies trotz der hohen Nachfrage an Fachkräften oder Angestellten im öffentlichen Dienst, trotz eines gesetzlichen Renteneintrittsalters von derzeit 66 Jahren und Studien, die belegen, dass gerade die Schwelle zu dem fünften Lebensjahrzehnt für viele Menschen spannende, kreative Fragen einer Neujustierung des Lebens aufwirft, gerade weil es noch einige Jahre hin sind bis zum offiziellen Ruhestand. Und manche arbeiten ja selbst dann noch weiter.Wenn die Leute nur machen könnten, aber kreditwürdig sind Fifty-Somethings ja leider auch nicht mehr. Stattdessen also aufgezwungene Midlifecrisis. Fifty-Somethings sind zu alt, um noch zu habilitieren, zu alt für eine berufliche Umorientierung oder einen kompletten Neustart bei Jobverlust. Ataman berichtet, dass viele Beschwerden bei der Antidiskriminierungsstelle eingehen, die sich um berufliche und ökonomische Benachteiligung drehen. Betroffene auf Jobsuche berichteten, dass sie Hunderte von Bewerbungen schreiben und kein einziges Mal zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden. "Oder dass sie im Job keine Fortbildungen bekommen, weil Arbeitgebende sagen, das lohne sich nicht mehr“, so Ataman.Diskriminierung werde zudem im Zuge der allumfassenden Digitalisierung aller Lebensbereiche erlebt. Hinzufügt sei, dass digitale Diskriminierung nicht nur durch Ausschluss an gesellschaftlicher Teilhabe funktioniert; auch wer als Ü-50er offenkundige Nachteile der Digitalisierung benennt, landet schnell in der Schublade mit der Aufschrift „digital vergreist“.Auch im Feminismus gibt es einen blinden Fleck. Beim Thema Gleichberechtigung wird seit Jahren die junge Frau positiv diskriminiert. Mittelalte Frauen hingegen werden unsichtbar, überflüssig, sollen ihre „Privilegien checken“, stehen überdies im Ruf, das patriarchale System von weißen cis-Männern zu stützen. Der mittelalte Mann gilt bekanntlich als fossiles Faktotum, als öffentliches Ärgernis. Aber, fragt man sich, wo soll er denn hin?Kurzum: Ataman trifft einen gesellschaftspolitischen Nerv, ihr Vorstoß könnte zu einer Sensibilisierung in der Gesellschaft beitragen, Selbstermächtigung befördern, sollte sich in Gesetzen niederschlagen. Ein Vorschlag auf die Schnelle: Mehr gesetzliche Urlaubstage ab 50!