Ist Clicktivism ein Übel?

Alltagskommentar Der Versuch einer Solidaraktion für Pussy Riot wirft eine Frage auf: Wie hoch ist der Aktivismus-Verlust durch Clicktivism? Werden Leute passiv, weil sie Buttons drücken?
Für "Pussy Riot" – im August in St. Petersburg, wo womöglich nicht "American Pie" im Fernsehen lief
Für "Pussy Riot" – im August in St. Petersburg, wo womöglich nicht "American Pie" im Fernsehen lief

Foto: Olga Maltseva/AFP/Getty Images

Seit wenigen Tagen gibt es handfeste Zahlen darüber, wie viele Leute, die im Internet so tun, als seien sie auch physisch politisch aktiv, wirklich politisch aktiv sind: 3,33 Prozent.

Bei Facebook hatten zwei Frauen zu Solidarität mit der russischen Gruppe Pussy Riot aufgerufen: „Kommt mit bunten Wollmützen über dem Kopf zur Russisch-Orthodoxen Kathedrale Berlin und sprecht euer Gebet zu Ehren der verurteilten Pussy Riot“, hieß es. Drei Mitglieder der Band, die, bunte Wollmasken über dem Kopf, im Februar in einer Moskauer Kirche ein Putin-kritisches Punkgebet aufgeführt hatten, waren im August zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden; zwei weitere Bandmitglieder konnten damals entwischen und flüchteten nun aus Russland.

90 Facebook-Mitglieder hatten ihre Teilnahme an der Solidaraktion in Berlin zugesagt. Es kamen: drei, die Veranstalterinnen inklusive. Eine von ihnen klagte anschließend über den „Klick-Aktivismus“; über Leute, die ihre „virtuelle Meinung nicht in der Realität“ kundtäten. In einem Radiointerview klang sie ernüchtert. Man kann das gut verstehen: Man hofft, einer guten Sache Drive zu geben; bei Facebook rufen 90 Leute: „Bin dabei!“ – und dann steht man so gut wie alleine 20 Journalisten gegenüber, hat eine farbige Mütze auf und fühlt sich wie ein Faschingsmuffel beim Rosenmontagsumzug.

Auf Klick-Aktivisten ist kein Verlass

Andererseits ist die vielfach geäußerte Kritik am sogenannten Clicktivism, die sich in diesem Fall so schön mit Zahlen untermauern lässt, nur die halbe Geschichte. Warum 87 der besagten 90 Leute überhaupt zugesagt haben, an der Veranstaltung teilzunehmen, bleibt ein Rätsel, das stimmt. Vielleicht wollten einige sogar wirklich auftauchen, entdeckten dann aber, dass im Nachmittagsprogramm American Pie lief.

Allerdings ist die Schlussfolgerung falsch, die in der anschließenden Diskussion gezogen wurde: Wer bei Facebook aktiv werde, gehe deshalb nicht mehr auf die Straße. Die 87, die nicht in die Berliner Kirche kamen, wären schließlich auch kaum gekommen, wenn sie vorher nicht ihr Erscheinen zugesagt hätten. Interessanter wäre daher zu errechnen, wie hoch der tatsächliche Aktivismus-Verlust ist, der durch den „Gefällt mir“- oder „Zusagen“-Button, durch Clicktivism also, entsteht. These: Er liegt bei null. Ohne Internet wäre auch keiner aufgetaucht.

Insofern lässt sich problemlos festhalten, dass auf Klick-Aktivisten kein Verlass ist. Ob kein Klick-Aktivismus aber physischen Aktivismus bedeutet oder nicht doch eher zu völligem Passivismus führte, darüber ließe sich gut streiten. Zum Beispiel bei Facebook.

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