Modekatalog, tief

Kino "Only God Forgives" mit Ryan Gosling ist ein Film, der mit Bedeutung schwanger geht, aber nie gebärt: über die Maskenhaftigkeit als Zeitphänomen
Ausgabe 29/2013
Nur aus anderen Filmen weiß man, dass Ryan Gosling rein theoretisch in der Lage ist, einen Mundwinkel zu heben
Nur aus anderen Filmen weiß man, dass Ryan Gosling rein theoretisch in der Lage ist, einen Mundwinkel zu heben

Foto: Tiberius Film

Freitag, 22.30 Uhr, in einem Großstadtkino. Im Foyer liegen Ryan-Gosling-Masken aus Pappe aus. Goslings neuer Film Only God Forgives wird in dieser Nacht in einer Preview gezeigt, zusammen mit dem Gosling-Film Drive, der ebenfalls von Regisseur Nicolas Winding Refn gedreht wurde. Die Masken gehen stapelweise weg, und so verteilt sich nach der Preview eine anonyme Horde Goslings in der diffus leuchtenden Nacht.

Warum die Masken beliebt sind, da muss man nicht groß spekulieren: Gosling, 32, ist Kinostar, und die Masken sind umsonst. Was aber, fragt man sich, nachdem man Only God Forgives gesehen hat, tut man eigentlich, wenn man sich zusammen mit vielen anderen eine Gosling-Maske vor das Gesicht schnallt? Alle sind dann schön, alle sind dann besonders, alle sind dann aber nicht nur unles-, sondern auch austauschbar. Alle tun dann, was man eben so tut. Man schnallt sich einen Ryan vor die Nase, weil einem das halt vorgeschlagen wird.

Die Rolle des Julian, die Gosling in Only God Forgives spielt, ist insofern eine gegenwärtige Figur, als auch sie quasi eine Maske trägt, die sein Gesicht zeigt. Die Kunst, die Gosling beherrscht wie seit Nicolas Cage vielleicht kein anderer berühmter Schauspieler, ist, nichts blicken zu lassen. Sein Gesicht ist eine weiße Fläche, kein Zucken, kein Lächeln, nichts. Aus anderen Filmen weiß man, dass Gosling rein theoretisch in der Lage ist, einen Mundwinkel zu heben, aber seinen Julian spielt er wie nach einer Botox-Kur, die jeden Gesichtsnerv erlahmen ließ. Das Erstaunliche ist, dass dieser Julian durch seine Modekataloghaftigkeit eine traurige Tiefe gewinnt.

Julian, das ist die Geschichte, hat sich seiner kulturellen und familiären Prägung entzogen und sein Herkunftsland hinter sich gelassen, um im Zwielicht Bangkoks zu verschwinden. Im diffusen Treiben der nächtlichen Metropole, das Regisseur Refn in zahlreiche Bilder gießt. Diese Bilder sind wunderschön und sinnlos. Wie einst durch die Pastellfarben, die sich durch die nihilistische Krimiserie Miami Vice ziehen, wird auch hier die Oberfläche zum Eigentlichen: die Maskenhaftigkeit als Zeitphänomen. Only God Forgives ist, genau wie der klarere Refn-Film Drive, insofern nicht einfach Erinnerung an die Achtziger. Refn entdeckt in den Achtzigern Gegenwart.

Die Rahmenhandlung ist nicht übertrieben komplex. Julians Bruder Billy hat eine Prostituierte vergewaltigt und ermordet, woraufhin er selbst umgebracht wird. Die monströse Mutter, extra angereist, will den Tod ihres Ältesten gerächt sehen. Sie, furios gespielt von Kristin Scott Thomas, spricht über ihre Söhne wie eine Bordellbesitzerin über ihre Boys, Genitalienvergleich inklusive. Sie berührt ihren Sohn Julian wie einen Partner, am Oberarm unter dem T-Shirt, am Hintern. Seine Oberfläche, seine Maske hat er im Griff, sie ist Ausdruck seiner aufgesetzten Ungerührtheit. Aber was dahinter mit ihm passiert, geschieht ohne seine Kontrolle. Es sind seine Hände – die dürfen zucken und sich zur Faust ballen –, die verraten, was sein Gesicht auch dann zu verbergen weiß, wenn es grün und blau geschlagen ist. Gestik, Mimik, bei Goslings Julian ist das eins: Er trägt auch seine Mimik in den Händen.

Die Mutter ist die treibende Kraft hinter beiden Brüdern. Hinter Billy ohnehin, aber auch hinter dem ihr gegenüber ambivalenten Julian. Auch er kann sich ihr nicht entziehen. Julian sieht sich in der Rächerrolle überfordert, allein, die Mutter ist zu stark, sie packt ihn an seiner Männlichkeit, die er, knapp gesagt, anders definiert als sein sexuell anders gestörter Bruder. Und als sie ihn schließlich nicht mehr bittet, seinen Bruder zu rächen, sondern, sie zu beschützen, hat sie ihn. „Ich kann wieder deine Mutter sein“, sagt sie. Das Schlachten kann weitergehen, und es sieht natürlich toll aus, wenn man Blut sehen kann.

Was bleibt, nach dem Abspann, ist Ambivalenz. Only God Forgives ist ein Film, der mit Bedeutung schwanger geht, aber nie gebärt. Dann setzt man seine Gosling-Maske auf, verschwindet im Halbdunkel der Stadt und denkt: ja, eben.

Only God Forgives läuft ab 18. Juli im Kino

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Geschrieben von

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