Berlins Plan für den Molkenmarkt: Kommt jetzt der touristengerechte Historismus?
Stadtplanung Seit den 1990ern ringt der Berliner Senat um den Molkenmarkt in Mitte. Jetzt liegt der Rahmenplan für die Bebauung vor. Imitate sollen nicht überhandnehmen, sagt der Senator. Konservativ sind die Pläne dennoch
Eine versteckte Tafel kündigt den Plan für den Molkenmarkt an
Foto: Imago/Pemax
Die Altstadt ist jung, es gibt sie erst seit den 1970er Jahren. Davor war es eine Ansammlung älterer Gebäude, zu hochtrabenden Konzepten wie „historischer Stadtkern“ zuckte man die Schultern. Die älteren Viertel wurden von der Moderne bedrängt, man konnte nicht schnell genug durch sie mit dem Auto fahren, vor ihren Außentoiletten, den Kohlenöfen waren Bewohner*innen an den Stadtrand und in gartenumkränzte Einfamilienhäuser geflohen. Oder sie freuten sich über die Ästhetik des Funktionalismus in nagelneuen Großsiedlungen mit Parks.
Diesseits oder jenseits von Systemgrenzen und „antifaschistischem Schutzwall“ sollte Fortschritt Wachstum bedeuten, Wohlstand, fließend warmes Wasser, vielleicht Fernwärme. V
jung, es gibt sie erst seit den 1970er Jahren. Davor war es eine Ansammlung älterer Gebäude, zu hochtrabenden Konzepten wie „historischer Stadtkern“ zuckte man die Schultern. Die älteren Viertel wurden von der Moderne bedrängt, man konnte nicht schnell genug durch sie mit dem Auto fahren, vor ihren Außentoiletten, den Kohlenöfen waren Bewohner*innen an den Stadtrand und in gartenumkränzte Einfamilienhäuser geflohen. Oder sie freuten sich über die Ästhetik des Funktionalismus in nagelneuen Großsiedlungen mit Parks. Diesseits oder jenseits von Systemgrenzen und „antifaschistischem Schutzwall“ sollte Fortschritt Wachstum bedeuten, Wohlstand, flieXX-replace-me-XXX223;end warmes Wasser, vielleicht Fernwärme. Vor allem aber ein Leben auf Grundlagen der fossilen Industrie, garniert mit grenzenlosem Vertrauen in Wirtschaft und autogerechte Zukunft. Bis zur Erfindung der Altstadt störten die alten Häuser im Zentrum, eng war es hier, es roch schlecht, die Viertel waren mäßig beleumundet. In Berlin haben sie jetzt einen Rahmenplan beschlossen, der eine Art Altstadt herstellen soll.Der Senat ringt seit gefühlt eineinhalb Millionen Jahren, in jedem Fall aber seit Anfang der 1990er Jahre um den Molkenmarkt. Das ist ein zum Großteil unter Verkehrsschneisen und Parkplätzen verschwundenen Platz, einst historisches Zentrum der ersten geplanten Siedlung Berlins. Vom einstmaligen Klosterviertel ist nicht viel übrig, was der Zweite Weltkrieg nicht zerstörte, bekam die Stadtplanung hin: Verloren steht die Parochialkirche herum, das Alte und Neue Stadthaus und das Rote Rathaus. Dazwischen Teerdecke, Lärm, Feinstaub.Immerhin: Auch Wohnungsbaugesellschaften sollen mitbauenEin Rahmenplan ist eine etwas lauwarme Verabredung, eine Richtungsanzeige dafür, wo es grob hingehen soll. Dahin nämlich: Zu einem Gestaltungshandbuch im nächsten Jahr, dann sollen mehrere Wettbewerbe Gebäude und Flächen gestalten, ab 2028 werden erste fertige Häuser erwartet. Da sie aber in der Senatsverwaltung den Prozess schon ganz kräftig zerritten haben, schimmert durch alles der Gedanke von Altstadt und historischem Zentrum: Eine konservative Idee von Rekonstruktion für touristengerechten Historismus. Investorenkühle Luxussegmente. Bezüge zur Vergangenheit, erklärt Senator Christian Gaebler, sollen interpretiert, aber die Imitate nicht überhandnehmen. Immerhin auch Wohnungsbaugesellschaften an den 450 Wohnungen mitbauen, einige „mietpreisgedämpfte“ Unterkünfte sollen dann entstehen.Über die Stadt haben sich viele Menschen ausgelassen, über den fehlenden Weitblick, das Zusammengestückelte, seit ein paar Jahren kommt immer mühsamer verborgenes Desinteresse an Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe dazu. Städte sind Abbild von Macht – und deshalb von der Angst, verdrängt und überfahren zu werden. „Die Stadt, die Straße hat sich für die Wurstfabrikantinnen und die Zahnarztgattinnen entschieden“, schrieb Elfriede Jelineks einmal, und zwar in ein Theaterstück mit dem Namen Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. Das abstrahiert die Macht, zeigt aber, wer das Sagen hat: die Perlen-Paulas mit finanzstarken Gatten.Die Angst vor ihnen ist begründet, größere Städte wie München wirken im Inneren wie Historienaufzüge, in der Nähe wohnt es sich sündteuer. In Potsdam träumen viele von Gesamtpreußen, Köln, Essen, Bochum stehen im Zentrum Spalier für die Fußgängerzone. „Die Stadt“, formuliert Jelinek, „hat sich entschieden, dass die Anwaltsgattinnen und sogar die Anwältinnen selber, die Arztgattinnen und sogar die Ärztinnen selber, all diese Menschen von gewaltigem Umfang, denen man auf den ersten Blick ansieht, dass sie zu befehlen verstehen, hier Vorrang haben und Vorrang genießen.“Das behalten wir im Sinn, während nun der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, all die Verlautbarungen, Versprechen und Verfahren aufzulisten, die Besprechungen, Bekenntnisse und Beteiligungsverfahren, die sich um den Molkenmarkt ranken. Ab 2016 hob eine Mechanik an, die von städtebaulicher Qualifizierung sprach, Leitlinien verabschiedete, einen Wettbewerb auslobte und den mit einem Werkstattverfahren krönen wollte. Ein Siegerentwurf sollte, wollte, gekürt werden, alle, oder zumindest viele sollten mitmachen und mitsprechen.Petra Kahlfeldt machte kurzen Prozess mit den SiegerentwürfenDann aber zeigte sich abrupt, dass all die Broschüren und Prozesse schnell zu welken Ranken ums Karree verkommen, wenn ihnen die Bewässerung mit politischem Willen abgedreht ist; zu Gestrüpp und Ruderalvegetation der politischen Rhetorik. Vieles stellte sich als Zeitvergeudungssitzungen heraus, die, die dabei waren, sind enttäuscht, dass sie ihre Zeit verplemperten: Nachdem die neue Stadtbaudirektorin Petra Kahlfeldt Ende 2021 berufen wurde, machte sie kurzen Prozess mit Siegerentwürfen und Beteiligung – die Vortragsreisenden in Sachen kleinteiliger (lies: privatwirtschaftlich rentabler, weil hochpreisiger) Wohnbebauung nach historischem Vorbild gewannen Oberwasser. Politiktheoretisch ist das ein kleines Wunderwerk, denn inhaltlich treffen sich in den Bejublern einer Altstadt, eines Reenactment von Geschichte, Sozialdemokraten mit einer Art ideellem Gesamtliberalismus und Parteigängern der CDU. Der neue Rahmenbauplan, der irgendwie den Wettbewerb überspringt, scheint ein bisschen sozial auftreten zu wollen, lässt ein paar Begriffe zum Klima fallen. Vor allem aber will er wohl nicht in den Verdacht geraten, zu grün zu erscheinen.Was wurde aus Aufenthaltsqualität und Vorrang vor Autoverkehr?Man muss sich schon anstrengen, um all dem einerseits Glauben zu schenken und andererseits nicht zu fragen, was denn am Siegerentwurf der Büros Cyborra Klingbeil mit OS Arkitekter wurde: Sie hatten eine differenzierte Bebauung vorgeschlagen, Aufenthaltsqualität und Klimaanpassungsmaßnahmen Vorrang vor Autoverkehr geben wollen. Es ging um urbanen Holzbau, ein Vorhaben, nach dem sich viele Städte grade die Finger lecken. Berlin ist die Stadt, die nach 1990 so viele Möglichkeiten hatte, wie vielleicht keine im letzten Jahrhundert. Man hätte vorausdenken können, die weiten Brachflächen sorgsam planen, Klimaentwicklungen, Verkehr und soziale Verwerfungen eindenken. Davon haben die wechselnden Stadtregierungen wenig bis nichts getan. Vielleicht ist deshalb die Enttäuschung hier an jeder Straßenecke kräftiger, tritt einem härter gegens Schienenbein, lässt einen entmutigter zurück.