Kegeln an Karneval, mit Perücke und Alaaf?

Gesellschaft Seit ein paar Jahrzehnten stirbt die Tradition des Kegelns aus – und damit eine weitere Möglichkeit der Begegnung. Unsere Autorin hätte mal wieder Lust auf eine Runde. Einen Anlass gäbe es schließlich
Ausgabe 45/2021
Der Kegelklub war auf seine Weise eine illustre Gesellschaft
Der Kegelklub war auf seine Weise eine illustre Gesellschaft

Foto: Fox Photos/Getty Images

Meine Eltern überstanden so manche Ehekrise und das Dorf, weil sie über 25 Jahre Mitglied in einem Kegelklub waren. Besser gesagt, in einem Klub jeweils getrennt nach Geschlecht und gemeinsam noch in einem Gemischtverein. Wenn in dem hernach noch Skat gekloppt wurde, musste die Mutter bis zum Schluss bleiben und den Vater im Mercedes nach Hause kutschieren. Es war auch sonst was los, einmal, nach einer Karnevalsveranstaltung, plötzlich ein seltsames Scharren im Schlafzimmer: Zwei Kegelbrüder hatten der Mutter einen Igel neben das Bett gesetzt.

Kegelboom (in Ost und West) ab den 1960er Jahren, und jedes Jahr ging es auf Kegeltour. Bamberg, Prag, München. Legendär wurde letztere Fahrt: Vor der Rückreise noch auf ein Bier in die Bahnhofskneipe (morgens), dann war der Zug weg. Manche Frauen bekamen Schimpfe. Meine Mutter nicht.

Der Männerklub war auf seine Weise eine illustre Gesellschaft. Wenige Bauern waren dabei, obwohl im Dorf ja 95 Prozent Bauern waren. Mit dabei der Schreinermeister, der Ortsvorsteher, ein Gastwirt (ohne Kegelbahn, sonst hätte man ja bei ihm kegeln müssen), ein Polizist, zwei „ewige Junggesellen“ (Angestellte) und später Zugezogene, die sich integrieren mussten: der Steinmetz, der in der alten Schule mit seiner emanzipiert aussehenden Frau wohnte, ein emeritierter Richter. Und dann noch mein Vater, der Viehhändler.

Jeden zweiten Freitag kegelten die Hausfrauen, es war ihr „safe space“. Nicht jeder Mann sah das gern. Diese Frauen bekamen auch Schimpfe wegen München. Meine Mutter nahm den Kegelsport ernst, sie wurde oft stolze Kegelmeisterin. Es bewies, dass mehr in ihr steckte, als Hausfrau zu sein und sich um uns, das Vieh, die Felder, die Großeltern zu kümmern. Da war emanzipatorisches Potenzial, eine Legende: der eigenmächtige Verkauf von vier Kälbern zu einem sagenhaften Preis.

Der Kegelklub war das soziale Dorf im Dorf, Gemeinschaft, Gesellschaft mit Unterschieden. Hier pflegte man Alltagsfreundschaften. Das waren keine Herzensangelegenheiten, man kam miteinander klar. Pflegte eine Distanz, die zu Hause ja fehlte. Die der Mensch aber braucht. Seit ein paar Jahrzehnten nun stirbt diese Tradition. Es fehlt Nachwuchs, es wird weniger Bier getrunken, niemand will sich mehr festlegen, beim Kegeln fehlt die „popkulturelle Lifestyle-Komponente“ (FAZ). Auch die letzten Gastwirte finden keine Nachfolger, weshalb die Kneipe ja auch stirbt. Und das Dorf. Das Dorf meiner Eltern ist nicht die Zukunft. Sehr sehenswert derzeit zum Thema ist die ARD-Dokumentation Wir alle. Das Dorf über ein „solidarisches, interkulturelles, ökologisches“ Dorfprojekt im Wendland. Wenn man so will, ist das die progressive Variante der Vereinsmeierei. Nur: Visionen, wen wundert’s, kollidieren hier am Ende des Tages mit Kapital und Leuten, die wegen Visionen lieber zum Arzt gehen.

In der Pandemie schwinden soziale Strukturen weiter. Das gilt auch für andere Rituale, die Verbindung im Alltag schaffen, bei denen man Menschen antreffen kann, die bittschön woanders wohnen als man selbst. Anders sind als man selbst. Jetzt in der Fünften Jahreszeit könnte, wer es denn mag, unter strengen Regeln zum Beispiel in Köln mal wieder in eine andere Rolle schlüpfen. Wenigstens das. Indianer geht nicht, klar. Und könnte sein, dass man die sonst notorisch beliebte Krankenschwester und den männlich dominierten OP-Kittel mit Stethoskop nicht so oft sehen wird. Es ist grad nicht lustig. Zwar ist der Arztberuf weiblicher, aber zuletzt nicht attraktiver geworden. Chefarzt, war neulich zu lesen, will in echt keiner mehr werden. Traurig. Andererseits: Jetzt erst recht? Mal wieder kegeln gehen, am 11.11., mit einer doofen Perücke auf dem Kopf? Ich hätte Lust drauf. Gut Holz, Alaaf.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

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