Donny Reyes zuckt hilflos mit den breiten Schultern: „Ich lasse mich im Moment nicht auf Veranstaltungen sehen, ich meide die Öffentlichkeit“, sagt der 48-jährige Koordinator der Queer-Organisation Arcoiris. Reyes ist ein bekanntes Gesicht in der honduranischen Menschenrechtsszene. Er engagiert sich seit gut zwanzig Jahren für LGBTIQ-Rechte in einem zutiefst konservativen, von katholischen sowie evangelikalen Fundamentalisten geprägten Land. „48 Homosexuelle wurden im vergangenen Jahr ermordet. Das ist deutlich mehr als die 29 Opfer von Hassverbrechen 2021. Und das trotz des Regierungswechsels.“
Reyes fährt sich mit der Hand über das schütter werdende Haar. Er sei es leid, Tote zu zählen und Beerdigungen zu organisieren. Es ver
en. Es verderbe sein Leben, immer wieder Morddrohungen ausgesetzt zu sein. Die Hoffnung war da, dass sich unter „Doña Xiomara“, wie er die am 27. Januar 2022 vereidigte Präsidentin Xiomara Castro vom Partido Libertad y Refundación (Libre) respektvoll nennt, etwas ändern würde.Bergbaufreie ZoneLeider habe es das neue Menschenrechtsministerium auch 15 Monate nach der Vereidigung nicht geschafft, einen wirksameren Schutzmechanismus für Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und andere gefährdete Gruppen zu etablieren, kritisiert Jesuitenpater Ismael Moreno alias Padre Melo. Er ist eine Ikone der Zivilgesellschaft, leitet das jesuitische Forschungszentrum ERIC-SJ und seit längerer Zeit den kritischen Hörfunksender Radio Progreso.„Die miese finanzielle Ausstattung des Ministeriums für Menschenrechte ist ein Grund für die schreckliche Bilanz. Ein anderer hat mit dem fehlenden politischen Willen zu tun. Der Schutzmechanismus ist in den Händen von Polizeikräften, nicht von geschulten Mitarbeitern des Ministeriums“, moniert der 64-Jährige. Er selbst fühle sich – wie die Mitarbeiter von ERIC-SJ und Radio Progreso – ebenfalls bedroht. An das Ministerium will sich Padre Melo nicht wenden, lieber lässt er internationale Kontakte spielen, um für mehr Schutz zu sorgen. Dem institutionellen Mechanismus und der verantwortlichen Ministerin Natalie Roque traut er nicht. Bei Roque handelt es sich um eine persönliche Freundin von Präsidentin Castro, die im Wahlkampf vieles versprach, es dann aber auf sich beruhen ließ.Darunter ist die überaus populäre Ankündigung, Honduras zur bergbaufreien Zone machen zu wollen. Ökonomisch wäre das kein großer Verlust, so Joaquín Mejía, Jurist und Analyst von ERIC-SJ. „Der Bergbau trägt in Honduras weniger als ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Auch die Zahl der Arbeitsplätze, die dieser Sektor beisteuert, liegt weit unter einem Prozent. Folglich sind die Einnahmen minimal, die Schäden aber beträchtlich.“ Mejía wähnte die Regierung bereits auf einem richtigen Weg, als sie Lucky Medina zum Umweltminister berief, der im Sommer 2022 eine Überprüfung aller Bergbau-Konzessionen in die Wege leitete. Danach geriet der Prozess erkennbar ins Stocken. Im Januar 2023 wurden zwei Umweltaktivisten aus Guapinol, einem Dorf im Norden, ermordet, wofür Joaquín Mejía die Regierung Castro mitverantwortlich macht. Sie habe strittige Konzessionen nicht annulliert, obwohl in zwei Tagebauen Eisenerz innerhalb der Grenzen eines Naturschutzgebietes gefördert worden sei.Im Dorf Guapinol, direkt am gleichnamigen Fluss gelegen, produziert die Eisenerz-Pelletieranlage unter ohrenbetäubendem Lärm und mit heftiger Staubentwicklung zum Nachteil der Anwohner. Zumindest teilweise sind diese Projekte des einflussreichen honduranischen Unternehmerehepaars Lenir Pérez und Ana Facussé illegal betrieben worden. „Die beiden sind persönliche Freunde der Präsidentenfamilie. Das lässt sich durch etliche Fotografien von Feiern belegen – und das ist ein Problem“, sagt Padre Melo und rollt genervt mit den Augen. Vetternwirtschaft und die damit einhergehende Korruption, das sei für ihn eines der Kernprobleme des Landes. Was sich durch den Korruptionsindex von Transparency International belegen lässt, der Honduras auf Platz 157 von 180 gelisteten Staaten verzeichnet.Einen Anteil an diesem Dilemma hat das Ministerio Público, die Generalstaatsanwaltschaft in Tegucigalpa. Staatsanwalt Oscar Fernando Chinchilla gilt als Statthalter der alten Kräfte, sprich: der hyperkorrupten Seilschaften um den mittlerweile wegen Drogenschmuggels in den USA inhaftierten Ex-Präsidenten Juan Orlando Hernández. Ermittelt wird unter der Aufsicht von Chinchilla gern gegen soziale Organisationen wie Ofraneh, die Interessenvertretung der Garifiuna-Ethnie, gegen Umwelt- oder Menschenrechtsverbände und deren Führungspersonal. Dagegen gab es immer wieder Demonstrationen wie im August 2022, als Ofraneh an die Regierung appellierte, endlich ernst zu machen mit den Reformen, und vor dem Ministerio Público aufmarschierte.Gegen StraflosigkeitDa im Herbst 2023 das Mandat Chinchillas ausläuft, wäre Zeit für einen Neuanfang. Doch hinter den Kulissen des politischen Establishments in Tegucigalpa laufen schon lange die Sondierungen, auf wen man sich als Nachfolger oder Nachfolgerin einigen könnte. „Die drei Parteien, Libre von Xiomara Castro, die Nationale und die Liberale Partei, stimmen sich dabei ab – es wird gekungelt“, kritisiert Padre Melo. Das scheint alternativlos zu sein, weil die Präsidentin keine eigene Mehrheit im Parlament hat und auf Kompromisse angewiesen ist.Das Risiko bleibt hoch, dass die versprochene Strukturreform im Justizsektor versandet. Die jedoch ist für den Zustand des kleinen mittelamerikanischen Staates entscheidend. Weil das so ist, hat Xiomara Castro gleich nach ihrer Vereidigung den Vereinten Nationen eine Petition zukommen lassen und um die Einrichtung einer UN-Kommission gegen Straflosigkeit und Korruption (CICIH) gebeten. Vor einem Jahr unterzeichneten beide Seiten eine Absichtserklärung, Anfang April war eine UN-Delegation in Tegucigalpa. Dabei, so Joaquín Mejía, sei es auch um die Kompetenzen der UN-Ermittler gegangen. Für die Zukunft des Landes – allerdings auch der Regierung von „Doña Xiomara“ – ein neuralgischer Punkt.