Der Faustschlag: Schließungen des Goethe-Instituts in Frankreich
Kulturpolitik Anhängerinnen des „alten Europa“ fühlen sich verraten: Wegen des politisch verordneten Sparkurses schließt das Goethe-Institut gleich drei Standorte in Frankreich. Aber ist das wirklich Anlass zur Klage?
Die Leiden des nicht-mehr-ganz-so-jungen Goethe-Instituts
Fotomontage: der Freitag, Material: Getty Images
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die eine will sich von der anderen trennen.“ Wer, wenn nicht Johann Wolfgang von G. höchstselbst, könnte das Dilemma treffender beschreiben, vor das er mich knapp 200 Jahre nach seinem Ableben stellt. Denn während die eine Seele in mir es mächtig gewichtig, elegant und kultiviert findet, diesen Text mit einem Faust-Zitat zu beginnen, witzelt die andere, das sei doch ziemlich „oldschool und cringe“ (zu Deutsch: veraltet und peinlich). Worauf sich die erste wiederum zu Wort meldet und anmahnt, dass die Verwendung dieser Anglizismen aus der Jugendsprache eine herzlose Verunglimpfung „der Sprache Goethes“ sei!
Sie sehen, es geht mit dem Teufel zu – um noch einen Augenblick im faustischen Kon
im faustischen Kontext zu verweilen –, um zu ergründen, wie viel Goethe es heutzutage noch braucht und vor allem wo. Es verwundert also nicht, dass die nun bekannt gewordenen Sparpläne des nach dem „Dichterfürsten“ benannten, 1951 gegründeten Instituts, für Gesprächsstoff sorgen, mehr noch für harsches Zähneknirschen in diplomatischen Kreisen und einen regelrechten Aufstand in den Feuilletons bildungsbürgerlicher Gazetten.Sprachkurse und deutsche LiteraturHistorisch war das Goethe-Institut (GI) seit seiner Gründung nie nur reputierter Anbieter von Sprachkursen und Fenster für deutsche Literatur. Es galt als Gradmesser der bundesdeutschen Kulturpolitik, genauer gesagt des Auswärtigen Amtes, denn hier wird über den Großteil des Budgets entschieden, und da in diesen finanziell prekären Zeiten an allen Ecken und Enden gespart werden soll, bleibt auch oder gerade die Kultur nicht verschont.Im vergangenen Jahr forderten der Deutsche Bundestag und das Auswärtige Amt vom Goethe-Institut einen Maßnahmenkatalog, um zehn Prozent seines Budgets, rund 24 Millionen Euro, einzusparen, und der Bundestag hatte Teile des Etats mit einer Sperre belegt. Unter diesem Reformdruck gab die Zentrale in München nun bekannt, man werde bis zu 130 Stellen weltweit abbauen und neun Standorte zugunsten anderer Regionen schließen, darunter in Italien Triest, Turin und Genua sowie in Frankreich Bordeaux, Straßburg und Lille. Laut der Präsidentin des Instituts, Carola Lentz, der richtige Weg, um „angesichts neuer politischer Herausforderungen und geringerer finanzieller Spielräume seine langfristige Handlungsfähigkeit zu sichern“. Es liegt also mehr als nah, zu schlussfolgern, dass das kulturpolitische Schiff unter Annalena Baerbocks und Claudia Roths Flagge weiter gen Osteuropa schippert und Westeuropa das Heck zeigt.Eine Europa-Euphorie-PilleAnhänger des „alten Europa“ sehen sich verraten, hatte es doch in einem hauseigenen Strategiepapier von 2022 noch geheißen: „Mit Europa für Europa“. Offensichtlich rückt dieses Europa nun auch kulturpolitisch ostwärts. Das mag unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine kaum überraschen, allerdings blendet es die großen Schwierigkeiten im deutsch-französischen Verhältnis, eine rechtsextreme Regierung in Italien und die allgemein herrschende Krisenstimmung in Westeuropa aus. Ob es also ein kluger Zeitpunkt für die Schließungen war? „Rechtsruck und Rückzug ins Nationale sind eine ernst zu nehmende Gefahr für die europäischen Demokratien“, warnt die Politologin Claire Demesmay, die eine der gefragtesten Gesprächspartnerinnen ist, wenn es um deutsch-französische Zusammenarbeit geht: „In einem solchen Kontext brauchen die Bürgerinnen und Bürger in Europa mehr denn je interkulturelle Kompetenzen, wobei Kulturinstitute eine zentrale Rolle spielen.“ Sie glaubt an die Horizonterweiterung durch das Entdecken von Sprache und Kultur: „Der Perspektivenwechsel, der damit einhergeht, stärkt das Zusammenleben.“ In ihrer Arbeit hat sie viel über die Wahrnehmung „des Nachbarn“ gesprochen und festgestellt, dass kriselnde Zeiten alte Stereotype wieder aufkeimen lassen und Zerrbilder entstehen.Kultur als Europa-Euphorie-Pille war dagegen lange eine gut wirkende Droge, denn so konnte man zumindest noch auf gemeinsame Werte, vielseitige Kooperationen, Netzwerke oder Strukturen verweisen – und eben auch auf die Kulturinstitute. So erklärt sich die nun aufkommende Nervosität bei anderen Organisationen wie dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, wo man um die eigene Raison d’Être fürchtet; und weil in diesem Jahr der 60. Geburtstag des Élysée-Vertrages zelebriert wird, der Frankreich und Deutschland als Garanten europäischer Einigkeit so eng wie möglich aneinander binden soll, bewerten einige, wie das Urgestein der Frankreich-Versteher, Ulrich Wickert, die Entwicklung gar als einen Verstoß gegen selbigen Vertrag.Duolingo statt TestDaFDoch zurück in die heiligen Institutshallen und zur kritischen Selbstanalyse: Wer sich einmal in die Welt der „GI“ begeben hat, wird hier eine ganz eigene, unpoetische Sprache entdecken: Angefangen von Zertifikat A1 über den TestDaF und den Kurs für Kreatives Schreiben bis zum GDS (Großes deutsches Sprachdiplom) ... es ist ein Mini-Universum mit Semestern, Einstufungstests und Abschlusszeugnissen, mitten in einer Welt, in der Apps wie Duolingo oder Babbel boomen und in der künstliche Intelligenz uns Übersetzungen und (Fremd-)Spracherkennung nahezu in Echtzeit erlaubt. Seit Corona spielt sich der Spracherwerb sowieso größtenteils online oder hybrid ab, kaum jemand ist noch bereit oder in der Lage, mehrere Hundert Euro in einen Deutschkurs beim GI zu investieren, und das Interesse an Deutsch ist in Frankreich in den vergangenen Jahren sowieso stark zurückgegangen. Peu à peu versiegte damit die wichtigste Einnahmequelle der GI in Frankreich, während sich die Münchner Mühlen behäbig weiterdrehten und dem aufbrausenden Sturm nicht viel mehr als seitenlange Strategiepapiere entgegenzusetzen hatten.So blieb den kleinen Instituten vor Ort meist in Eigenregie noch die Event-Karte zu spielen, doch auch das Programmangebot hing nur häufig an der Strippe von Partnerorganisationen und Drittmitteln, und glaubt man den betroffenen Institutsleitungen, ließen die Apparatschiki in Bayern die Standorte eher ausbluten, als das Engagement zu fördern, erschwerten mit Hinweis auf die Vereinssatzung sogar, neue Einnahmequellen wie Untervermietung der Räumlichkeiten auszutesten. Ein Schelm, wer nun Böses dabei denkt, dass die frei werdenden, äußerst lukrativen Immobilien bei Verkauf der Institutskasse zugutekommen. Eine Handvoll alternder GermanophilerAber auch in Sachen Kulturprogramm hat das Goethe-Institut sich zu lange auf seinem Ruf ausgeruht. Wenn man junge Kulturschaffende aus Deutschland fragt, war es schon lange keine attraktive Anlaufstelle mehr – zu gestrig, zu verstaubt, zu wenig junges, zeitgenössisch interessiertes Publikum –, um ein wirklicher Akteur im Kunstbetrieb zu sein. Auch Autoren und Autorinnen sitzen immer häufiger vor einer Handvoll alternder Germanophiler, die sich im Klagelied über das schwindende Interesse an der deutschen Sprache ergehen. Da spielt es keine Rolle, zu welchem Themenabend das GI einlädt, ob es jetzt um Ecodesign, um Anselm Kiefer oder doch mal wieder die Résistance-Bewegung und die Weiße Rose geht: Häufig bleibt man unter sich, Diversität im Publikum Fehlanzeige. Gerade wenn man – wie in meinem Fall – bei Veranstaltungen ab und an auf der Bühne sitzt, blutet einem das Herz, wenn, bei aller Liebe zum Stammpublikum, keine neuen Gesichter im Saal sitzen, selbst wenn sich die Mitwirkenden alle Mühe geben, das Drumherum mit Insta-Posts und Newslettern aufzupeppen. Und auch, dass mehr gut betuchte Expats und ihr Nachwuchs die Angebote der GI-Bibliotheken nutzen statt Franzosen und Französinnen, muss stutzig machen.Man kann also auch sagen, das Problem ist in großen Teilen hausgemacht, und selbst engagierte, kreative und umtriebige Köpfe wie die Leiterin des Standorts Bordeaux, Luise Holke, konnten gegen die bayrische Behäbigkeit wenig ausrichten. Sie gehört – ein Detail in Goethes Dramen – zu einer der wenigen Führungskräfte mit DDR-Biografie, Jahrgang 1980, aufgewachsen in Potsdam und somit durchaus vertraut mit Transformationsprozessen. Ihre Arbeit zeigt, dass man konkret vor Ort mehr machen kann, als auf die Geschichte zu verweisen und die ach so wichtige deutsch-französische Freundschaft zu lobhudeln, um Standorte zu echten, pulsierenden Kulturzentren zu machen. Kürzlich erst lud sie die Fotografin Anne Schönharting von der renommierten Fotoagentur Ostkreuz ein und sitzt selbst in diesem Jahr in der Jury des Deutschen Fotobuchpreises. Derlei Kulturmanagement braucht es, weil das angestaubte Goethe-Gütesiegel eben nicht mehr zieht, ähnlich wie Berlin – einst sexy und mittlerweile eine Metropole unter vielen.Office-Sharing mit dem Institut Cervantes!Dabei haben andere deutsch-französische Organisationen wie der Bürgerfonds vorgemacht, wie Verjüngung funktionieren kann. Wie man Projekte zu drängenden Themen wie Klimawandel, Digitalisierung und sozialer Ungleichheit bilateral angehen kann, weg vom klassischen elitären Kulturkonsumenten und dem Dogma, dass für den Gut-Bildungsbürger nichts über ein Abi-Bac und das kleine Latinum geht.Auch Arte geht seit Jahren jenseits von Klassikkonzerten und nischigen Themenabenden auf die Suche nach neuen, jüngeren Zuschauergruppen, die digital unterwegs sind und eben nicht mit Max Mohr und Dennis Scheck vertraut. Das mag man gutheißen oder kritisch sehen, aber im Strudel der Zeit ist Stillstand von allen die schlechteste Option. Wäre es im Jahre 2023 nicht denkbar, sich mit anderen Instituten zu europäischen Kulturzentren zusammenzuschließen, wie dem spanischen Institut Cervantes, das auch eine Außenstelle in Bordeaux hat? Ebenso hätte man’s mit Office-Sharing und engeren Kooperationen mit lokalen Kulturvereinen versuchen oder sich Unterstützung von Nachwuchstalenten der Kunsthochschulen holen können. Stattdessen diskutiert man nun den Umzug der Zentrale von München nach Berlin, aber was erhofft man sich von diesem Ortswechsel? Dass die Berliner Politik sich durch räumliche Nähe in Zukunft wohlwollender und spendabler erweist? „Nach Golde drängt, am Golde hängt ...“, ach Wolfgang, du warst schon ein Checker.
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