Die fantastische Vier: Pilotprojekt in Deutschland testet Vier-Tage-Woche
Lohnarbeit 89 Prozent der Firmen, die vor einem Jahr an der britischen Studie zur Vier-Tage-Woche teilnahmen, halten noch an ihr fest. Jetzt startet ein ähnliches Pilotprojekt in Deutschland. Hier sind die besten Argumente für einen Tag weniger Arbeit
Was wirklich gestrichen werden sollte: der fünfte Arbeitstag
Foto: Manuel Geisser/ Imago
Wenn schon heute hunderttausende Fachkräfte in Deutschland fehlen, wie können Menschen im erwerbsfähigen Alter dann auf die absurde Idee kommen, nur noch vier statt fünf Tage die Woche zu arbeiten? Die Rechnung ist doch ganz simpel: Wenn eine pädagogische Fachkraft freitags keine 30 Kinder mehr betreut, dann müssen nicht nur 30 Kinder früher nach Hause gehen, auch ein Elternteil muss eher von der Arbeit kommen, um die Betreuung selbst zu übernehmen. Wenn eine Malerin freitags das letzte Zimmer in der Baustelle nicht streicht, dann ist ein Zimmer weniger gestrichen. Wenn ein Mitarbeiter in der Bäckerei montags fehlt, dann können weniger Brötchen verkauft werden. Die verkürzte Arbeitszeit würde der Wirtschaft etwas sehr Wichtig
tiges entziehen: Produktivitätspotenzial.Viele Berufsverbände und Politiker*innen sind deshalb angesichts der Umfragewerte in Sorge: Etwa 80 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wollen eine Vier-Tage-Woche. 73 Prozent aber nur, wenn der Lohn gleich bleibt. Das ergibt eine Erhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Das hieße also weniger Arbeit für mehr Lohn. Also nicht nur weniger Brötchen, sondern auch noch teurere? Unternehmer*innen, die die Vier-Tage-Woche befürworten, argumentieren anders: Im Handwerk fehlen massiv Fachkräfte. Betriebe, die eine 32-Stunden-Woche anbieten, bekommen deutlich mehr Bewerber*innen und können wieder ihre Auftragsbücher abarbeiten. Im Betrieb arbeitet dann einfach eine Person mehr und das Personal organisiert sich in Schichten. Allerdings ist es nicht so leicht aus den vielen Zahlen und Umfragen schlau zu werden.Eine Forsa-Umfrage von Anfang 2022 ergibt, dass 71 Prozent die Vier-Tage-Woche nach belgischem Modell sinnvoll fänden. Das belgische Modell bedeutet: 40-Stunden-Woche, aber an nur vier Tagen. Im April 2023 ergibt eine weitere Forsa-Umfrage, dass 55 Prozent der Befragten gegen eine Vier Tage-Woche (also 32 Stunden bei gleichem Lohn) sind. Der NDR gibt zur selben Zeit an, in einer Umfrage zu dem Ergebnis zu kommen, dass 73 Prozent der Befragten für die Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn sind. Die Umfragen haben allerdings die Gründe für die Ablehnung einer Vier-Tage-Woche gemeinsam: Einige arbeiten einfach gerne Vollzeit, andere sorgen sich darum, dass dieselbe Arbeit nicht in weniger Zeit zu schaffen ist, manche finden, ihre Arbeit könne nicht einen Tag ruhen, viele können es sich finanziell nicht leisten. Bei der letzten Antwort gehen die Befragten offenbar von einer Vier-Tage-Woche mit entsprechender Lohnkürzung aus. Das trifft auch auf Sue Sarikaya zu. Die 27-Jährige arbeitet 40 Stunden die Woche in einer Unternehmensberatung und ist dort vor allem für externe Kommunikation verantwortlich. Sie stieg mit einer Vier-Tage-Woche nach dem Studium in den Job ein, aber merkte nach drei Monaten, dass das Geld nicht reicht. Seither arbeitet sie 40 Stunden für 2.700 Euro netto. Davon zahlt sie 1.400 Euro Miete plus Versicherungen, Gas und Strom. 600 Euro im Monat gehen für die Tilgung von Schulden und die Unterstützung ihrer Mutter ab. Was übrig bleibt, legt Sarikaya beiseite, um Geld für Notfälle oder größere Anschaffungen zu haben: „Neulich waren das 3.000 Euro Zuzahlung für den Zahnersatz meiner Mutter“, sagt sie. Würde sie bei gleichem Gehalt einen Tag weniger arbeiten können, würde sie das augenblicklich tun. Weil sie eine rezidivierende Depression hat, fällt sie bei der 40-Stunden-Woche gelegentlich krankheitsbedingt aus. Zwei Wochen waren es im letzten Jahr.In Großbritannien testeten 61 Unternehmen für sechs Monate die Vier-Tage-WocheAlso kehrte sie zurück zur Vier-Tage-Woche. An ihrem freien Tag ging sie zur Therapie. Manchmal war dann der ganze Tag nötig, um das Besprochene zu verarbeiten. Manchmal nutzte sie den Tag für Erledigungen oder einen Ausflug. Es ging ihr besser. Aber die finanzielle Sorge hält sie zurück, wieder in Teilzeit zu wechseln. Möglich wäre das bei ihrem Arbeitgeber, aber eben nicht bei gleichem Gehalt. „Ich wünschte mir, mein Gehalt würde an konkrete Ergebnisse gekoppelt sein, nicht an Stunden“. Was Sue Sarikaya vermutet, belegt die bisher größte Studie zur Vier-Tage-Woche aus Großbritannien vom Februar 2023: 61 Unternehmen testeten für ein halbes Jahr lang die Vier-Tage-Woche mit dem Ergebnis, dass die meisten Unternehmen die Produktivität beibehalten oder sogar steigern konnten. Heute, ein Jahr später, wissen wir: 89 Prozent der damals teilnehmenden Firmen sind bei diesem Arbeitszeitmodell geblieben. Die Studie zeigte damals auch, dass die Krankentage deutlich zurückgingen.Natürlich ist die Vier-Tage-Woche in Bürojobs etwas leichter umzusetzen. Das glaubt auch Ioanna Tzimopoulou. Sie ist 51 und arbeitet seit acht Jahren als pädagogische Fachkraft in einer Deutsch-Griechischen Schule in Berlin. Sie betreut Kinder zwischen sechs und acht Jahren im Unterricht und nach der Schule im Freizeitbereich. Drei Jahre machte sie den Job 40 Stunden die Woche. Dann reduzierte sie auf 35 Stunden und verteilte sie auf 7,5 Stunden pro Tag. Das klingt nicht nach viel Reduktion, aber Tzimopoulou braucht diese halbe Stunde pro Tag dringend für sich: „Ich konnte das einfach nicht mehr und war jeden Tag und am Wochenende total fertig. Körperlich aber auch mental“.Sie würde gerne noch weniger arbeiten, aber rechnete aus: Bei 35 Stunden die Woche verdient sie 2.100 Euro netto. Bliebe sie bis 2039 im Job, ergäbe das eine Rente von 1.565 Euro. Weil sie sicher ist, dass sie es nicht durchhalten wird bis dahin, wird ihre Rente definitiv kleiner ausfallen. Sie vermutet eher um die 1.000 Euro. Damit wäre sie von Altersarmut betroffen. Die Bezahlung ist nicht gut genug für das, was sie und ihre Kolleg*innen leisten. Und auch nicht hoch genug, um mehr zu reduzieren, sagt Ioanna Tzimopoulou. Schon jetzt schaut sie sich nach Alternativen um: „Es sind nicht die Kinder das Problem“, betont sie mehrmals, „es sind die Erwachsenen und die Situation“. Die Zusammenarbeit mit Eltern ist oftmals konfliktreich und wenig wertschätzend. Dazu kommen häufige Fehltage im Team wegen Krankheit.Wenn sie dann auch noch fehle, sind die Kinder komplett ohne Betreuung. Vier Tage die Woche arbeiten würde sie sofort, aber wie das in ihrem Bereich gehen soll, weiß sie nicht. Sie brauchen jeden Bewerber und jede Bewerberin dringend. Vier Tage pro Woche und Fachkräftemangel, das scheint erstmal widersprüchlich. Aber gerade da macht es Sinn. In den sogenannten „Engpassberufen“ fehlen die meisten Fachkräfte. Häufig sind diese Berufe besonders fordernd: Pflege, Kinderbetreuung, auf Baugerüsten herumklettern. In diesen Jobs brauchen Mitarbeitende mehr Zeit für Regeneration als in einem Bürojob.Christian Lindner verbreitet Fake NewsWenn jemand wegen Stress wütend auf die Tastatur haut, ist es weniger schlimm, als wenn jemand wütend einen pflegebedürftigen Menschen im Zimmer einsperrt oder vom Gerüst fällt. Dazu kommt: Die Arbeitgeber müssen quasi jeden nehmen, der kommt, weil die Personaldecke so dünn ist – auch wenn darunter die Qualität leidet. Das Uniklinikum Bielefeld testet die Vier-Tage-Woche seit Sommer 2023, um dem Pflegenotstand entgegen zu wirken. Pfleger Thorsten Böhm arbeitete bisher immer elf Tage am Stück und hatte dann drei Tage frei. Im ZDF sagt er, so gut wie alle seiner Kolleg*innen hätten gesundheitliche Probleme. Er hofft, dass er durch die Vier-Tage-Woche zu mehr Regeneration kommt. Möglich wird das, in dem einzelne Schichten länger werden, dafür aber mehr Personal den Schichtdienst übernimmt. Das Klinikum kann schon jetzt mehr Bewerber*innen verzeichnen als vorher. Ähnliches berichten Handwerksbetriebe und Hotels, die auf vier Tage umgestellt haben. Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist gegen die Vier-Tage-Woche. 2023 sagte er auf einem Event des CDU-Wirtschaftsrates: „Es gibt weltweit und historisch keine Gesellschaft, die ihren Wohlstand dadurch erhalten hat, dass sie weniger arbeitet“. Vielleicht hat er vergessen, dass wir noch bis in die 1980er-Jahre zum Teil eine 48-Stunden-Woche mit sechs Tagen Arbeit die Woche hatten? Unter dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“ forderte die IG Metall 1956 eine 40-Stunden-Woche mit nur fünf Arbeitstagen. Ein paar Jahre später wurde sie in vielen Betrieben umgesetzt, bis sie 1983 flächendeckend für ganz Deutschland galt. Dennoch hat der Wohlstand in Deutschland zugenommen. Das sollte ein Bundesfinanzminister wissen.Im Februar 2024 startete auch in Deutschland ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche. Daran nehmen deutschlandweit 50 Unternehmen unterschiedlicher Branchen für ein halbes Jahr teil. Bei gleichem Gehalt reduzieren sie die Arbeitszeit auf vier Tage. Die Universität Münster begleitet das Projekt und wertet die Ergebnisse am Ende aus.
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