Becoming Jane Birkin: Eine freie Frau

Nachruf Die gebürtige Britin Jane Birkin verkörperte den French Touch par excellence. Vorbild wurde sie aber auch in ganz anderer Hinsicht
Ausgabe 29/2023
Jane Birkin (1946-2023)
Jane Birkin (1946-2023)

Foto: McKeown/Daily Express/Hulton Archive/Getty Images

Wenn man über Jane Birkin schreibt, können einem – schneller, als man denkt – ein paar grobe Fehler unterlaufen. Man könnte sie auf ihr Image als Sexsymbol der 60er und 70er Jahre reduzieren, weil einem unweigerlich ihr orgastisch hingehauchtes Je t’aime im Duett mit Serge Gainsbourg im Kopf erklingt. Eine musikalische Provokation, mit der sie das konservativ-katholische Frankreich erschütterte und die auch in Deutschland vielen die Schamesröte ins Gesicht trieb. Und gleichzeitig ging von dieser schamlos offenen Erotik und von ihrem natürlichen Umgang mit einem kindlich-jungenhaften Körper eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen konnte. Birkin war immer eine freie Frau, keine, die sich als Sexbombe in Szene setzte. Im Gegenteil. Legendär war ihr Look mit Korbtasche, weit fallenden Jeans und weißem T-Shirt, selbstverständlich ohne BH. Sie hatte etwas hippieskes, androgynes, einen legeren Chic, eine glamouröse Schlichtheit. Sie wäre aus heutiger Sicht ein It-Girl, eine Influencerin, eine Verkörperung des Zeitgeistes womöglich. Doch im Grunde genommen verkörperte sie nur sich selbst.

Es könnte einem beim Blick auf ihr Leben ein weiterer Fehler unterlaufen. Man könnte ihre Geschichte entlang jener Männer erzählen, mit denen sie mehr oder weniger turbulente Beziehungen führte und deren künstlerische Erfolge Birkins eigene Karriere in den Hintergrund rückten: angefangen beim Komponisten John Barry über Serge Gainsbourg bis zum Regisseur Jacques Doillon. Dabei war sie neben der Zusammenarbeit mit ihren Männern in ihrem Schaffen eigenständig, ambitioniert und kreativ. Sie besaß den Ehrgeiz und die Ausdauer, sich schauspielerisch von komödiantischen Rollen bis hin zu melancholisch-dramatischen Figuren im Autorenkino weiterzuentwickeln. Ihre künstlerische Arbeit hatte schon begonnen, noch bevor man ihr die Rolle der Muse zusprach.

Jane Birkin: Eine politische Zeitgenossin, die sich gegen Front und später Rassemblement National stellte

Dass man sich so sehr für ihr Beziehungsleben und für ihre Rolle als dreifache Mutter interessierte, lag auch an der intensiven medialen Begleitung ihres Intimlebens, an den zahlreichen Familienfotos, Homestorys, Interviews, Fernsehauftritten. Vielen Franzosen kam es so vor, als sei die Frau mit dem neugierigen Blick und der sanften Stimme eine Vertraute, an deren glücklichen Momenten man ebenso teilhatte wie an den Dramen.

Es gibt noch einen weiteren Fehler, den man begehen könnte: sich allzu lang mit ihrem britischen Akzent aufzuhalten, der bis zum Ende jenen Kritikern aufstieß, die auch ihren Lebensstil zu exotisch, zu freiheitsliebend, zu anstößig fanden. Stets schien es so, als stecke von ihrer Seite auch eine Portion Koketterie dahinter, vielleicht gar eine gewollte Provokation, angesichts der (Vor-)Urteile, mit denen man ihr begegnete, sie reduzierte auf eine liebliche Baby-Doll. Denn Jane Birkin war – das zu übersehen, wäre der letzte und größte Fehler – eine politische Zeitgenossin. Sie stellte sich laut gegen die Rechtsextremen im Land, gegen den Front (und später Rassemblement) National, verkörpert durch die Familie Le Pen. Sie ging für das Abtreibungsrecht auf die Straße, unterstützte Menschenrechtsorganisationen oder die Umweltbewegung.

„Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“, schrieb Frankreichs berühmteste Feministin Simone de Beauvoir. Jane Birkin war vieles in ihrem Leben: erfolgreiche Künstlerin, Mutter, Ikone, Muse, Aktivistin, zeitloses Vorbild für weibliche Selbstbestimmtheit. Sie war es nicht, sie ist es geworden. Weil sie es selbst so wollte.

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

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