Rainald Goetz freut sich. Grinsend und wie ein hibbeliger Schuljunge steht der 69-jährige auf der Bühne im Rangfoyer des Deutschen Theaters Berlin und bedankt sich bei jenen, die hier Baracke, sein jüngstes Theaterstück auf die Bühne gebracht haben – sein achtes, aber die erste Uraufführung in Berlin, was ihn selbst zu erstaunen scheint, aber vor allem eben zu freuen. Denn er ist zufrieden damit, wie das Team um Regisseurin Claudia Bossard sein Stück „gepackt“ und „auf die Bühne geworfen“ habe. Goetz‘ knallroter Trainingsanzug kontrastiert herrlich mit dem barocken Interieur, beißt sich allerdings fürchterlich mit der pinken Bühne, auf der er steht – damit ist der Ton des Abends gesetzt, es wir
etzt, es wird widersprüchlich, aber lustig.Als er anfängt, legt er zunächst einen Stapel Bücher auf den Tisch und man denkt schon: oh weh, das kann dauern. Aber dann hält er sich ziemlich genau an die vorgegebene Zeit; die Bücher hält er bei Gelegenheit in die Höhe, als Art Quellenverweis. Er ist hier, um im Anschluss an die dritte Vorführung von Baracke einen zwanzigminütigen Vortrag zu halten, mit anschließender Fragerunde. Ein klassisches Format, das Goetz durch seine drahtige, nervöse Aufgeregtheit in Verbindung mit seinem blitzschnellen Denken und seiner beeindruckenden Eloquenz in ein beinahe familiäres Ereignis verwandelt.Doch Vorsicht, Familie ist das Reizwort des Abends. Denn Baracke ist eine mehr als zweistündige Auseinandersetzung mit der Familie als Keimzelle der Gewalt. Viel zu lang, findet Goetz, denn es sei ja nachgewiesen, dass die Aufmerksamkeit des Menschen nach 45 Minuten vorbei sei – dann brauche es also wenigstens eine Pause. Die gab es hier nicht – für ihr Ausbleiben fänden Theatermacher immer tausend Gründe, deren Relevanz jedoch an der physiologischen Wahrheit zerschelle.In „Baracke“ geht es um den NSU, aber was noch?Ein bisschen mehr Konzentration hätte dem Zuschauer während des Stücks nicht geschadet. Dass es um Familie, um Beziehung geht, das wird schnell klar. Aber die Szenen und Figuren und Textflächen purzeln hier etwas unsortiert durcheinander. „Kunst muss verstehbar sein“ proklamiert Goetz auf der Bühne und hält dann seinen eigenen Bildband hoch, um die Seite zu zeigen, auf der er das Gegenteil geschrieben hatte: Kunst muss unverständlich sein.Am Ende der Aufführung blieb jedenfalls Ratlosigkeit zurück. Es geht hier um den NSU, aber irgendwie auch um ganz viel andere Geschichte. Die Geschichte der Figuren wiederum geht etwas unter und wird zum Glück im letzten Akt nochmal zusammengefasst. Bea ist zwischen Ramin und Uwe hin- und hergerissen, bekommt ein Kind mit letzterem. Ihre Jugend im thüringischen Krölpa holt sie irgendwann ein, denn sie waren mit den späteren Mördern des NSU befreundet. So ungefähr. Zwischendurch wird ein Kassenzettel vorgelesen, während Menschen in Snickers-, Twix- und Bananen-Kostümen die Wiedervereinigung anpiepsen. Zum Schluss hängt sich wahrscheinlich jemand auf.Placeholder image-1Aber was soll einem das sagen? Wer von seinen Eltern geschlagen wird, erschießt später „Ausländer“? So einfach kann Goetz es sich doch nicht machen, will man glauben. Vielleicht versteht man es nur nicht – dann wäre er ja aber an seinem eigenen Anspruch gescheitert?Rainald Goetz: „Meine Weltsicht ist düster“Goetz ist nicht hier, um sich zu verteidigen, „es gibt keine Verteidigung des ästhetischen Werks“, auch nicht, um die eine gültige Interpretation seines Stücks zu liefern. Nein, er erzählt einfach ein bisschen zum Entstehungskontext und was er sich so dabei gedacht hat und das ist gleichzeitig so klug und unprätentiös, dass man sich fragt: Warum sind nicht alle Schriftsteller so? Zumal hier einer fröhlich proklamiert: „Meine Weltsicht ist düster, ich weiß nicht warum, wo das herkommt, aber es ist auch egal.“Baracke sei ein Nachfolgestück zu Reich des Todes, das 2020 in Hamburg uraufgeführt wurde. Hintergrund beider Werke sei die enorme „Weltverdüsterung“, die Goetz in den Nullerjahren empfunden habe und die er sich mit den nachträglich bekannt gewordenen Verbrechen erklärte: Abu Ghraib und NSU. Aber weil er kein zweites politisches Gesellschaftsstück schreiben wollte, sollte Baracke nur dem diffusen Gefühl, das sich rund um die Gewalt in der Familie ergibt, Raum geben. Gut, diffus ist das Stück tatsächlich, das muss man ihm lassen. Aber die Kunst hat eben, sagt Goetz, einen Latenzauftrag. Das heißt, der Autor muss das Geheimnis entschlüsseln, er muss alles verstehen – um es dann wieder verrätselt, verkompliziert im Werk zu versenken. Kunst muss also nicht verständlich, aber verstehbar sein; das Rätsel muss seine eigene Lösung in sich tragen.