Am Ende eines stellenweise gespenstisch stillen Tages jubeln auf Athens zentralem Syntagma-Platz die Gegner des Referendums. Das sind viele Unterstützer der Regierung, ihre nicht wenigen Kritiker von links und allenthalben Gegner der Austeritätspolitik. Dabei ist die Abstimmung von einem tief empfundenen Bekenntnis zu Europa getragen. Allerdings zu einem Europa, das nicht auf Wirtschaftskennzahlen und Finanzinstitutionen aufgebaut ist. Das Votum bestätigt die Regierungspartei Syriza, gegenwärtig die einzige in Griechenland, die sich weitergehende europapolitische Gedanken macht.
Allein deshalb ist das Ergebnis eine herbe Niederlage für die Europapolitik von Angela Merkel und den anmaßenden Ton von Wolfgang Schäuble. Auf dem Syntagma-Platz gibt es schließlich den größten Jubel, als Andonis Samaras, ehemalige Ministerpräsident und Parteichef der CDU-Schwesterpartei Nea Dimokratia, seinen Rücktritt erklärt.
Gleichzeitig tragen nur wenige, folkloristische Gruppen das Gefühl, einen antikapitalistischen Sieg errungen zu haben in die Nacht. Die Stimmen derer, die aus dem Euro oder gar der EU austreten wollen, sind unbedeutend. Die hölzernen Kommunisten der KKE marginalisierten sich selbst. Nur ein paar Phantasten wollen zur Drachme oder in ein Leben außerhalb der EU zurück.
Den allermeisten in Griechenland ist hingegen sonnenklar, dass die staatliche Verschuldung das Ergebnis von Misswirtschaft, Nepotismus und Korruption der alten Parteienblöcke ist. Und um aufzuräumen, braucht man den politischen Willen der Institutionen Europas. Kaum jemand hat etwas gegen vernünftige, sogar harte Sparpolitik. Mit dem Vorschlag, den Staatsapparat zu verschlanken und mit dem Gedanken von Effizienz zu durchleuchten, findet man sofort griechische Freunde. Nur können nicht Rentner und Kranke, Geringverdienende und mittelständische Betriebe die Spesen für eine Bankenrettung und den Unterhalt der Eliten übernehmen. Auch deshalb ist das Ergebnis beeindruckend. In der vergangenen Woche hat der Druck, für das Referendum zu stimmen, mit Drohkulissen in Medien und Unternehmen noch einmal harschere Töne angenommen.
Gar nicht ausgemacht ist dagegen, wie gut das Ergebnis Alexis Tsipras schmeckt. Die Regierung ist gefestigt. Darin ist der Ministerpräsident immer noch von der rechten ANEL und innerparteilich von krawallbereiten linken Gruppen abhängig. Dass Finanzminister Yanis Varoufakis zurücktritt, ist eine erste klimatische Verbesserung. Aus der Konstellation seiner Regierung – das hat die vorletzte Woche in Brüssel gezeigt –hatte Tsipras auf Europäischer Ebene fast keinen politischen Spielraum. Es wird sich zeigen, ob er es schafft das Votum innerparteilich zu seinen Gunsten umzumünzen.
Und so wurden manche Gesichter in der Menge ernst, als auf dem Syntagma-Platz die massierten Marschgruppen der Ant.ar.sy.a. mit Bannern, Trommeln und Geschrei auftauchten. Für etliche Familien war es das Zeichen zum Aufbruch. Auf dem Heimweg konnten sie sich noch in der Schlange am Bankautomaten einreihen.
Kommentare 22
"..Das "OXI" der Griechen ist von einem Bekenntnis zu Europa getragen. Allerdings zu einem Europa, das nicht auf Wirtschaftskennzahlen und Finanzinstitutionen aufgebaut ist:."
Ja und genauso ein Europa brauchen wir für die Zukunft.
Ich bin zwar kein Griecher aber als Europäer bin ich sehr Stolz auf die Menschen in Griechenland, die mit ihrer Wahl gestern Geschichte geschrieben haben und damit den undemokratisch zusammengesetzten Institutionen die rote Karte gezeigt haben.
Ich wünschte mir, wir wären genauso mutig und ließen mit uns nicht alles machen. Aber im Gegenteil zu den Griechen sind wir der Obrigkeit gegenüber viel zu gehorsam in Deutschland und das ist das eigentliche Problem, was uns immer begleitet. Leider!
"...Aber die werden wohl kaum über Nacht freiwillig aussterben,.."
Da haben Sie Recht. Aber diese Institutionen können demokratisch in so fern so gestaltet werden, dass sie den Menschen in Europa dienen. Das bedarf allerdings eine andere politische Erziehung, die auch wirklich in diesem Sinne gedacht ist und diesen Namen verdient hat. Kein leichter Weg aber machbar.
Mit Heidi Klum und andere Volksverdummung, die bei uns leider sehr stark verbreitet sind, werden Sie dieses Ziel mit Sicherheit nicht erreichen.
"...Unterschichten-Medien-Theater ala Klum ist überall verbreitet und nicht zwangsweise schlecht, ich wehre mich gegen solche Reflexe..."
Mit Verlaub, Aber wozu soll das "Unterschichten-Medien-Theater" gut sein?. Ich meine, was soll das bringen?. Kultur ist das nicht und mit Bildung hat auch nicht im geringsten zu tun.
Mit der Politischen Erziehung meinte ich natürlich eine gute Bildung und zwar für alle. Man sollte sich nicht sofort erschrecken, sobald einem den Begriff Erziehung zu den Ohren kommt. Höflichkeit gehört auch zum Beispiel zu einer guten Erziehung, mit der man im grunde genommen nicht viel falsch machen kann.
"...so Stefan Kornelius-mässiges Halbwissen und Stimmungsmache..."
da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Von dem halte ich im prinzip ziemlich wenig und aus meiner Sicht ist er kein Gewinn für die SD.
"...Ich fürchte der Kampf wird noch an ganz anderen Stellen geführt werden müssen.."
Verraten Sie uns bitte, wo und welche Stellen Sie meinen?
Scheint so, dass sich die europäischen Nadelstreifen von der griechischen Röhrenlaus der Insel 'Varoufakis' bedroht fühl(t)en.
"...wenn man sich nach einem anstrengenden Tag kein Bildungsfernsehen und anspruchsvolle Kultur mehr zu Gemüte führt..."
Wie wäre es mit einem guten Essen und einem guten Wein, das könnte auch entspannend wirken. nur als Tipp!
<<Wie fett und Bräsig sind manche...>>
Die Griechen haben jeden Grund um ihre aktuelle Situation besorgt zu sein, was sie auch versändlich ist.Wie man es zur Zeit aus Athen wahrnehmen kann, bleiben sie relative rühig. Nur in Deutschland haben manche dermaßen die Hosen voll, obwohl es ihnen kaum besser gehen konnte. Man fragt sich in der Tat, woher kommt dieses Verhalten??
Intessant ist auch, dass der deutsche Steuerzahler, um den sich alle Politiker hier wahnsinnig viele Sorgen machen, der hat nämlich bis jetzt kein einziges Cent nach Griechenland überwiesen. Oder hat vielleicht jemand von euch am Ende des Monats auf sein Lohnabrechnung irgendeine extra Abgabe für Griechenland konstatiert .
Diese Propaganda hier bei uns ist wirklich kaum zuertragen. Ich denke manche hier haben einfach vergessen, wie beschießen den Menschen nach dem Krieg in Deutschland ging und dass sie auf Hilfe der anderen angewiesen waren. Abgesehen davon, dass sie vorher das ganze Europa in Schutt und Asche gelegt haben und millionen von Menschen in Verderb getrieben haben., was man wiederum von den Griechen nicht behaupten kann.
all dies kann nur darauf hindeuten, wie fett und bräsig sich manche Politiker hier bei uns entwickelt haben. Das ist wirklich einfach beschämend, dass der Chef der Sozialdemoratie Deutschland in seiner Pressekonferenz heute so einen Unsinn von sich gibt. Man fragt sich nur, wo bleibt die Solidarität der Sozialdemokraten mit den Griechen, mit der sie immer wieder kokettieren. Das ist einfach unglaublich, wie neoliberal all diese Leute geworden sind.
Nach so einem Verhalten sollte man vielleicht Gabriel und seiner Gefolgschaften eher den Namen A-sozialdemokratie (ASPD)verleihen. Der wird ihnen besser stehen.
Na und?
Wenn die Griechen nicht kriechen, wählt sich die Troika eben ein anderes Volk und lässt dort über die bleiernen Rettungsringe abstimmen. Die deutschen Wahlbürger, im Selbstausbeuten erprobt und in Streikphobie unübertroffen, mannhaft repräsentiert durch Elmar Brok, Martin Schulz und Lambsdorff Junior werden gern Hungertücher verteilen und die Debatte über Sterbehilfe (für "faule" Griechen) könnte einen anderen Dreh bekommen.
There is no exit despite surrender to financial weapons of mass destruction.
Als Schmankerl ein Hinweis auf einen FAZ-Artikel vom Dezember 2011:
Griechische Staatsanleihen Vierstellige Rendite
Eine Griechen-Anleihe ist momentan der Renner an der Börse. Wer jetzt kauft, kann im März steinreich sein. Doch wie die Partie genau endet, weiß niemand, selbst die Regeln sind im Fluss.
Der Mann, ein Investmentbanker der robusten Art, liebt klare Ansagen: „Alles auf die Griechen“, sagt er. Alles, was er flüssig habe, stecke er in Griechen-Anleihen - nicht das Geld seiner Bank wohlgemerkt, das eigene. „Geheimtipp“, knurrt er zum Adventskaffee, „sagenhafte Rendite“.
...
Rund 70 Prozent der Umsätze mit Euro-Staatsanleihen (die deutschen Bundesanleihen ausgenommen) entfallen momentan auf die Griechen, der Großteil davon (etwa 80 Prozent) auf ein einziges Papier: die Anleihe, die am 20. März 2012 fällig wird. „My Big Fat Greek Bond“, wie Witzbolde sagen: fast 15 Milliarden Euro schwer, aktueller Kurs: knapp über 40 Prozent. Der Zins beträgt 4,3 Prozent auf den Nennwert, ist aber eher zu vernachlässigen.
Die Wette ist eine andere: Halten sich die Griechen noch drei Monate irgendwie über Wasser, erhält der Privatanleger im März 100 Euro für die 40 Euro, die er jetzt investiert: Den Einsatz mal 2,5. 150 Prozent Gewinn in 100 Tagen, spaßeshalber hochgerechnet auf 12 Monate, überfordert das den Online-Kalkulator der Börse: Rendite größer als 999 Prozent steht da nur (vierstellig macht er es nicht).
Letztlich spuckt ein anderer Renditerechner rund 2600 Prozent aus, was allerdings unterstellt, dass die Wette über ein Jahr laufend wiederholt werden könnte. Das bedeutet aber, dass man die Rückflüsse zu denselben Konditionen wieder investieren kann. „Das zahlt sonst niemand“, tönt der Investmentbanker.
Ansonsten könnte Griechenland ein Verhungern an ausgestrecktem Arm drohen.
Vorab mein Kompliment für Ihren klugen Beitrag. Mein Eindruck ist, dass die konservativen europäischen Regierungen einschließlich der konservativen Sozialdemokraten genau dies wollen: Griechenland soll entweder eine genehme, d.h. eine mindestens sozialdemokratische Regierung beibringen - oder am ausgestreckten Arm verhungern.
Der heutuge Tag erinnert mich ein wenig an den 11-sptember 2001 und damit meine ich die Berichterstattung hier bei uns.
Auf Phoenix kommen wie am Fließband andauernd irgendwelche Experten, Professoren, journalisten zum Wort, jeder gibt seinen Senf dazu und akum ist er weg, kommt der andere. in einem sind sie sich alle einig, sie sind fast alle besorgt um den deutschen Euro und den deutschen Steuerzahler. das ist wirklich erbärmlich. Vielleicht werden manche anfangen, Hamsterkäufe zu machen. Mal abwarten.
Der heutige Tag erinnert mich ein wenig an den 11-sptember 2001 und damit meine ich die Berichterstattung hier bei uns.
Auf Phoenix kommen wie am Fließband andauernd irgendwelche Experten, Professoren, journalisten zum Wort, jeder gibt seinen Senf dazu und akum ist er weg, kommt der andere. in einem sind sie sich alle einig, sie sind fast alle besorgt um den deutschen Euro und den deutschen Steuerzahler. das ist wirklich erbärmlich. Vielleicht werden manche anfangen, Hamsterkäufe zu machen. Mal abwarten.
"...Die Abstimmung scheint mir weniger ein Zeichen einer gesunden Demokratie zu sein. Sondern eine Form des Nationalismus – wir gegen die EU !.."
Vielleicht sollten Sie etwas genauer hinhören, was die Neinsager bezüglich des Europa sagen. Die sind nicht gegen Europa sondern gegen die Sparmaßnahmen, die man ihnen aufdrucken will. Und sie wollen in der EU bleiben. wo sollen sie sonst hingehen??
"...Eine wirkliche demokratische Abstimmung wäre ein europaweites Votum.."
halte ich für ziemlich utopisch.Wer sollte dies europaweit organisieren?. Hier bei uns können Sie es getrost vergessen.
Interessanter Beitrag zu diesem Thema:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama_die_reporter/Ach-Griechenland,sendung410624.html
Sie lassen sich aber vorführen von den Troika-Lügen und der dümmlichen Propaganda. Verschonen sie uns damit. Hier gibt es denkende und lesende Menschen.
Es geht um trotzige Reformwiderspenstigkeit
http://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/150601_griechenland_01_small.jpg
Abbildung 1: Reformintensität insgesamt im Zeitraum 2007 bis 2014
Quelle: OECD 2015, S. 109 -
Platz 1: GR
Kaum noch nachvollziehbar ist darüber hinaus die Behauptung, die Probleme Griechenlands resultierten daraus, dass die griechische Regierung „keinen entschlossenen Reformkurs“ fahre.
So zeigt etwa eine neue Studie von Giannitsis/Zografakis, dass in Griechenland zwischen 2008 und 2012 die gesamten zu versteuernden Einkommen aller Haushalte um 22,6 Prozent, die gesamten Lohneinkommen gar um 27,4 Prozent gesunken sind (Giannitsis/Zografakis 2015, S. 24ff). Letzteres ist zu einem wesentlichen Teil eine Folge der radikalen Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Griechenland, die u.a. mit einer Lockerung des Kündigungsschutzes, einer Senkung des Mindestlohns im Privatsektor um 22 Prozent, einer Schwächung der Tarifvertragsstrukturen und einer Reduzierung der Abfindungen einherging.
Die Zahl der im öffentlichen Sektor beschäftigten Arbeitnehmer ist seit 2009 – je nach Abgrenzung – zwischen 20 Prozent und über 30 Prozent verringert worden, zusätzlich kam es seit 2010 zu deutlichen jährlichen Budgetkürzungen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen, im Transportwesen und bei den staatlichen Sozialleistungen. Viele Vermögenswerte in Staatsbesitz sind mittlerweile privatisiert worden (Polychroniou 2015). Nach einer erst jüngst erschienenen Analyse der konservativen Industrieländerorganisation OECD, die mit Hilfe eines „Reform Responsiveness“-Indikators (zur Berechnung vgl. OECD 2015, S. 106) die Reformintensität insgesamt in den OECD-Ländern im Zeitraum 2007 bis 2014 vergleicht, weist Griechenland die höchste Reformaktivität aller in die Untersuchung einbezogenen 30 Länder aus - NDS
Dazu müssten aber unsere Politiker und Medien aufhören, nur Lügen und Propaganda über GR zu verbreiten. Und endlich mal die international herrschende Informations-Qualität erreichen.
>>>So deutsch funktioniert Europa nicht<<<
TAZ Ulrich Schulte
BERLIN taz | „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ Nach dem Nein der Griechen fliegen so viele Lügen durch die politische Landschaft, dass man deutsche Spitzenpolitiker und wichtige Meinungsmacher kurz an den berühmten Satz des Sozialdemokraten Kurt Schumacher erinnern möchte. Hach ja, die Wirklichkeit. Sie wird im Moment von vielen negiert und von anderen hemmungslos umgedeutet. So sehr, dass das Ressentiment im deutschen Diskurs die Oberhand gewinnen könnte. Das aber darf nicht passieren.
Das Ergebnis des griechischen Referendums ist eben kein Nein zum Euro, wie die Bild-Zeitung imaginiert. Regierungschef Alexis Tsipras hat mit seinem Kurs auch nicht „letzte Brücken eingerissen“ für einen Kompromiss, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel beteuert. Und die Regierung Tsipras hat auch keinen Großbrand in Europa ausgelöst, wie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer behauptet, um dann über „linke Geisterfahrer“, „Erpresser“ und „Volksbelüger“ herzuziehen.
Wirklichkeit? Von wegen. So sieht Propaganda aus, die die Realität für eigene Interessen instrumentalisiert. Mit politischer Rationalität, gar Respekt vor anderen Kulturen und demokratischen Gepflogenheiten hat solche Hetze nichts mehr zu tun.
Die Frage auf den Abstimmungszetteln war präzise formuliert, sie bezog sich auf die zuletzt angebotenen Sparauflagen der EU-Institutionen – und auf nichts anders. Gleichzeitig belegen Umfragen, dass eine große Mehrheit der Griechen in der Eurozone bleiben will. Das bedeutet: Rund 60 Prozent der Griechen, gerade viele junge Leute, fordern zwar den Stopp der brutalen Sparpolitik. Sie wollen aber sicher keinen Austritt aus dem Euro. 40 Prozent der Bürger wären sogar bereit, trotz grassierender Armut noch mehr Härten hinzunehmen.
Das verschuldete Land ist also gar nicht so zerrissen, wie es scheint. Das Nein der Griechen ist in Wirklichkeit ein engagiertes Ja. Die Mehrheit will ein solidarisches Europa, das Schwachen beisteht und niemanden zurücklässt. Ein Europa, das nicht den Euro, die Börsen und den Markt anbetet, sondern das auf das Primat der Politik, auf Gemeinschaft und Integration setzt. Mal ganz vorsichtig gefragt: Wollen wir das nicht alle? Und sollte diese Vision einem reichen Staatenbund nicht ein paar Milliarden Euro wert sein?
Im Kern unpolitisch
Wer die komplizierte Gemengelage als Votum für den Euro-Austritt interpretiert, handelt verantwortungslos – und im Kern unpolitisch. Von CSU-Spitzenkräften ist man inzwischen gewohnt, dass sie jenseits der bayerischen Landesgrenze so dumpf agieren, als gössen sie sich zum Frühstück fünf Weißbier in den Hals.
Aber dass sich der SPD-Vorsitzende dafür hergibt, Ressentiments zu bedienen, um nach Prozentpunkten zu haschen, ist fürchterlich. Die deutsche Sozialdemokratie verleugnet in der Griechenlandfrage ihren Wesenskern, der ja trotz Agenda 2010 noch etwas mit sozialer Wärme und internationaler Solidarität zu tun hat. Ob Sigmar Gabriel mit seinem Rechtskurs bei ängstlichen WählerInnen punkten kann, ist offen.
Aber der identitäre Schaden an seiner Partei wird bleiben, das ist gewiss. Angesichts der Dramatik des Vorgangs kann einem die SPD allerdings fast schon wieder egal sein. Was für ein seltsames Demokratieverständnis ist das eigentlich, eine Volksabstimmung über harte Sparauflagen als Trick oder Erpressung der EU zu titulieren? Kanzlerin Angela Merkel, Gabriel und CSU-Granden loben sonst jederzeit die Idee, das Volk stärker mitreden zu lassen. Gerade in Europafragen wäre mehr Partizipation dringend nötig.
Als nackt entlarvt
Das Nein der Griechen ist in Wirklichkeit ein engagiertes Ja.
Viele Menschen hegen das Vorurteil, Brüssel sei ein alltagsferner, bürokratieversessener Moloch. Aber wenn dann die Regierung eines EU-Staats ihre Bürger abstimmen lässt, tun dieselben Beteiligten so, als gehe es um einen Putsch gegen die europäische Idee. Direkte Demokratie tatsächlich umsetzen, was denken sich diese Frechdachse eigentlich!
Das Charmante an der teils irrlichternden Syriza-Regierung ist ja, dass sie eingespielte Riten als nackt entlarvt. Tsipras hat mit dem Referendum radikal mit der bisherigen EU-Logik gebrochen. Die Troika hatte stets mit wenigen Beteiligten der Regierungen über Auflagen verhandelt.
Unter Ausschluss der Parlamente, nicht im viel bemühten Hinterzimmer, aber doch nach Kriterien, die kaum einer verstanden hat. Welchen Druck sie dabei ausübt, wie realitätsfern manche Sparvorschläge sind und wie sehr Parlamentsrechte dabei ausgehebelt werden, wurde einer breiten Öffentlichkeit erst durch die Griechenlandkrise bekannt. Für diesen Akt der Transparenz muss man Tsipras ’ Linksregierung dankbar sein.
Hinter den Schwaden der Nebelkerzen, die alle Beteiligten werfen, geht verloren, dass zwei Politikansätze aufeinanderprallen. Die EU-Institutionen, die deutsche Regierung und die anderer EU-Staaten halten an dem Diktum fest, eine Volkswirtschaft müsse sich nur marktliberal genug aufstellen, um zu wachsen. Tsipras und Co. werben für eine keynesianische Investitionspolitik und einen Schuldenschnitt.
Austeritätsdiktum führt in die Irre
Viele harte Fakten sprechen inzwischen dafür, dass der deutsche Weg bei Griechenland nicht funktioniert. Die Griechen haben ihren Haushalt in den vergangenen Jahren um gut 30 Prozent gekürzt. Ihre Wirtschaft schrumpfte um knapp ein Drittel, die Arbeitslosigkeit schoss auf 27 Prozent hoch. Die Kanzlerin müsste längst realisieren, dass ihr Austeritätsdiktum in die Irre führt, wenn eine tiefe Rezession und Überschuldung miteinander einhergehen.
Das Betrachten der Wirklichkeit beginnt aber auch nicht in der SPD. Ihr Vorsitzender räsoniert lieber darüber, dass das Geld deutscher Arbeitnehmer durch eine dauerhafte Griechenlandsubvention gefährdet wäre. Das stimmt, ist aber zu einfach. Gabriel sagt nichts dazu, dass ein Austritt aus dem Euro, der berühmte Grexit, noch teurer käme. Deutschland müsste hohe zweistellige Milliardenbeiträge sofort abschreiben, Europa schüfe sich ein Armenhaus vor der Haustür.
Das Schlimmste aber wäre das Signal der Desintegration. Europa wäre dann kein starker Wirtschaftsraum mehr, der gemeinsame Grundwerte hochhält. Sondern ein auf Wettbewerb getrimmtes Powerteam, das die Minderleister erbarmungslos zurücklässt. Zugegeben, es ist nachvollziehbar, dass die politischen Eliten Europas verärgert sind über das Gebaren der Neulinge aus Athen. Tsipras und sein Finanzminister haben jede Chance genutzt, um sich selbst zu diskreditieren.
Es ist eben wenig hilfreich, den Verhandlungspartnern Kriminalität und Terrorismus vorzuwerfen. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, warum sich eine linke Regierung lange dagegen sperrte, ihren aufgeblasenen Militäretat zusammenzustreichen. Und das nationalistisch konnotierte Pathos, mit dem Tsipras sein Wirken auflädt, ist wirklich schwer erträglich.
Aber Wut, Ärger und Frust sind eben keine politischen Kategorien. Sie führen zu nichts. Gute Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie der Versuchung der Emotion nicht nachgibt. Die Bundesregierung täte gut daran, den rationalen Kern zu suchen und zu bewerten, immer und immer wieder. Zumal die Deutschen in diesem Poker sehr mächtig sind, die Griechen aber sehr schwach. Wer aus einer Position der Stärke heraus nach unten tritt, wirkt widerlich, das sollten Gabriel und Scheuer nicht vergessen.
Wut, Ärger und Frust sind eben keine politischen Kategorien.
Tsipras agiert dagegen geradezu bestechend rational. Indem er seinen Finanzminister austauscht, nimmt er die Figur aus dem Spiel, die am meisten provozierte. Mit Jannis Varoufakis hätten sich die anderen EU-Finanzminister wohl nicht mehr an einen Tisch gesetzt, mit seinem Nachfolger werden sie es tun müssen. Tsipras demonstriert Handeln, er bringt die EU-Institutionen mit der Personalie in Zugzwang. Und die Europäische Union?
So deutsch funktioniert Europa nicht
Die anderen EU-Staaten, allen voran Deutschland, dürfen angesichts dessen nicht in ihrer Trotzhaltung verharren. Demokratie ernst zu nehmen hieße, Griechenland neue Verhandlungen anzubieten. Der Kanzlerin wird ja nachgesagt, schnell zu lernen. Das war innenpolitisch immer ihre Stärke, bei der Atomkraft, beim Mindestlohn oder in der Familienpolitik.
Angela Merkel hat bisher versucht, die europäische Krise auf sehr deutsche Art und Weise zu lösen. Sie setzte auf die seltsame und für die allermeisten Völker völlig unverständliche Ideologie, dass hartes Sparen ein volkswirtschaftliches Allheilmittel ist. Sie setzte auf millimeterkleine Schrittchen und auf zähe Verhandlungen wie zwischen Arbeitgebern und IG Metall. Und sie vertraute darauf, dass sich der Schwächere in diesem Ringen am Ende fügt. Aber so deutsch funktioniert Europa nicht.
So ironisch es klingt, die Griechen geben Merkel mit ihrem Nein zum Sparen die Chance, ihre Fehler zu korrigieren. Helmut Kohl, der noch eine echte Idee von Europa vertrat, hätte wahrscheinlich schon vor Jahren den Schuldenschnitt für die Griechen unterschrieben.
Man freut sich über jede maßvolle Kommentierung. Ansonsten klingt ja heute alles so ähnlich wie 1914. Jemand hat darauf hingewiesen, dass auch das klare Referendumsvotum letztlich nationalistisch motiviert war. Sollte zu denken geben. Hoffentlich kommt nicht auch noch die Amnestie für Steuerhinterzieher, die Tsipras offenbar in Erwägung zieht. Mir behagt nicht, dass man Syriza so umstandslos mit linker Politik gleichsetzt.
Jemand hat darauf hingewiesen, dass auch das klare Referendumsvotum letztlich nationalistisch motiviert war.
Wenn ich nicht will, dass mit dem Land, dessen Bürger ich bin, von reichen Nachbarn Schlitten gefahren wird, bin ich dann Nationalist?
Und abgesehen davon: Wenn die maßgeblichen europäischen PolitikerInnen politischen Verstand hätten, dann wüssten sie, dass nur eine linke Regierung den Griechen die Zumutungen "verkaufen" kann, die ihnen über die bereits bestehenden Zumutungen hinaus ins Haus stehen. Daher müssten sie Tsipras wie ein rohes Ei behandeln. Aber nein! Es kommt überhaupt nicht infrage, dass konservative Politiker und konservative Banker einer sozialistischen Regierung helfen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, in den ihn konservative Politiker und geldgierige Bankster gefahren haben, die dabei ebenfalls nicht im Verdacht einer sozialistischen Gesinnung standen bzw. stehen. Wo käme man denn da hin? Nein, nein! Der ganzen Welt muss demonstriert werden, wie man mit Sozialisten umgeht.
Am letzten Sonntag in der Talkshow bei Jauch sagte der Ex-BamS-Mann und sogenannte Politikberater Michael Spreng außer anderem Unsinnn zu dem Syriza-Mann Chondros: "Sie werden es nicht schaffen, aus Europa eine sozialistische Gemeinschaft zu machen." Das ist es, worum es geht: Herr im Haus sind wir, die Konservativen. Und das bleibt auch so.
Und sollte es, was nicht auszuschließen ist, in Griechenland zu einem Bürgerkrieg kommen, sind natürlich auch die Sozialisten daran schuld. Wer denn sonst? Schließlich haben die konservativen Europäer den Griechen ein ums andere Mal die Hand gereicht, angeblich jedenfalls.
Greek Referendum 2015 : “NO” voter demographics
18-24: 85%
25-34: 72.3%
35-44: 67.4%
45-54: 69.2%
55-64: 59.4%
65+: 44.9%
http://www.publicissue.gr/en/2837/greek-referendum-2015-no-voter-demographics/
"Sie werden es nicht schaffen, aus Europa eine sozialistische Gemeinschaft zu machen."
Syriza strebt einfach eine sozialdemokratische Wirtschafts- und Finanzpolitik an, die nicht alles auf die Schwachen ablädt, und mit der die Finanzoligarchie nicht alles bekommt, wie es in Brüssel, Berlin, ... gehandhabt wird. Dass die Konservativen mit der Sozialismus-Keule kommen und die sog. Sozialdemokraten gar "Kommunisten" schreien, offenbart zumindest letztere schlicht als Verräter an ihren Wählern und am eigenen Volk. Konservative haben schon immer die Klientel der Besserverdienenden vertreten, auch wenn sie etwas anderes behaupten. Die SPD aber ist die Partei, die ihre Gefolgschaft belügt, verkauft und ins Verderben stürzt.