Warum steigen Menschen aus? Mit dem Künstler Johannes Büttner im „MedBed“

Kunsttagebuch Johannes Büttner setzt sich in seiner Arbeit „MedBed“ mit Menschen auseinander, die man gemeinhin als Verschwörungs-Erzähler bezeichnen würde. Aktuell wird sie in den KW in Berlin gezeigt. Unsere Kolumnistin empfiehlt sie sehr
Ausgabe 48/2023
Das „MedBed“ sieht aus wie eine Mischung aus Wohnzimmermöbel und MRT-Röhre
Das „MedBed“ sieht aus wie eine Mischung aus Wohnzimmermöbel und MRT-Röhre

Foto: Frank Sperling

Wer ein klein bisschen in die Zukunft schauen möchte, dem ist der Künstler Johannes Büttner immer sehr zu empfehlen. In seinen Arbeiten thematisiert er die sauschweinischen Umstände der Gig-Economy oder die zeitgeistigen Neo-Lib-Versprechen von Mindset-Coaches – und zwar bevor diese Themen in der bürgerlichen Presse auftauchen. Dabei werden sie von ihm in Installationen, Sounds, Videoarbeiten auch schlauer aufbereitet, weil er sich eher für die Dynamiken interessiert als für die Bewertung.

Aktuell zeigt Büttner im Rahmen des BPA – Berlin program for artists in den Berliner Kunstwerken noch bis 7. Januar 2024 eine Installation, deren Wichtigkeit für die nächsten Jahre überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Es geht dort um Dualitäten – könnte man vielleicht sagen.

Dialoge aus einer Parallelgesellschaft

Auf der einen Seite des Raumes läuft eine Videoinstallation, aus einem Film, an dem er in den letzten Jahren mit dem Regisseur Julian Vogel gearbeitet hat. Man sieht dort Menschen, die sich vom minimalen Basiskonsens der Mehrheitsgesellschaft verabschiedet haben. Dialoge aus einer Parallelgesellschaft. Die durch Narrative von Geistern, flacher Erde und Selbstheilung versucht, Selbstermächtigung zu erlangen. Durchbrochen werden die Szenen, von denen man oft nicht weiß, ob sie fiktiv oder dokumentarisch sind, mit Bildern von tristen Hausfassaden deutscher Speckgürtel.

Auf der anderen Seite gibt es eine Skulptur, die sich in Korrespondenz mit dem Video bewegt. Es ist eine Kapsel, wie aus dem Science-Fiction-Film, eine Mischung aus Wohnzimmermöbel und MRT-Röhre. MedBed heißt Büttners Arbeit, die sich auf den Mythos eines Bettes bezieht, das Krankheiten heilen und unsterblich machen soll. Tech-Milliardäre haben es angeblich im Keller stehen und es soll bis heute John F. Kennedy am Leben erhalten. Diese Kapsel stimmt im Laufe des Spektakels liturgische Gesänge an, in denen die AGBs der verschiedenen Heiler vorgetragen werden, die für eine Szene relevant sind, die die Mehrheitsgesellschaft wohl als Verschwörungs-Erzähler bezeichnen würde.

Aber Büttner ist nicht so doof, die Diskussion mit dieser Bezeichnung zu schließen – und jetzt bitte nicht gleich aufregen, er agiert aus einer traditionell linken Position heraus. Der Diskurs hat die sogenannten Schwurbler in den letzten Jahren als Täter in den Blick genommen und ein weiteres Nachdenken damit beendet. Die interessanten Fragen, die mit Parallelgruppen wie dem Königreich Deutschland aufkommen, sind vernachlässigt worden, dabei werden gerade sie in den nächsten Jahren, in denen politische Krisen stärker werden, sehr wichtig sein. Warum steigen Menschen aus? Woraus eigentlich? Warum setzen sie auf Nahrungsergänzungsmittel statt Medizin?

Gut–böse, rechts–links: Büttner stellt diese Binarität infrage

Büttner, der sein Bett auch als Ort der Ruhe, der Verweigerung vor Produktivität erzählt – und sich natürlich dabei auch auf Tracey Emins My Bed bezieht –, nimmt hier die Täter-Opfer-Dualität feinsinnig in den Blick, die stattfindende Verwischung von gut–böse und rechts–links. Er stellt infrage, ob Binarität im politischen Diskurs noch aktuell ist. Und ob sie – wie in anderen Feldern schon länger geschehen – angezweifelt werden könnte. Ist dieses Bett ein Sinnbild eines Gesellschaft zersetzenden Milieus oder einer Gesellschaft zersetzenden Gesellschaft?

Was ist denn überhaupt real, fragt Büttner berechtigterweise. Und weil es darauf keine wirkliche Antwort gibt, werden die Grenzen von Wissenschaft und Politik sichtbar, die ja mindestens die Vermittlungsschwierigkeiten von Sachzwängen in der Bevölkerung betreffen. Hier wird das System in den Blick genommen, das Narrative befördert, die die Löcher der Erzählung füllen.

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