Claudia Roth: Zwei offene Briefe, aber nur einer wird skandalisiert

Meinung Flatternd, laut, emphatisch: Man muss Claudia Roth nicht mögen. Trotzdem stört unseren Autor, wie die Politikerin nach ihrer Berlinale-Entscheidung angegangen wird
Ausgabe 37/2023
Claudia Roth und die Berlinale. Manche halten das für keine gute Kombination
Claudia Roth und die Berlinale. Manche halten das für keine gute Kombination

Foto: Imago / Future Image

Es gibt einen Witz über Claudia Roth, der erzählt viel darüber, wie bestimmte Politikerinnen behandelt werden, wie grundsätzlich ihre Kompetenz angegriffen wird und verletzende Herablassung den Ton ausmacht: Der letzte Film, den sie sah, Claudia Roth erwähnt ihn immer mal, war Panzerkreuzer Potemkin. So geht der Witz. Claudia Roth ist seit zwei Jahren Kulturstaatsministerin. Sie sah Potemkin bei der Uraufführung. So geht die Pointe.

Vorab: Man muss Claudia Roth nicht über Gebühr mögen, nicht ihren flatternden, lauten Stil, der oft den Mund zu voll nimmt, nicht die ausgestellte Emphase. Man kann sie dafür kritisieren, dass sie bei der documenta im vergangenen Jahr sehr zögerlich eingriff. Als wäre sie überrascht davon, dass antisemitische Stereotype kein deutsches Privileg sind, sondern auch im Globalen Süden verbreitet. Ihre vermuckschte Form, mit der sie die Berlinale-Leitung zur Aufgabe drängte, will politischen Schaden vermeiden, wirkt aber vor allem feige. Es ist ein Einfallstor für Aficionados des Vorgängers Dieter Kosslick. Für Unterstützer einer Leitung also, die über Jahre eine banale Veranstaltung aus dem Festival machte.

Bei ihr geht es gleich um Amtsbefähigung

Aus der Parteipolitik hängen Claudia Roth Injurien der Güteklasse „dampfende Gefühlsmaschine“ (Stern) an. Nach der documenta wurden Bilder herausgekramt, wie sie iranischen Politikern die Hand gab – sie sollte in die Nähe des Antisemitismus gerückt werden. Außerdem und immer werden ihr Feminismus vorgeworfen, Mitgliedschaft bei den Grünen, ihr etwas bunteres Frausein. Weil das nicht reicht, geht es um Amtsbefähigung. Um grundsätzliche Mängel.

Der konservative Autor David Brooks hat in The Atlantic grade nach der Niedertracht gefragt. Seine These ist, dass in der Gesellschaft der USA lange nicht mehr eingeübt würde, wie man andere rücksichtsvoll behandele. „In unserer Gesellschaft haben immer mehr Menschen das Gefühl, sie könnten ihrer Selbstsucht freie Hand lassen.“ Der Blick in die USA lohnt, Dorothee Bär, Florian Hahn und Andreas Scheuer von der CSU besuchten letztlich den Gouverneur von Florida, Ron DeSantis. Dessen christliches Weltbild verträgt es, Geflüchtete mit falschen Versprechen zu deportieren. Auf seine Initiative werden Bücher aus Schulbibliotheken verbannt. Bei DeSantis geht es um persönliche Interessen, zum Playbook gehört die Verunglimpfung des Gegners. Die drei von der CSU twitterten danach von „Zusammenarbeit“.

Claudia Roth stellt die Leitung der Berlinale um. Sie muss sich überlegen, wie sie mit der Filmförderung umgeht – einem weitverzweigten System von Interessen, bei dem Fernsehanstalten mitreden, auch mal Produktionen mit Tom Cruise gefördert werden und oft der Eindruck zurückbleibt, dass Wirtschaftsförderung wichtiger ist als künstlerische Aspekte.

Und sie muss mit den hierarchisch auf ihre Vorgängerin Monika Grütters ausgerichteten Verflechtungen ihres Amtes umgehen, das Kulturstaatsministerium vergibt 2,14 Millarden Euro im Jahr, Dutzende Museen, Ämter gehören dazu, die Denkmalpflege, das vermaledeite Stadtschloss und ein von Grütters mit allerlei Halbheiten organisiertes Kulturschutzgesetz. Als das durchgeboxt wurde, gab es einen offenen Brief. Ein Kunsthändler wies Grütters Unwahrheiten nach. Als Claudia Roth erklärte, die Berlinale-Doppelspitze zu beenden, gab es auch einen offenen Brief. Menschen aus dem Filmgewerbe unterschrieben. Raten Sie mal, aus welchem die Bild ein Teilchen für ihre Kulturkampf-Kampagne macht.

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