Läuft bei uns, Bro!

Die Helikoptermutter Ismen haben bei den Kids von heute keine Chance mehr, stellt unsere Kolumnistin fest
Ausgabe 28/2018
„Ich such mir einen Underdog, vielleicht die Kroaten“
„Ich such mir einen Underdog, vielleicht die Kroaten“

Foto: Jemal Countess/Getty Images

Auf gesellschaftspolitisch heiklem Terrain sind die Kinder gut unterwegs, finde ich, die Jungs umdribbeln lässig interkulturelle und zwischenmenschliche Fettnäpfchen, argumentieren mit Selbstverständlichkeit. Das Bemerkenswerte daran ist, dass wir Eltern erziehungstechnisch wenig damit zu tun haben, der gute Einfluss kommt woandersher.

Erstens: irgendwas mit Nationalismus. Als die Deutschen in der Vorrunde rausgeflogen sind, gab es, kaum zu glauben, nicht eine Träne. Totale Abgeklärtheit. Warum? Die WM auf „FIFA 18“ durchzuspielen war spannender. Zwei Kumpels hatten das letzte Spiel der Deutschen gegen Südkorea gar nicht geschaut, weil das Viertelfinale auf „FIFA 18“, Mexiko gegen Argentinien, gerade mehr zu bieten hatte.

Bei dieser WM zeigt sich, dass Computerspiele tatsächlich eine zivilisierende Funktion haben können. „FIFA 18“ ist einfach super. Die Spiele werden von echten Fußballreportern kommentiert, das Spiel kommt der Realität so nah, dass Oma einmal angesichts der Virtual Reality richtig erschrocken war, als dieser „arrogante Ronaldo“ die Flanke noch in der Nachspielzeit für Real Madrid reinhämmerte. Das Kind, glühender Ronaldo-Fan, jubelte.

Die Oma erinnerte sich angesichts des WM-Aus für Deutschland an ihre antideutschen Zeiten Ende der 90er, als die Nationalmannschaft aus lauter Reizfiguren bestand. Effe! Basler! Sie triumphierte geradezu und gönnte den Sieg nun Uruguay. Das zehnjährige Kind doziert diplomatisch, „gibt doch noch andere Favoriten, ich such mir einen Underdog, vielleicht die Kroaten“.

Zweitens: Geschlechterfragen. Zugegeben, dass keine Frau beim FIFA-Spiel kommentiert, fällt den Jungs nicht mal auf. Neulich wurde ich aber Zeugin einer gendertechnisch reifen Meisterleistung. Es geschah auf dem Bürgersteig. Drei Mädchen versperrten dem Großen nach der Schule den Weg und beschieden der Mutter: „Wir haben hier kurz etwas Privates zu klären.“ Später erzählte das Kind die verworrene Geschichte eines angekündigten Arschtritts, der aber nicht vollzogen worden war. Einen Videobeweis gab es nicht, also Gelbe Karte: Die Mädchen verlangten, dass er sich bei allen dreien entschuldigt, was er dann auch tat. Fazit: Auch in einer emanzipierten Gesellschaft wird es Fouls beziehungsweise zu klärende Arschtritte geben, aber an diesem Tag stand es 3 : 1 für die Mädchen.

Drittens: Antirassismus. Wir wohnen nun einmal in so einem ziemlich bio-europäisch-weißen Biedermeierkiez. Der Jüngere kriegt daher noch nicht immer zusammen, dass Kinder mit einer anderen Hautfarbe trotzdem sehr oft hier geboren sind, (sonst sind es hauptsächlich Geflüchtete). Das Kind findet „dunkle Hautfarben besser“ und will immer wissen, wo derjenige wohl herkommt (und man antwortet immer das Gleiche). Fasziniert ist das Kind vom deutsch-afrikanischen Youtuber Elie, der sich über Fragen wie Herkunft und Identität lustig macht, „Warum heißen Schwarzafrikaner eigentlich Hellmuth?“ He, he, he. Oder: „Ihr Afrikaner seid echt nicht die Hellsten, oder? Ach so, ich bin nicht der Hellste, weil ich schwarz bin!“ Ein Clip heißt „Warum Ronaldo so jubelt“, es ist eine astreine Persiflage auf Verschwörungstheorien.

Neulich lief jemand über die stark befahrene Straße. Ohne zu gucken! Unser Kind, das sich neben Fußball und Afrika auch für Verkehrsregeln interessiert, fragte: „Welche Hautfarbe hatte der?“ Der Große kontert über Linksaußen: „Wieso fragst du? Es ist rassistisch, das zu fragen!“ Läuft bei uns, Bro.

Katharina Schmitz schreibt im Freitag als Die Helikoptermutter über die Unzulänglichkeiten des Familienlebens

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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