Regisseurin Saralisa Volm zu Sexismus und Gewalt: „Ich wurde immer wütender“
Interview Die Regisseurin Saralisa Volm hat ein Buch über das Frauenbild in unserer Gesellschaft geschrieben. „Das ewige Ungenügend“ ist ihre persönliche Erzählung von Erfahrungen in einer sexistischen Gesellschaft. Ein Buch, das Mut macht
„Mich stört diese Panik, dass unsere Töchter vielleicht dick werden. Da sage ich: So what?“
Abb.: Shona McAndrew, Courtesy Shona McAndrew and Chart, New York
Saralisa Volm ist Schauspielerin und Filmemacherin. In ihrem Sachbuch Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers beschreibt sie, wie junge Frauen mit dem Bild der vermeintlich perfekten Frau aufwachsen und wie Medien und Werbung ebendieses Bild prägen.
Volm thematisiert aber auch ihre eigenen Erfahrungen mit Bulimie und Gewalt in der Beziehung. Ein Gespräch über Feminismus, guten Sex und die Filmbranche.
der Freitag: Frau Volm, gab es einen Schlüsselmoment, Ihre sehr persönlichen Erfahrungen aufzuschreiben?
Saralisa Volm: Das war eine logische Folge aus Vorgängerprojekten. Auf dem Instagram-Kanal „365 days of imperfection“ habe ich zum Beispiel jeden Tag etwas gepostet, das nicht perfekt ist. Ich mache meistens Dinge,
Schauspielerin und Filmemacherin. In ihrem Sachbuch Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers beschreibt sie, wie junge Frauen mit dem Bild der vermeintlich perfekten Frau aufwachsen und wie Medien und Werbung ebendieses Bild prägen.Volm thematisiert aber auch ihre eigenen Erfahrungen mit Bulimie und Gewalt in der Beziehung. Ein Gespräch über Feminismus, guten Sex und die Filmbranche.der Freitag: Frau Volm, gab es einen Schlüsselmoment, Ihre sehr persönlichen Erfahrungen aufzuschreiben?Saralisa Volm: Das war eine logische Folge aus Vorgängerprojekten. Auf dem Instagram-Kanal „365 days of imperfectionXX-replace-me-XXX8220; habe ich zum Beispiel jeden Tag etwas gepostet, das nicht perfekt ist. Ich mache meistens Dinge, weil ich etwas dazulernen will. So war es auch mit diesem Buch. Ich wusste, wie es mir geht, was ich kunsthistorisch einordnen kann, was in der Filmbranche passiert, aber vieles fehlte mir, um die Probleme zu durchdringen. Ich habe viele Studien und Statistiken gelesen. Während des Buchschreibens wurde ich dann immer wütender, weil vieles so ungerecht ist.Was ist Ihnen das Wichtigste an Ihrem Buch?Mir ist es wichtig, Frauen und weiblich gelesenen Personen zu sagen: Du bist nicht allein mit deinen Gefühlen zu dir und deinem Körper. Die meisten um dich herum fühlen sich auch ungenügend. Wir leben in einem System und folgen bestimmten Mustern, die unglaublich viele Frauen betreffen. Es ist klug, sich diese Muster anzugucken und sich dagegen zu wehren. Zusammen, nicht jede Frau alleine. Es ist mein Hauptanliegen, zu sagen: Sexismus, Gewalt, das Körperbild von Frauen, das sind keine individuellen Probleme.Wie gehen Sie mit Sexismus um?Manchmal bin ich in der glorreichen Situation, dass ich die Regisseurin und Produzentin bin und sagen kann: Hört mal zu, wir haben gehört, XY ist passiert, das gibt es nicht an unserem Set. Sexismus betrifft ja bei Weitem nicht nur die Filmbranche. Das betrifft ganz viele Frauen, die Belästigung am Arbeitsplatz erleben. Gerade da, wo es wenige Frauen gibt, gibt es besonders viel Sexismus. Dass Frauen immer noch hören: „Mach doch mal die Bluse zu“ oder „Dann zieh dir doch keinen kurzen Rock an“, wenn sie Übergriffe erleben, ist unmöglich. Ein Vergewaltigungsopfer im Film ist meistens zwischen 18 und 25 Jahre alt, sieht gut aus und ist dann auch noch betrunken. Und der Mann hüpft aus dem Gebüsch. Das ist aber nicht das, was Frauen im echten Leben passiert. Es passiert allen Frauen allen Alters, egal was sie anhaben, und meistens passiert es ihnen zu Hause oder im sozialen Umfeld. Es ist nicht so, dass wir sexy angezogen sein müssen, um vergewaltigt zu werden oder Sexismus zu erleben.Der „Spiegel“ berichtete jüngst, dass es an Til Schweigers Filmsets zu Gewalt, Sexismus und Machtmissbrauch gekommen sein soll. Wie können gerade junge Kolleginnen in der Filmbranche unterstützt werden?Ehrlich gesagt sind solche Enthüllungen in der aktuellen Situation oft die einzige Chance. Opfer haben meistens Angst, sich an ihre Vorgesetzten oder gar an die Polizei zu wenden. Die Gefahr, als Nestbeschmutzer*in oder Lügner*in diffamiert oder gar verklagt zu werden ist enorm. Die Furcht, keinen Job mehr zu bekommen, ebenfalls. Und die Angst ist berechtigt. Wir brauchen die Medien, die die Quellen schützen, und vor allem sehr viele Quellen, die von ihnen recherchiert werden. Ich hoffe, dass Journalisten/Journalistinnen nicht aufgeben, hinzusehen und über Missstände zu schreiben. In allen Industrien, wie auch der Filmindustrie, ist noch ein sehr langer Weg zu gehen, und ein Umdenken müssen wir eher als mittelfristiges Ziel betrachten. Als Erstes gilt es jetzt, Awareness zu schaffen, Betroffenen Gehör und Anteilnahme zuteilwerden zu lassen. Wir müssen beginnen, genauer hinzusehen, ansprechbar werden und uns besser kümmern. Ein besonderes Augenmerk muss hierbei immer den Kollegen und Kolleginnen gelten, die besonders abhängig sind, egal welchen Alters und welchen Geschlechts.Sie haben als Jugendliche unter Bulimie gelitten und sexuelle und häusliche Gewalt erlebt.Ich habe dieses Buch genutzt, um über Dinge zu sprechen, über die ich zwanzig Jahre lang nicht gesprochen habe. Und damit bin ich kein Einzelfall. Ich dachte lange Zeit, dass ich die Einzige bin, die in solch eine Situation geraten ist. Ich habe mich sehr dafür geschämt. Oder auch bei der Bulimie: Ich dachte, dass ich die Einzige bin, die nicht checkt, dass sie mal aufhören könnte, zu kotzen. Für das Buch habe ich recherchiert, wie viele Frauen unter Essstörungen leiden.Sie schreiben, dass 20 von 100 Kindern auffällig sind im Essverhalten. Mädchen doppelt so häufig wie Jungen.Ja. Gerade Magersucht ist eine der häufigsten Störungen, an denen Frauen leiden können, und sie kann tödlich sein. Wenn wir das auf das Individuum abwälzen und sagen: Die ist halt magersüchtig, soll sie mal wieder essen, dann überblicken wir das Problem nicht, das dahintersteckt.Gibt es etwas, das Sie aus heutiger Sicht gebraucht hätten, um mit Bulimie und sexueller Gewalt besser umgehen zu können?Ich kann mir gut vorstellen, dass es helfen würde, in einer gerechteren Welt zu leben, in der man weibliche Vorbilder hat. In meiner Generation gibt es viele Frauen, die mit Pamela Anderson und in diesen pseudo-befreiten Diskussionen der 90er Jahre aufgewachsen sind. Eine Emanze, das wollte ich nicht sein. Erst als ich 18 Jahre alt war, kam ich das erste Mal damit in Berührung, was Feminismus eigentlich heißt. Ich las ein Heft der Bundeszentrale für politische Bildung, in dem es um verschiedene Formen von Feminismus ging.Sind Sie Feministin?Ja, unbedingt. Für mich ist die Basis von Feminismus Gerechtigkeit. Wir müssen gleiche Bedingungen, gleiche Chancen für Männer und Frauen schaffen. Davon bin ich nicht nur theoretisch überzeugt, ich will das leben. Ich kam neulich aus einem Vorstellungsgespräch mit einer potenziellen Mitarbeiterin und sagte zu einer Kollegin: Großartig, eine alleinerziehende Mutter. Die will ich im Team haben. Da habe ich gefeiert, was andere Arbeitgeber häufig ablehnen.Sie analysieren die Frauenbilder, denen gerade junge Frauen ausgesetzt sind. Dünn und schön sein ist das Wichtigste.Es ist unfassbar viel, was wir tun können, und es gibt gleichzeitig unfassbar viel, das wir nicht in der Hand haben. Die wichtigste Regel ist für mich, einfach den Druck rauszunehmen. Wenn wir uns den Druck machen, die perfekte Mutter zu sein, machen wir den Kindern auch den Druck, perfekte Kinder zu sein. Lange Haare bei Jungs und kurze Haare bei Mädchen sind etwas, das man bei seinen Kindern verteidigen muss. Mich stört diese Panik, dass unsere Töchter vielleicht dick werden. Da sage ich: So what? Das Wichtigste ist, was wir vorleben. Ich bin mit Diäten aufgewachsen: Friss die Hälfte und alles, was danach kam, jede Brigitte-Diät haben Frauen meiner Familie mitgemacht. Das will ich nicht machen.Sie schreiben auch über Body Positivity. Bringt uns das weiter?Body Positivity kann eine tolle Möglichkeit sein, zu lernen, sich selbst anzunehmen. Aber das fällt nicht jeder leicht. In diesem Fall kann Body Positivity als weiterer Druckmoment dienen, der uns scheitern lässt. Ich will nicht an der Selbstliebe scheitern. Ich wünsche mir, dass es manchmal einfach egal ist, wie ich mich finde, ob positiv oder negativ. Ich will mir die Welt nicht schönreden müssen.Apropos Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers: Heidi Klum steht dafür schon länger in der Kritik. Nun modelt sie mit ihrer Tochter, die mittlerweile volljährig ist, für Unterwäsche. Im Netz gibt es heftige Kritik dazu.Die Situation ist mehr als komplex. Am Ende liegt es nicht nur an einer Einzelperson. Wie viele Jobs gibt es, in denen Frauen mehr Geld verdienen können als Männer? Modelkarrieren sind eine der wenigen Ausnahmen. Für Heidi Klum scheint Geld eine extrem große Rolle zu spielen. Ihrer Tochter wünscht sie nur das Beste, und das sieht sie vermutlich in einer großen Karriere, die sich mit nackter Haut und prominenter Flankierung besser realisieren lässt. Als Betrachter*innen sollten wir uns fragen, warum uns diese Bilder auf der Straße verfolgen, wieso sie so hart retouchiert werden und was das über unsere Gesellschaft sagt. Prinzipiell empfinde es als unfair, Frauen erst in diese Rolle zu drängen und sie dafür zu belohnen, um sie dann am Ende dafür zu beschimpfen, dass sie diese ausfüllen. Heidi Klum jedoch ist extrem reich und mächtig. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir von solchen Menschen etwas mehr Verantwortungsgefühl und Engagement erwarten können.Sie haben Filme gedreht, in denen Sie nackt waren. Sie schreiben, dass das eine Art der Befreiung von Schönheitsidealen war.Warum ist eigentlich der nackte Frauenkörper immer sexuell aufgeladen, warum ist das immer eine Diskussion? Warum muss ich mich für meinen Körper schämen? Das geht schon los beim Instagram-Nippel-Verbot bis hin zu der Tatsache, dass ich bis heute gefragt werde, ob der Film Hotel Desire, in dem ich mit Clemens Schick eine Nacktszene hatte, meiner Karriere geschadet hat. Ich weiß nicht, ob das irgendjemand schon mal Clemens Schick gefragt hat. Ich bin auch ein großer Fan von Lars Eidinger. Aber, wenn der nackt auf der Bühne steht, fragt ihn niemand, ob er sich dafür schämt. Bei ihm ist das ganz toll und revolutionär. Die Befreiung bestand für mich darin, mich nicht zu schämen für meinen Körper. Mir ist das wahnsinnig wichtig, weil wir als Frauen ständig lernen, uns zu schämen. Wir schämen uns die ganze Zeit.Wofür sollten Frauen sich weniger schämen?Wir sollten uns weniger schämen, laut und wütend zu sein, auch mal unfreundlich zu sein, wenn sich jemand ungerecht verhält. Wir müssen aufhören, uns zu schämen, wenn wir arbeiten gehen und unsere Kinder nicht sehen können. Wir müssen aufhören, uns zu schämen, dass wir bei unseren Kindern zu Hause geblieben sind oder nach der Geburt keinen Bock auf Sex hatten. Wir schämen uns für unsere Lust und Begierde. Das ist in der ganzen Welt verbreitet. Wir als Frauen haben gar nicht gelernt, über unsere Lust zu sprechen.Müssen Frauen mehr über Sex reden?Frauen müssen viel, viel mehr über Sex reden. Wir sehen die ganze Zeit Sex, der für viele Frauen nicht befriedigend ist. Im Porno und im Spielfilm sehen wir heteronormativen Sex, bei dem es vor allem um die Penetration geht. Wir denken, so geht Sex. Dann reproduzieren wir diesen Sex, und der ist nicht befriedigend. Wir haben einen riesigen Orgasm-Gap. Das ist interessant, weil heterosexuelle Frauen viel seltener einen Orgasmus haben als homosexuelle Frauen. Das geht schon in der Schule los. Das, was wir über Sexualorgane lernen, ist, dass sie der Fortpflanzung dienen. Es geht nicht darum, was Lust ist.Placeholder infobox-1