Ägyptens Walk-out im Atomwaffensperrvertrag

Genf Frustriert boykottiert Ägypten die halbe NPT-Konferenz. Die „Humanitäre Initiative“ sorgt indes für neue Hoffnung

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Ägyptens Walk-out im Atomwaffensperrvertrag

Foto: Chung Sung-Jun/Getty Images

Nach zwei Wochen endete am Freitag ein fast jährlich stattfindendes Ritual: die Konferenz der Vertragsparteien zum Atomwaffensperrvertrag (NPT). Diese hatte zwar kein Mandat, tatsächliche Entscheidungen zu treffen, diente aber als Vorbereitungskonferenz der 2015er NPT-Überprüfungskonferenz. Dennoch ist die Vorbereitungskonferenz das Forum, auf dem der Atomwaffendiskurs maßgeblich geführt wird und somit der ideale Ort, die Reaktionen der Staatengemeinschaft auf neue Entwicklungen im Feld der atomaren Abrüstung und Nichtverbreitung zu „messen“.

Dieses Jahr gab es tatsächlich neue Entwicklungen und teils dramatische Reaktionen. Das für alle Vertragsstaaten bindende Abschlussdokument der 2010er NPT-Überprüfungskonferenz hatte eine bis 2012 abzuhaltenden Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren Osten mandatiert. Nachdem auch der Iran seine Teilnahme angekündigt hatte, war Israel der einzige Staat in der Region, der zu diesem Dialog noch nicht bereit war. Zwar ist Israel kein NPT-Mitglied und somit nicht an die Entscheidung für die Konferenz gebunden. Da Israel der einzige Atomwaffenstaat in der Region ist, sah sich der finnische Moderator der Konferenz gezwungen, die Konferenz abzusagen.

Darüber waren Ägypten und weitere arabische Staaten so erbost, dass sie innerhalb der Arabischen Liga berieten, der Vorbereitungskonferenz gänzlich fernzubleiben. Soweit kam es letztlich nicht; stattdessen boykottierte die ägyptische Delegation die zweite Woche der Konferenz. Nachdem die Debatte über die massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren Osten aus ägyptischer Sicht fruchtlos verlaufen war, inszenierte die ägyptische Delegation ihren Boykott mit einem abschließenden Statement und verließ sodann geschlossen das Plenum.

Warum diese heftige Reaktion?

Die abgesagte Konferenz hat eine 18-jährige Geschichte. Der ursprünglich auf 25 Jahre limitierte NPT drohte auszulaufen, als er auf der 1995er Überprüfungskonferenz auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. Die Atomwaffenstaaten hatten ein starkes Interesse an der Beibehaltung des Verbots, Atomwaffen zu entwickeln. In dieser Situation waren sie zu großen Zugeständnissen bereit, weswegen die USA, Großbritannien und Russland die atomwaffenfreie Zone im Mittleren Osten vorschlugen. Bisher wurde keine solche Zone eingerichtet – die überaus schwierigen Verhandlungen und unbedingt notwendigen vertrauensbildenden Maßnahmen wurden nicht einmal begonnen.

Quid pro quo

In ägyptischer Lesart ist die Verlängerung des NPT, und damit der enthaltenen Bestimmungen, nur haltbar, wenn die zum Zwecke der Verlängerung gemachten Zugeständnisse auch umgesetzt werden. Gibt es keine Bemühungen, eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren Osten einzurichten, könnte Ägypten im Extremfall die Gültigkeit des NPT in Frage stellen. Zwar würde eine Mehrheit der Staaten dies nicht akzeptieren. Dennoch teilen auch sie Ägyptens Frust darüber, dass 2012 selbst der bloße Dialog über eine solche Zone gescheitert ist, noch bevor er hätte beginnen können.

Auch in Ägyptens sicherheitspolitischen Umfeld erscheint diese Position nachvollziehbar. Zwar wusste Ägypten auch 1995 schon, dass es kein Leichtes sein würde, Israel zur nuklearen Abrüstung zu bewegen. Ägyptens Verzicht auf die Option, Atomwaffen herzustellen, wäre in einer atomwaffenfreien Nachbarschaft aber deutlich nachhaltiger. Auch Ägypten sorgt sich um eine mögliche militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms. Seit geraumer Zeit stehen Befürchtungen und Drohungen zu saudischen, ägyptischen und gar türkischen Atomwaffenprogrammen im Raum, falls der Iran ein Atomwaffenstaat werden sollte.

Vor diesem Hintergrund sollte ohne jeden Zweifel keine Anstrengung für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone gescheut werden. Ägypten ist mit den bisherigen Bemühungen – zu Recht – höchst unzufrieden, und hat dies mit seinem Boykott der zweiten Konferenzhälfte deutlich gemacht.

Letztlich kann eine solche Zone nur mit Israels Unterstützung entstehen. Daher wäre es auch aus israelischer Sicht eine kluge Nachbarschaftspolitik, wenigstens einen Dialog zu diesem Thema zuzulassen, zumal alle Arten Massenvernichtungswaffen – also auch die syrischen Chemiewaffen – thematisiert würden. Die Zone selbst wird mit Israels Veto wohl erst mit universeller nuklearer Abrüstung einhergehen.

Hier allerdings waren auf der diesjährigen Konferenz auch die größten Lichtblicke zu verzeichnen: 80 Staaten unterstützten zusammen das Statement der „Humanitären Initiative“, das breiteste Statement innerhalb des NPT seit seiner Unterzeichnung. Sie betrachten Atomwaffen nicht als Objekt abstrakter Sicherheits- und Abschreckungskonzepte, sondern als Waffen, die dementsprechend nach ihren humanitären Auswirkungen untersucht und beurteilt werden müssen. Nach der historischen Konferenz in Oslo wird dieses Thema in Mexiko vertieft – in einem so inklusiven Rahmen, dass auch die nicht im NPT vertretenen Atomwaffenstaaten Indien und Pakistan bereits teilgenommen haben. Israel könnte diese Gelegenheit nutzen, um mit der internationalen Gemeinschaft auch über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen – im Mittleren Osten und anderswo – ins Gespräch zu kommen.

Im April/Mai 2013 fand in Genf die zweite Vorbereitungskonferenz für die 2015er Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leo Hoffmann-Axthelm

Leo ist ICAN-Abrüstungslobbyist in Berlin und Brüssel. @leo_axt

Leo Hoffmann-Axthelm

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