Warum in Berlin die Jacken jetzt auf links getragen werden

Kunsttagebuch Fashion Week, das heißt in Berlin vor allem, dass auf Partys mehr über die Modeszene als über die Kunstszene gelästert wird. Dort wiederum erfährt man mehr über Trends
Ausgabe 04/2023
Über Outfits wird auf solchen Veranstaltungen natürlich immer gelästert
Über Outfits wird auf solchen Veranstaltungen natürlich immer gelästert

Foto: Imago/Marja

Es war mal wieder Fashion Week in Berlin, und das klingt jetzt glamouröser, als es ist. Denn, wenn Fashion Week ist, bedeutet das nicht, dass die neuesten It-Pieces präsentiert werden – also die Designs, die Fast-Fashion-Giganten in den nächsten Monaten von modernen Sklaven nachnähen lassen, sondern man sieht eigentlich eher, was demnächst weiterhin nicht getragen wird. Das klingt jetzt ein bisschen gemein, all das hat aber seinen ganz eigenen Charme, der nur eben wenig mit anderen Modewochen zu tun hat.

Dass in Berlin Fashion Week ist, nimmt man meist daran wahr, dass noch mehr Frauen, die leider den Moment verpasst haben, an dem die Lippen genug aufgespritzt waren, in der Öffentlichkeit unterwegs sind, und, dass auf Partys nun mehr über die sogenannte Modeszene als über die Kunstszene gelästert wird. Also über Menschen mit ungesund fehleingeschätztem Selbstbewusstsein, die eine eigene Beauty-Marke präsentieren, oder eine Kollektion, oder eine Werbepartnerschaft – wobei das meist ein und dasselbe ist. Oder über hiesige Marken, die international erfolgreich sind, im Ausland für ihre Berlin-Herkunft gemocht werden, aber dafür auf keinen Fall zu viel mit Berlin zu tun haben dürfen und auf keinen Fall mit der Fashion Week.

Auf diesen Partys lächelt man mit fest gepressten Lippen natürlich auch über Outfits. Über „basic“-Menschen, die allen Ernstes noch Prada tragen. Oder Balenciaga. Und man rätselt so rum, was wohl der nächste Trend sein wird, der Nazi-Ästhetik-Fetisch und Sonnenallee-Appropriation folgt.

Denn es ist ja – nebenbei gesagt – wirklich lustig, was da derzeit gleichzeitig passiert bei den jungen Leuten oder denen, die es gern noch wären; diese deutsche Kriegsstrenge im Look, der Harte-Hair-Cut-Hipster mit bösem Blick und Kampfstiefeln auf der einen Seite und auf der anderen: dieser Wunsch, durch Cap und Extension und Gelnägel und Fake-Wimpern und Sportkleidung auf keinen Fall als irgendwie deutsch aufzufallen.

Ein kleinerer, aber nicht uninteressanterer Modetrend war zuletzt auffällig oft auf Kunstausstellungseröffnungen zu beobachten: die umgedrehte Jacke. Also eine Jacke, die, wie man so schön sagt, auf links getragen wird – natürlich heißt das links, denn es ist ja die Seite, die am Körper, am Herz (!) getragen wird. Eine Wendejacke also, die aber keine Wendejacke ist. Die von innen aber mehr als einfach nur ein Karomuster zu bieten hat. Bei einer Besucherin zum Beispiel war es ein bisschen Kunstfell, schmutzig weiß, eher Kurzhaar, das sie nach außen gekehrt hatte und dafür von den Umstehenden Komplimente und Berührungen des Felles bekam.

Eine andere Variante zeigte der Künstler Monty Richthofen: Hier wurde der Innenfutterstoff rausgelöst, sodass nur noch das helle Füllmaterial darunter zu sehen war. Bisschen abgeranzt. Bisschen Avantgarde. Bisschen „Margiela“, wie der charmant aufgekratzte Kunst-„Hansdampf in allen Gassen“ treffend kommentierte. Und jetzt ist das nämlich hier die Frage: Was erzählt dieser Modetrend über die aktuelle Kunst? Im Zweifelsfalle natürlich nichts, das wäre ja viel zu konstruiert. Aber es könnte ja nun auch durchaus sein, dass dieser Jackentrend exemplarisch steht für eine Künstlergeneration, die die Möglichkeit haben möchte, die Identitäten zu wechseln. Und zwar mit einfachsten Mitteln.

Und das passt deswegen so gut zur bildenden Kunst, weil diese für den Rezipienten ja oft eine ähnliche Funktion hat wie die Mode, die er trägt. Also als Behauptung, als Statement-Piece, als Herauskehrung der eigenen Wunsch-Persönlichkeit. Aber vielleicht ist es auch einfach nur Recycling. Oder der Wunsch, weniger reich auszusehen, als man ist.

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