Der Gefoulte schießt nie selbst?

Rezo, Medien, Sido, Bild In seinem neuen Video übt Rezo Kritik an Methoden der Boulevard-Medien. Dass er damit Recht hat, zeigt die Aufregung um Sido und Daniel Didavi

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Rezo
Rezo

Foto: Screenshot YouTube

Wenige Stunden war das neue Video von Rezo erst alt, und schon verstieg sich so mancher Chefredakteur in wirre Schuldzuweisungen an den Youtuber, der – das sei in aller Deutlichkeit herausgestellt – in seinem neuen Video eben nicht ›zerstören‹ wollte. Rezo legte vielmehr in gewohnt ausführlicher Manier dar, wie Medien selbst dazu beitragen, Misstrauen in sie zu schüren. Dabei versuchte er, stets ausgewogen zu argumentieren, sparte nicht mit Lob für diejenigen Journalist:innen, die in seinen Augen wertvolle Arbeit lassen, und beging vor allem nicht den Fehler, die Schuld für den wachsenden Glauben an Verschwörungsideologien monokausal am Verhalten von Medienvertreter:innen festzumachen. Schon zu Beginn zählte Rezo einige relevante Faktoren – personale, psychologische und soziale – dafür auf, warum Menschen Personen wie Attila Hildmann Glauben schenken. An dieser Stelle lohnt es sich, weiterzufragen: Wie lassen sich diese Punkte mit Rezos Medienkritik, genauer gesagt mit Rezos Kritik an einigen spezifischen Medien verbinden, die den Großteil des Videos einnimmt?

Eingebetteter Medieninhalt

Der Rapper und der Fußballer

Eine triviale, aber nichtsdestoweniger wahre Aussage ist die, dass nicht jeder, der Verschwörungsmythen zum Teil Recht gibt, selbst als Verschwörungstheoretiker bezeichnet werden sollte. Nicht jede, die ein anfängliches Interesse für solch abstruse Weltanschauungen zeigt, ist für den demokratischen Diskurs bereits verloren. Und es ist davor zu warnen, dergleichen Menschen pauschal zu pathologisieren. Sicherlich gibt es Multiplikatoren wie Xavier Naidoo und Ken Jebsen, die sich seit Jahren so sehr in ihrer Parallelwelt eingerichtet haben, dass es zweifelhaft erscheint, ob eine Diskussion mit ihnen wirklich Erfolg verspricht. Aber es gibt eben auch andere: Der Rapper Sido und der Fußballer Daniel Didavi beispielsweise machten beide in den letzten Wochen damit Schlagzeilen, dass sie selbst Verschwörungsideologien verbreiteten und diese zugleich mit einer gehörigen Portion Medienschelte versahen – natürlich stets im von Rezo für solche Diskurse als typisch herausgestellten Duktus „Ich stelle nur Fragen“!

Gekaufte Journalisten und der Hip-Hop

Interessant ist in diesem Kontext die Frage: Welche Medien sind eigentlich mit ›den Medien‹ gemeint? Die Antwort liegt nahe, dass sich die beiden Prominenten vor allem auf Medien beziehen, die sie kennen. Und das sind – das darf an dieser Stelle durchaus angenommen werden – eher nicht das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung oder Websites wie übermedien.de. Sido und Didavi sprechen vielmehr über die Medien, in denen über sie selbst berichtet wird. Rezo stellt in seinem Video eine Vielzahl von Belegen zur Verfügung, denen zu entnehmen ist, wie normal der Umgang mit Falschaussagen gerade in der Yellow Press ist. Sido könnte man nun als Beispiel für eine Person heranziehen, die wiederholt mit diesen Gerüchten konfrontiert ist, kommt er doch als einer der bekanntesten Musiker Deutschlands immer wieder in diesen Medien vor. Es erinnert fast schon an eine selbsterfüllende Prophezeiung, dass unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos, in dem Sido Verschwörungsmythen relativiert und Journalist:innen als „gekauft“ bezeichnet, der Rapper Hausbesuch von einem „Bild“-Team bekommt, das sein Grundstück filmt und ihn zu Rede stellt.

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An dieser Stelle sei das eigentlich Selbstverständliche noch einmal klargestellt: Kein Vorgehen der „Bild“-Zeitung oder vergleichbarer Medien rechtfertigt die Mutmaßungen Sidos, dass alle großen Medien einer einzigen Person gehörten, die eine bestimmte Agenda betreibe. Genauso sind seine handgreiflichen Übergriffe auf das „Bild“-Team vehement zu verurteilen. Zu bedenken ist außerdem, dass seit Jahren bekannt ist, dass der deutsche Hip-Hop ein Antisemitismus-Problem hat, das einen Nährboden für Verschwörungsideologien bildet. Aber auch hier lässt sich ansetzen. Wieso eigentlich wird dies in den Szenemedien so wenig und unkritisch beleuchtet (wobei es natürlich Ausnahmen gibt)? Wieso wird die Debatte, wenn sie denn mal in den Leitmedien ankommt, so unterkomplex geführt? Vermengt man nun diese Faktoren mit dem grundsätzlichen Umgang von Boulevard-Medien mit Prominenten, kann dies Sidos Aberglauben in gewisser Weise erklären. Nochmals sei klargestellt: Keiner der erwähnten Aspekte stellt eine hinreichende Bedingung für Sidos Verhalten dar, dafür ist in erster Linie er selbst verantwortlich. Ähnlich gelagert ist der Fall Daniel Didavi, auch wenn hier ein anderes Medienfeld im Fokus liegt.

Der Gefoulte schießt nie selbst

Daniel Didavi ist als Berufsfußballer unmittelbar von den Auswirkungen der COVID19-Pandemie betroffen. Monatelang konnte er seinen Beruf nicht ausüben. Mittlerweile darf er wieder spielen, jedoch nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dies scheint bei ihm den Drang ausgelöst zu haben, kritisch nachzufragen, was grundlegend nicht zu verurteilen ist, jedoch schon in seinen Grundzügen scheitert. In einer privaten Instagram-Nachricht, die augenscheinlich publik wurde, schreibt er über Ken Jebsen:

[…] Aber anscheinend hat er den Holocaust geleugnet. Was er widerspricht. Also ist es ein Gerücht/eine Verschwörung gegen ihn.“

Didavi scheint der Meinung, dies sei „so ein typisches Bild davon wie unsere Medien funktionieren“. Dass er den Sachverhalt nicht trifft, ist offensichtlich. Noch weniger scheint er zu verstehen, wie Verschwörungsideologien funktionieren. Dennoch beschreibt er ein – in diesem Fall nicht einmal entfernt vorliegendes – Vorgehen, das er aus den Medien kennt, in denen er selbst häufiger vorkommt. Aussage steht gegen Aussage, Gerüchte werden für bare Münze genommen.

Denn leider ist es so, dass auch der Sport- bzw. insbesondere der Fußballjournalismus sich Praktiken bedient, die man eher in der Yellow-Press vermuten würde. Klar, auch hier gibt es Ausnahmen. Jedem, der regelmäßig Fußball schaut, muss bereits aufgefallen sein, wie viel sachbezogener DAZN berichtet als Sky. Bei 11 Freunde lassen sich spannende Anekdoten nachlesen, die manchmal sogar politischen Impetus besitzen, und hochkomplexe Analysen finden sich auf Taktikblogs wie Spielverlagerung.de. Aber der Großteil der Branche agiert nun einmal anders. Propagiert werden einfache Wahrheiten, die keiner Empirie standhalten können: „Der Gefoulte darf nie selbst schießen“ wäre ein Beispiel dafür. Experten (das Gendern wurde hier nicht vergessen) zeichnen sich meist nur dadurch aus, dass sie einen bekannten Namen besitzen, nicht dadurch, dass sie besonders klug über Fußball zu reden wüssten. Auch bei Transfermeldungen findet sich leider häufig der David-Odonkor-Effekt: Schnelligkeit vor Präzision. Jemand, der so lange dabei ist wie Daniel Didavi, spürt das. Und durch Medienschulungen, die die Interviews von Fußballern glattbügeln sollen, damit auch wirklich gar nichts falsch interpretiert kann, wird zusätzlich der Eindruck vermittelt, man müsse sich vor den Journalist:innen schützen, denn diese seien ja gar nicht an der Wahrheit interessiert, sondern nur an einer guten Story.

Doch auch hier muss die Einschränkung erlaubt sein: Gerade ein privilegierter Mensch wie Daniel Didavi verfügt über die Mittel, sich besser zu informieren. Wenn mir nicht gefällt, was eine Zeitung schreibt, lese ich eine andere. Unsere Medienlandschaft ist zum Glück vielfältig genug. Dass er und Sido das nicht tun, ist ihr eigenes Verschulden, das nun mal zur Folge hat, dass sie nicht viel mehr kennenlernen als Yellow Press, Bild und Fußball-Blase.

Auf der anderen Seite ist dies alles jedoch auch ein Beleg für eine weitere triviale Wahrheit: Reichweite verpflichtet. Es gibt kein gesellschaftliches Feld, auf dem es gerechtfertigt wäre, zum Unwohle anderer zu lügen, zu spekulieren oder es einfach mit der Wahrheit nicht ganz so genau zu nehmen. Wir alle haben ein Anrecht auf einen möglichst fairen und argumentativen Austausch – und dabei ist jeder einzelne Diskurs relevant.

Was Rezo in seinem neuem Video formuliert, ist demnach lange überfällig. Die Fälle Sido und Didavi stehen stellvertretend für einige weitere, die aufzeigen, dass Journalismuskritik wohl überlegt und differenziert geschehen muss. Rezo gelingt dies, das unterscheidet ihn vom Rapper und vom Fußballer. Auch, wenn jetzt viele wieder über ihn herfallen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leonard Nadolny

Irgendwas mit Literatur

Leonard Nadolny

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