Arbeit, Familie und Gen Z: Vollzeit für alle kann nicht das Ziel sein

Mutti Politics Diese jungen Leute mit ihrer „Work-Life-Balance“ verdienen keinen Spott, sondern Solidarität – vor allem von Eltern, die Tag für Tag erschöpft um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ringen
Ausgabe 06/2024
Wer nicht im Büro sitzt, kann sich anderen Dingen widmen
Wer nicht im Büro sitzt, kann sich anderen Dingen widmen

Foto: Imago/Pond5Images

Bisweilen staunt man ja über eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. So geht es mir, wenn ich die Debatten um die 30-Stunden-Woche verfolge. Ich habe die größten Sympathien für das Modell, wobei es je nach Branche nötig sein mag, die verringerte Arbeitszeit unterschiedlich aufzuteilen – etwa als Fünf-Tage-Woche mit verringerter Stundenzahl pro Arbeitstag oder als Vier-Tage-Woche. Es steht jedenfalls außer Frage, dass alle von einer Verringerung der Arbeitszeit profitieren würden, auch wenn Arbeitgeber das Gegenteil behaupten – das ist nun einmal ihr Job, gewissermaßen.

Das feministische Narrativ von der Befreiung der Frau durch Arbeit

Die Diskussion kollidiert allerdings mit dem feministischen Narrativ von der Befreiung der Frau durch Arbeit. Seit der zweiten Welle der Frauenbewegung galt es als ausgemacht, dass das Hausfrauenmodell beseitigt werden müsse. Dieser Anspruch kollidierte natürlich mit den Pflichten der Mutter – mangelnde Kinderbetreuung bedeutete für viele Frauen, dass sie allenfalls Teilzeit arbeiten konnten, und das erst, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus waren. So schuf der feministische Befreiungskampf eine Zwickmühle: Emanzipation war durch Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen; der Arbeitsmarkt ignorierte allerdings die Bedürfnisse von Müttern mit Kindern vollständig. Obendrein erklärte man Mütter zu schlechteren Angestellten, da sie jederzeit wegen der Kinder ausfallen könnten und sich nie so ganz dem Job widmen würden. So rechtfertigte man Karrieresackgassen.

Das Problem führte regelmäßig zu einer Entweder-oder-Wahl: Kind oder Karriere, Erfüllung oder Haushaltspflichten. Dass solche Debatten immer schon klassenblind waren, sei nur am Rande erwähnt. Sie problematisierten gar nicht erst das Primat der Arbeit, sondern übernahmen die Scheinargumente für die Benachteiligung der Frauen im Rentensystem: Wer eine auskömmliche Rente haben wolle, der müsse eben lohnarbeiten. Wer dagegen „in alte Rollenmuster zurückfällt“, ist selbst schuld. Dass es an Zynismus nicht zu überbieten ist, dass diejenigen, die das umlagefinanzierte Rentensystem erst ermöglichen, durch dasselbe bestraft werden, dürfte klar sein.

Rede ich nun dem „klassischen Rollenmuster“ das Wort? Nein. Ich stelle lediglich den gleichstellungspolitischen Grundsatz in Frage, wonach die Vollzeit-Erwerbstätigkeit der Mütter das gesellschaftliche Ziel sein müsse. Ausgleich lässt sich auch anders herstellen, etwa indem die Väter weniger arbeiten.

Ich sehe allenthalben aufgeriebene Mütter, die nicht wissen, was sie zuerst machen sollen. Die Männer sind abwesend (da sie arbeiten), die Frauen hasten von der Arbeit zum Kindergarten zur Weiterbildung. Lebensglück sieht anders aus. Wenn ich mich frage, warum ich als Mutter so zufrieden bin, dann lautet die banale Antwort: Mein Partner und ich arbeiten jeweils 30 Stunden pro Woche und können uns gleichberechtigt der Kindererziehung widmen. Wir verzichten auf Einkommen; das ist uns der Gewinn an Freizeit und Lebensqualität absolut wert.

Wenn die Gen Z, die in aller Regel weder Kinder noch pflegebedürftige Eltern hat, Work-Life-Balance einfordert, warum sollten Eltern mit Kindern nicht dasselbe einfordern dürfen? Statt die junge Generation, die den Fetisch Arbeit nicht teilt, zu verlachen für ihre bescheidenen Wünsche: Vielleicht könnten wir uns zum Wohle aller mit ihr solidarisieren? Wir brauchen die 30-Stunden-Woche für alle.

Mutti Politics

Marlen Hobrack ist Schriftstellerin, Journalistin, Mutter und Autorin der monatlichen Freitag-Kolumne „Mutti Politics“. Ihr Buch Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet (2022) ist gerade in einer Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen.

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Marlen Hobrack

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