Wer zu sehr riecht, fliegt raus

Gerüche Kettenraucher Adolfs wurde aus der Wohnung vertrieben. Kann man verstehen. Nein? Ja? Ansichten einer Stadtneurotikerin
Ausgabe 27/2014

Pardon, aber dass das Landgericht Düsseldorf der Räumungsklage gegen den 75 Jahre alten Kettenraucher Friedhelm Adolfs nach 40 Jahren aus seiner Wohnung stattgegeben hat, empört mich nicht sooo sehr. Man konnte ja lesen, dass Herr Adolfs die Nachbarn mit seinem Gequarze wirklich fertig gemacht hat. Er habe statt durchs Fenster übers Treppenhaus gelüftet, er habe seine Aschenbecher kaum geleert. Jahrelang soll es im Flur grässlich gestunken haben. Nach 20-60 Zigaretten täglich.

Uneinsichtig sei er auch gewesen. Ehrlich, bekäme ich immer so einen morbiden Odeur in die Nase, wüsste ich auch nicht, was ich täte, die Ausweitung des Tabakverbots rein ins Private scheint jedenfalls nicht das Thema. Es ist die depressiv stimmende, körperlich bedrängende Geruchsbelästigung. Ich bin da kapriziös, wollte schonmal kündigen, weil der Arbeitskollege fröhlich ein krasses Kopfschmerz-Parfüm trug. (Ein Geschenk seiner Frau, ich konnte unmöglich was sagen). Mir bleibt die Luft weg beim Duftbaum der Note Lavendel, den der Mann verzweifelt ins Auto hängt, wenn ihn der Geruch wie nasser Marder wieder mal in den Wahnsinn treibt.

Gerüche sind eine Sache, ganz vorne bei depressiven Reizen steht aber der Lärm. Die Wissenschaft weiß längst, wie gefährlich so ein Lärm ist: die Folgen reichen von Kreislauferkrankungen bis zum Herzinfarkt, davon ausgenommen höchstens die Gitarre im Sommer oder das Kindergeschrei vom Schulhof, das wir gut hören können. Dumpfes Gewummer macht mich erst nervös, dann zornig. Besonders, wenn ich mich grade ins Bett gelegt habe, gerade noch dachte, ich könne das Wort Stille in die Luft schreiben. Das Gewummer ist furchtbar, weil ich nicht weiß, woher es kommt, nicht weiß, wann es aufhört. In der ersten Nacht der neuen Wohnung schliefen wir zur weitläufigen Seite raus. Plötzlich kam da so ein Geräusch, mein Herz pochte. Waren wir in eine Wohnung gezogen, die mich mit psychopathischen Bässen zermürben würde? Zum Hinterhof hin andere Zumutungen. Hier hörte ich Hüsteln, die Tagesthemen, das Klappern der Mülltonne des Inders, jeden Abend genau um 24 Uhr, wie wir später feststellten, wenn wir grad verliebt sind, kichern wir beim planmäßigen Deckelgekrache. An diesem ersten Abend war ich entsetzt! Litt ich unter einer bisher unentdeckten Phobie für Hinterhöfe?

Oder bin ich hypersensibel? Was übrigens keine Krankheit ist, nur eine Disposition. Bei einem Onlinetest auf hochsensibel.de erreiche ich ein ansprechendes Level. Gefragt wurde hier auch nach der Empfindsamkeit für Licht. Auch das: ganz klar mein Thema! Vor Jahren dachte sich mein Heimatdorf, dass der schöne Platz vor unserem Haus eine Straßenaterne braucht. Die fortan in die abendliche Küche leuchtete. Früher saßen wir am Fenster, man sah die rote Sonne hinterm Bauernhaus verschwinden. Es. Wurde. Einfach. Dunkel. Einfach. Dunkel. Man. Kam. Zur. Ruhe. Und ja. Den Geruch von Kuhmist fand ich nie schlimm.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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