Böses Erwachen

Argentinien Im Wahlkampf versprach Mauricio Macri eine „Revolution der Freude“. Inzwischen wird klar, was das heißt: Entlassungen, Gesetze per Dekret, Entfesselung des Marktes

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In Buenos Aires demonstriert man gegen Macris Politik
In Buenos Aires demonstriert man gegen Macris Politik

Bild: EITAN ABRAMOVICH/AFP/Getty Images

Vermutlich haben nicht wenige der WählerInnen, dank denen der konservativ-neoliberale Politiker Mauricio Macri seit dem 10. Dezember Präsident Argentiniens ist, ihn nur gewählt, weil sie die Nase voll hatten vom Kirchnerismus. Da war der vage Wahlkampf Macris, der nur selten konkrete Versprechen machte und deren Konsequenzen verschwieg, eine klug gewählte Strategie. Er versprach mit seiner Partei „Propuesta Republicana“ (Republikanischer Vorschlag) eine „Revolución de la alegría“ – eine Revolution der Freude. Viele seiner WählerInnen dürften nun darüber verwundert sein, wie die aussieht.

Schon in der ersten Woche seiner Amtszeit leitete Macri den Abschied vom Kirchnerismus – der Politik seiner beiden Vorgänger Néstor und Cristina Kirchner – mit schwindelerregendem Tempo ein: die Exportsteuer auf Getreide wurde abgeschafft, die auf Soja gesenkt, die Subventionen von Gas und Strom sind seit Januar Geschichte, die Devisenbeschränkungen sind ebenfalls aufgehoben und der Peso um 40% abgewertet worden; dazu kommt eine Neuverschuldung von 15 Milliarden Dollar. Geschenke für Großunternehmer also und ein Anstieg der Lebenshaltungskosten, der noch kaum abzuschätzen ist.

Neoliberale Politik als "Verehrlichung" der Wirtschaft

Für ArbeitnehmerInnen begann die „Revolution der Freude“ besonders bitter: 20.000 staatliche Angestellte verloren seit dem 10. Dezember ihre Arbeit. Nimmt man den privaten Sektor noch dazu, kommt man auf 35.000 Entlassungen in Dezember und Januar. 150 MitarbeiterInnen der staatlichen Firma „Fabricaciones Militares“, die zum Verteidigungsministerium gehört, fanden sich Ende Januar vor verschlossenen Türen und wurden am Zutritt zum Gebäude gehindert. 47 Angestellte der Banco Central sind ihre Jobs ebenfalls los, auch 50 MitarbeiterInnen des Präsidentenpalastes sitzen nun auf der Straße. Etwa 60.000 weitere Jobs im öffentlichen Sektor sind in Gefahr, da die Regierung alle Arbeitsverträge, die in den letzten drei Jahren der Kirchner-Regierung geschlossen wurden, „überprüfen“ will. Die Entlassenen werden als „ñoquis“ verspottet – öffentliche Bedienstete, die nicht arbeiten, aber ihr Gehalt kassieren. Beweise dafür wurden nicht geliefert.

Dazu kommen die anstehenden „paritarias“, die Verhandlungen zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen. Um die Inflation in Schach zu halten, will die Regierung eine Deckelung bei 25%. Zum Vergleich: LehrerInnen fordern eine Lohnerhöhung von 40%, eben um die seit Jahren starke Inflation auszugleichen. Die Wirtschaftspolitik, die den sozialen Status vieler ArgentinierInnen bedroht, nennt die Regierung euphemistisch „sinceramiento“ – Verehrlichung.

Der Kongress ist in der Sommerpause und die großen Medien applaudieren

Besonders delikat ist an Macris Politik, dass sie bisher komplett am Parlament vorbei stattfindet. Der Kongress befindet sich in der Sommerpause; dank Dekreten kann Macri umfassende Veränderungen einleiten, ohne mit der Opposition – die in beiden Kammern die Mehrheit hat – verhandeln zu müssen. Allein an seinem zweiten Amtstag hatte er 29 Dekrete erlassen.

Wer jedoch argentinische Zeitungen liest und ins Fernsehen sieht, der bekommt vermittelt, dass eine Maßnahme entweder wunderbar oder leider unvermeidbar sei. Von „mediale Panzerung“ (blindaje mediático) spricht man in Argentinien. Kein Wunder, zu Macris ersten Handlungen hatte auch gehört, das Mediengesetz, eines der emblematischsten Projekte der Vorgängerregierung, den Unternehmerinteressen Rechnung tragend zu modifizieren. Das Gesetz sollte das Kartell um den Clarín-Konzern schwächen, der so mächtig ist, dass es stets hieß, kein Präsident könne ohne Clarín regieren. Eine Sorge, die Macri nun nicht mehr haben muss.

Vielleicht beunruhigen ihn ja die Tausenden von Menschen, die bereits gegen ihn demonstrieren. Ob gegen die Entlassung des Journalisten Víctor Hugo Morales, die Schließung der kirchnertreuen Fernsehsendung „678“, die Entlassung Tausender öffentlicher Angestellter oder die Steuervorteile für Agrarkonzerne – das traditionell demonstrierfreudige Volk lässt sich auch diesmal nicht unterkriegen; unterstützt wird es durch milde Rhetorik Cristina Kirchners: „Der Ärger muss in Vorbereitung, Organisation und Handeln umgewandelt werden“ erklärte Macris Vorgängerin Ende Januar. Und so muss der Neue in der Casa Rosada sich zu Beginn des Jahres die ersten üblen Bilder seiner Amtszeit gefallen lassen: Sicherheitskräfte gehen gewaltsam gegen Proteste in La Plata, der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, vor. Da werden bei vielen üble Erinnerungen an die Krise von 2001 wach. Damals starben 28 Menschen, Präsident de la Rúa floh per Helikopter. In den zwei Jahrzehnten davor wurde neoliberale Politik betrieben, die jetzt wieder viele zu spüren bekommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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