Eine Antwort auf Guy Verhofstadt

Europäischer Geist In einem Gastbeitrag für DIE ZEIT hat Guy Verhofstadt kritisiert, dass der linke griechische Premierminister Alexis Tsipras erneut Reparationszahlungen thematisiert hat.

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Eine Antwort auf Guy Verhofstadt

Foto: ERIC LALMAND/AFP/Getty Images

In seinem Gastbeitrag "Der europäische Geist kennt keine Reparationsforderung" für DIE ZEIT vom 13. Februar 2015 hat der frühere belgische Premierminister und heutige liberale Abgeordnete des Europäischen Parlaments Guy Verhofstadt kritisiert, dass der linke griechische Premierminister Alexis Tsipras kurz nach Amtsantritt erneut die Frage nach deutschen Reparationszahlungen für die von der Wehrmacht verursachten Kriegsverwüstungen in Griechenland aufgeworfen hat.


Verhofstadt begründet seine Kritik damit, dass Tsipras alte, längst durch die Zusammenarbeit der europäischen Staaten in der EU überkommene gegenseitige Ressentiments wachruft und damit die Gefahr heraufbeschwört, dass Europa in die dunkle Periode zurückfallen könnte, in der die europäischen Staaten ihre Konflikte blutig auf Schlachtern austrugen statt sie in parlamentarischen Verhandlungsprozessen auszubalancieren.


Im Kern hat Verhofstadt Recht. Denn die EU steht tatsächlich nach mehr als fünf Jahren Krise in der Gefahr, ihren inneren Zusammenhang zu verspielen und damit eben auch den kaum zu überschätzenden zivilisatorischen Fortschritt zu gefährden, der genau darin besteht, dass die EU-Mitgliedsstaaten für sich politische Instrumente entwickelt haben, ihre Interessenkonflikte und -gegensätze politisch zu lösen.
Deshalb ist dieser Einwurf von Verhofstadt sehr ernst zunehmen. Kritik in diesem Punkt nur an Alexis Tsipras zu adressieren greift aber zu kurz.


Man kann Alexis Tsipras nicht vorwerfen, diesen riskanten Prozess angestoßen zu haben. Der begann nämlich viel früher. Schon am 27.10.2010 titelte die Bild-Zeitung "Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen ... und die Akropolis gleich mit!". Zu Beginn der Krise in Griechenland startete ein regelrechtes Griechenland-Bashing in Deutschland – hier die fleißigen und sparsamen Deutschen, dort die faulen und verschwenderischen Griechen und auch sonstigen Südeuropäer. Die damalig und heutige Bundeskanzlerin schwieg zu diesem Wiederbeleben alter Ressentiments, statt dagegen zu halten.


Als 2003/2004 Deutschland als erstes EU-Land die Maastricht-Kriterien brach, hat die damalige Bundesregierung die ökonomische und politische Stärke Deutschlands erfolgreich genutzt, um alle Sanktionen, die für diesen Fall vorgesehen waren, abzuwehren.


Selbst als die Krise längst ausgebrochen war, hat die Bundesregierung noch darauf gedrängt, dass die griechische Regierung alle Rüstungsverträge mit der deutschen Rüstungsindustrie eingehalten werden und dementsprechend der Rüstungsetat bei den Haushaltskürzungen geschont bleibt.
Bei allen EU-Maßnahmen zur Krisenbekämpfung, die vom EU-Rat auf den Weg gebracht wurden, hat die Bundesregierung zu allererst darauf geachtet, dass die Interessen der deutschen Wirtschaft und des deutschen Finanzsektors bedient werden. Deshalb drängt die Bundesregierung bis heute auf die Einhaltung aller Vorgaben der Troika.


Gleichzeitig ignoriert die Bundesregierung penetrant den imminenten deutschen Anteil an der Krise: nämlich die exorbitanten deutschen Handelsbilanzüberschüsse, die mittlerweile auch international heftig kritisiert werden. Rund die Hälfte der deutschen Exporte gehen in die EU-Länder.


Die EU-Krise ist – das weiß auch Guy Verhofstadt – nicht einfach eine ökonomische Krise. Die ökonomische Krise ist vielmehr die Folge einer politischen Krise, nämlich der Unfähigkeit der EU-Mitgliedsstaaten, die Konstruktionsdefizite des Euro zu beheben. So lange das nicht geschieht, bleibt nur das Instrument der inneren Abwertung, um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu nivellieren – um den Preis extremer demokratiegefährdender sozialer Verwerfungen in den südeuropäischen Ländern.


Die Alternative dazu ist bekannt: Eine stärkere steuer- und sozialpolitische Integration der EU. Und eine Änderung des EU-Wahlrechts. Denn solange das Europäische Parlament nicht über EU-weite Listen gewählt wird, bleiben die Abgeordneten nur den jeweiligen nationalen Interessen verpflichtet. Weder politische noch ökonomische Ungleichgewichte lassen sich ausgleichen, solange es in diesen Punkten keine Entwicklungen gibt. Aber gerade auch die Bundesregierung verweigert sich diesen überfälligen Reformen der EU.


Solange die Bundesregierung aus kurzfristigen eigennützigen Gründen bei dieser Haltung bleibt und die südeuropäischen kleinen Mitgliedsstaaten rücksichtslos zu Reformen drängt, die die dortigen Sozialsysteme zerstören, müssen linke Politiker wie Alexis Tsipras die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler verteidigen. Denn die deutsche Regierung handelt nicht im Interesse der griechischen Bürger und Bürgerinnen – von denen wird sie ja auch nicht gewählt. Wenn Tsipras die Frage der Reparationszahlungen wieder aufwirft, dann macht er das, um die berechtigten sozialen Interessen griechischer Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und um dem in Deutschland verbreiteten Ressentiment des faulen und verschwenderischen Südländers etwas entgegenzusetzen.


Guy Verhofstadt hat recht, wenn er sagt, dass dieses Wiederbeleben überkommener Ressentiments nicht im europäischen Geist ist. Deshalb es ist richtig, dass er dieses zum Thema macht. Will Verhofstadt diesen gefährlichen Prozess stoppen, dann muss er seine Kritik allerdings ausweiten auf die Bundesregierung und auch auf einige andere nordeuropäische Regierungen, die dem europäischen Geist weit schlimmer zusetzen als Alexis Tsipras, der weit mehr für als gegen den von Verhofstadt zu recht beschworenen europäischen Geist kämpft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

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