Macht macht Spaß

Merkel III Im neuen Bundeskabinett sitzen zwar nicht mehr Frauen als früher, aber sie haben einflussreiche Positionen besetzt. Nie zuvor war deutsche Politik so weiblich wie heute
Ausgabe 52/2013

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Macht macht Spaß

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Coup“, „Überraschung“ und „Schachzug“ hieß es, kaum dass Angela Merkel ihr neues Regierungskabinett vorgestellt hatte. Die entscheidende „Schachfigur“ war dabei Ursula von der Leyen, nun ist sie also Verteidigungsministerin. Dämliche Witze über „Kanonen-Ursel“ verstopften sofort das Internet. Besonders grell hat es die Münchner Abendzeitung formuliert: In Berlin herrsche jetzt ein Frauenkommando.

Aus diesem Schlagzeilenbombardement lassen sich einige interessante Schlüsse über den Stand der Geschlechterdiskussion in diesem Land ziehen. Verkürzt gesagt: Die Alphamädchen drängen mit Macht nach vorn. Sie sind viele. Und sie sind eindeutig nicht mehr aufzuhalten. Damit müssen nun nicht nur die Männer zurechtkommen, auch der Feminismus täte gut daran, sich neu zu justieren. Aber der Reihe nach.

Das neue Kabinett Merkel III ist dabei nicht viel weiblicher als das vorige. Vor vier Jahren war sie mit fünf Frauen auf 16 Ministerialposten gestartet. Jetzt sind es sieben von 17. Neu sind die Akzente: Für einige Schlüsselressorts sorgen jetzt Frauen, während weichere Politikfelder von Männern verwaltet werden.

Ist Applaus angebracht?

So ist der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe fortan für Gesundheit und Pflege, also klassische „Care“-Bereiche zuständig. Der Verbraucherschutz, der ja ganz viel mit Einkaufen und Haushaltsführung zu tun hat, fällt unter die Aufsicht des neuen Justizministers Heiko Maas (SPD). Und der CSU-Mann Gerd Müller kümmert sich um Entwicklungshilfe, die wichtig ist, in Berlin aber unter ferner liefen betrachtet wird.

Wo es derzeit am lautesten und bedrohlichsten knirscht, hat jetzt eine Frau das Sagen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles waltet künftig über das soziale Gefüge im Land: Mindestlohn und Rentenprobleme, die fortschreitende Prekarisierung im Arbeitsmarkt und die Schere zwischen Arm und Reich. Nahles sitzt sozusagen im Maschinenraum der Gesellschaft, während Ursula von der Leyen, wie gesagt, die erste weibliche Oberbefehlshaberin des Heeres wird. Sie muss damit nicht nur den begonnenen Umbau der Bundeswehr von einer Pflicht- zu einer Freiwilligenarmee weiterführen, sie übernimmt auch den Drohnenstreit von ihrem Vorgänger Thomas de Maizière. Muss über Waffendeals entscheiden und über die Rolle, die Deutschland weltpolitisch übernehmen soll.

Mit Aydan Özoğuz (SPD) kümmert sich eine Frau als Staatsministerin um die Flüchtlings- und Migrationsfragen. Über Kultur und Medien, in denen die Spiel- und Ausschlussregeln des „Boys Club“, wie Alice Schwarzer einmal gesagt hat, bis heute besonders gut funktionieren, regiert Staatsministerin Monika Grütters (CDU). Das Bildungsministerium bleibt unter der Führung von Johanna Wanka (CDU), für Umwelt ist jetzt Barbara Hendricks (SPD) zuständig. Und auch das Familienministerium liegt wiederum in den Händen einer Frau, wird nun aber mit Manuela Schwesig (SPD) von einer ausgewiesenen Gegnerin der „Herdprämie“ geleitet.

Das ist also Merkels Frauenkommando: Fast wirkt es so, als ob die machtbegabte Kanzlerin eine geheime Geschlechterstrategie verfolge und mit den Neu- und Umbesetzungen am Kabinettstisch nun auch durchgesetzt hat. Aber hat sie wirklich eine solche quasifeministische Agenda?

„Merkel macht eine Politik, die ich inhaltlich nicht gutheißen kann, aber die Art und Weise, wie sie das macht, ist ein feministischer Meilenstein“, sagte die Bloggerin Antje Schrupp unlängst im Freitag. Sie hat damit das Dilemma klar umrissen: Ist Applaus angebracht? Oder doch eher Skepsis? Und überhaupt: Sind Frauen automatisch die bessere Wahl? Wird die Welt ein angenehmerer Ort, wenn Frauen herrschen? Oder, Moment mal, ist das nicht der schlimmste Biologismus, den es gibt: Jene Vorstellung, dass Frauen von Natur aus das vernünftigere Geschlecht seien?

Das Schrupp-Dilemma, wenn es hier einmal so genannt werden darf, spiegelt sich auch im prominenten Fall Ursula von der Leyens: Abgesehen von allerlei sexistischen Anwürfen wurde sie auch mit Jubel-Arien verwöhnt. Manche freuten sich über „(noch) mehr Frauen in der Politik“ und beschworen einen„weiblicheren Politikstil“. Wieder andere phantasieren sich gleich in den Weltfrieden hinein, etwa Gregor Gysi, der ihr im Fernsehen zurief: „Sie haben doch sieben Kinder, die wollen sie doch nicht in den Krieg schicken, oder? Vielleicht werden sie ja zu einer Anti-Kriegs-Ministerin!“

Gysi dürfte vergeblich hoffen. Nennenswerte Verbindungen in die Friedensbewegung sind bei von der Leyen nicht bekannt. Und auch sonst gilt sie als harter Brocken mit durchaus soldatischen Eigenschaften. Dass sie sich mit dem neuen Amt für eine Kanzlerinnenkandidatur 2017 weiter profilieren kann: eh klar. Von der Leyen ist wie Merkel ein Machtmensch und macht auch keinen Hehl daraus.

Aber genau das ist der Erkenntnisgewinn, den sie dem Feminismus schenkt. Als sie am Abend nach ihrer Neubenennung bei Günther Jauch saß, erwähnte sie in einem Nebensatz: „Ich weiß von der Kanzlerin, dass sie längerfristig an dem Plan gearbeitet hat.“ Das ist eine aufschlussreiche Anekdote aus dem Hinterzimmer. Und sie erzählt vor allem dies: Wir sind in einer Ära angekommen, in der weibliche Seilschaften zu funktionieren beginnen. Lange genug wurden sie erprobt, verteidigt, ausgebaut. Jetzt endlich springt der Mechanismus an. Zumindest zaghaft, in einzelnen, ausgewählten Feldern. Anders ausgedrückt: Das Alphamädchen kann jetzt so richtig zuschlagen. Nicht immer wird es das im feministischen Sinne tun. Dennoch wird es eine Erkenntnis der Merkel-Ära bleiben: Macht macht Spaß.

Als Alphamädchen wurden vor zehn Jahren die besser ausgebildeten Mittelschichtsfrauen bezeichnet. Noch vor gar nicht langer Zeit galt so ein Alphamädchen eher als ein exotischer Einzelfall: Zum einen erhielt es überschwängliche Schulterklopfer und Lobreden. Zum anderen musste es harsche Angriffe einstecken, die zwischen „Karrierekuh“, „Egoistin“ und „Privilegien-Muschi“ changierten.

Oder eher Skepsis?

Das alles hat diese Frauen aber nicht geschreckt. Noch immer sind es wenige, doch aus den Ersten und Einzigen werden langsam, aber sicher mehr, Chefinnen, Leiterinnen, Ministerinnen. Auch der Fall Brüderle erzählte das: Leider haben ausgerechnet feministische Kreise die Stern-Journalistin Laura Himmelreich vor allem als Opfer verstanden und analysiert. Dabei hat sie den verbal-sexistischen Angriff von Rainer Brüderle sehr gezielt – und machtvoll – für einen Gegenschlag genutzt. Nicht sie war von Brüderle abhängig, sondern umgekehrt: Der Politiker war auf ihr Wohlwollen angewiesen. Und Himmelreich hat diese Macht gnadenlos angewendet. Zu Recht.

„Innerhalb jeder sozialen Klasse gibt es noch einmal eine Unterschicht: die Frauen.“ Dieser kluge Satz stammt aus dem Jahr 1987, aus einem Essayband Klasse Geschlecht. Feministische Gesellschaftsanalyse und Wissenschaftskritik. Der Satz stimmt bis heute, aber wir müssen ihn nun anders lesen. Denn parallel zum Aufstieg der Alphamädchen haben sich die Lebenslagen für viele andere Frauen weiter prekarisiert. Ob Nannys, Kosmetikerinnen oder sogenannte Putzfrauen: Sehr häufig sind es schlecht oder auch schwarz bezahlte Frauen, die ihre erfolgreichen Geschlechtsgenossinnen mit ihren Dienstleistungen unterstützen. Die soziale Schere schneidet quer durchs Frauenlager. Und der Schnitt wird, je mächtiger die Frauen auf der anderen Seite werden, auch dort immer tiefer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

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