Tschüss, Initiative GG 5.3 Weltoffenheit: Zwei Intendanten ziehen zurück, gut so!

Meinung Mit Michael Grosse und Barbara Mundel haben zwei Intendanten ihre Unterschrift unter der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ zurückgezogen. Das ist zu begrüßen, da die Erklärung Antisemitismus befeuerte. Aber warum zeigen nur zwei Einsicht?
Hat jüdischen Künstlern zugehört und gelernt: Barbara Mundel, Intendantin der Münchner Kammerspiele
Hat jüdischen Künstlern zugehört und gelernt: Barbara Mundel, Intendantin der Münchner Kammerspiele

Foto: Florian Peljak / picture alliance / SZ Photo

Die Wege der Vernunft sind manchmal lang und verschlungen. Aber, immerhin, mitunter kommt sie an, setzt sich durch, erringt einen kleinen Sieg gegen die allgegenwärtige Herrschaft der Unvernunft. So Anfang dieser Woche, als das Blog Ruhrbarone vermeldete, dass zwei Unterzeichner der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ ihre Unterschrift zurückgezogen haben.

Michael Grosse, Generalintendant und Geschäftsführer des Theaters Krefeld und Mönchengladbach, und Barbara Mundel, Intendantin der Münchner Kammerspiele, wollen mit der vor drei Jahren veröffentlichten Erklärung nichts mehr zu tun haben. Ihren Rückzug erklärten Sie auf Anfrage der Ruhrbarone, die mehrere der Unterzeichner fragten, wie sie heute dazu stehen.

Zur Erinnerung: Die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit trat im Dezember 2020 als Reaktion auf den BDS-Beschluss des Bundestags vom Vorjahr an die Öffentlichkeit. Darin hatte der Bundestag begrüßt, dass viele Gemeinden bereits beschlossen hatten, „der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, die finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern“, wie es auf der Internetseite des Bundestags heißt.

Der Bundestag wollte kein Geld für BDS

Außerdem sollten nach Auffassung des Parlaments keine Organisationen oder Projekte finanziell gefördert werden, „die das Existenzrecht Israels infrage stellen“ oder „zum Boykott aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen“. In einem Staat, der die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt hat, kann das eigentlich kaum verwundern.

Doch die Unterzeichner der Initiative waren der Ansicht, dass mithilfe der Resolution „durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt“ werden – gleichwohl lehnten Sie den Boykott Israels ab. Um ihr Argument zu stützen, verwiesen sie auf Artikel 5.3 des Grundgesetzes, der die Freiheit von Kunst und Wissenschaft garantiert.

Die Erklärung, was die Forderung, Israel die Existenzgrundlage zu entziehen, mit Kunst zu tun hat, blieben die Unterzeichner freilich schuldig. Man rettete sich hinter den nebulösen Begriff der „Weltoffenheit“, um Kunst- und Meinungsfreiheit gleichzusetzen. Dabei sind beides verschiedene Dinge. Antisemitismus ist vielleicht von der Meinungsfreiheit in Grenzfällen gedeckt, was unglücklich genug wäre – unter Kunstfreiheit fällt er nicht.

BDS ist in seinen Zielen antisemitisch

Dass es bei BDS nicht um eine harmlose, gewaltfreie Form des Protests gegen die Politik Israels gegenüber den Palästinensern geht, konnte, wer wollte, schon seit Jahren sehen. So sind an dem Bündnis auch Organisationen beteiligt, die nachweislich enge Bindungen zu den Terrororganisationen Hamas und PFLP haben. Der Gründungsaufruf von 2005 forderte ein Ende von „Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“, was so vage formuliert ist, dass es ganz Israel meinen kann – vor allem, weil gleichzeitig auch die Rückkehr der „palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum“ gefordert wurde.

Der vererbbare Flüchtlingsstatus der Palästinenser ist ein historisches Unikat, die Umsetzung dieser Forderung wäre de facto ein Ende des jüdischen Charakters Israels. Dem jüdischen Volk das Selbstbestimmungsrecht und die Selbstverteidigung abzusprechen, hieße in letzter Konsequenz, es jenen auszuliefern, die erklärtermaßen seine Vernichtung wollen: Hamas, Hisbollah, Iran, und so weiter. Es ist also eine antisemitische Forderung.

Wem diese dezidiert gegen die Existenz Israels gerichtete Stoßrichtung der BDS-Bewegung noch nicht antisemitisch genug war, der wurde mit einer Erklärung der Organisation nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober nochmals eines Besseren belehrt. Dort wird die Hamas ungenannt implizit als „palästinensischer Widerstand“ verklärt und Israel und seinen westlichen Verbündeten die alleinige Schuld an dem „schlagkräftigen bewaffneten Aufstand der unterdrückten Palästinenser*innen in Gaza“ zugeschrieben.

Barbara Mundel hat jüdischen Künstlern zugehört

Dass es in der internationalen Kunst- und Kulturszene starke Sympathien nicht nur für BDS, sondern teilweise offen für die brutale Gewalt der Hamas gibt, ist in den vergangenen Wochen mehr als deutlich geworden. Man kann Mundel und Grosse also nur zu ihrer Entscheidung beglückwünschen. Bemerkenswert ist insbesondere die Stellungnahme Mundels, die selbstkritisch vermerkte: „Aus heutiger Sicht verstehe ich das Plädoyer GG 5.3 als Teil einer Entwicklung, die israelbezogenen Antisemitismus normalisiert hat. Das teilweise vorhandene Zögern, den grauenvollen Anschlag der Hamas auf Israel zu verurteilen, hat auch mit der Virulenz dieser Form des Antisemitismus zu tun.“

Die Münchner Intendantin zeigt damit, dass sie in den letzten Jahren ein offenes Ohr für jüdische Kritik an der Initiative hatte. Denn jüdische Künstler und Kulturarbeiter beklagen, dass die Initiative eine Entwicklung befeuert hat, die ohnehin im Gange war: Eine für Juden und proisraelische Künstler unangenehme bis unsichere Atmosphäre in Kunst und Kultur.

Von wiederholten Aufforderungen, sich unabhängig vom konkreten Kontext der Arbeit zur Politik der israelischen Regierung zu positionieren (eine solche Identifikation aller Juden mit der Regierung des Staates Israel ist antisemitisch) bis hin zu stillem Boykott jüdischer Künstler (was offensichtlich antisemitisch ist) reichen die Erfahrungsberichte, die hören kann, wer hören will. Da viele Leiter wichtiger deutscher Kulturinstitutionen GG 5.3 Weltoffenheit unterzeichnet haben, machten sie implizit jüdischen Künstlern klar: Meine Einrichtung ist für euch nicht sicher, ihr seid hier nicht willkommen.

Auf der anderen Seite kann man also nur bedauern, dass Mundel und Grosse die einzigen sind, die ihre Meinung geändert haben. Alle anderen, die sich die Mühe machten, den Ruhrbaronen zu antworten, erklärten sinngemäß, dass die Erklärung ja nicht als Solidaritätsbekundung für BDS gedacht sei, sondern zur Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit. Interessanterweise fielen die Antworten, die ein Beibehalten der Unterschrift rechtfertigten, oft nahezu wortgleich aus, was darauf hindeutet, dass sich die Angesprochenen untereinander verständigt haben dürften – oder dieselben PR-Berater nutzen. Was der dabei oft verwendete formelhafte Satz, ihre „Haltung“ sei „auch und gerade nach“ dem Terror der Hamas „richtig und nötig“ bedeuten soll, ist ein Geheimnis der Unverbesserlichen. Das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft gewinnen sie damit sicherlich nicht zurück.

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