Zu einer der wichtigsten Forderungen der feministischen Bewegungen der letzten Jahre gehört der Grundsatz „Nein heißt Nein“. Die Vielzahl an vorhergegangenen sexuellen Übergriffen und die daraus entstandene, weltweite Metoo-Bewegung zeigen, wie relevant diese Forderung ist und bleibt. Das Gegenstück, also die Frage nach dem Ja und somit auch dem Zustimmen, rückte innerhalb der Debatten der vergangenen Jahre eher in den Hintergrund.
Was heißt es also, etwas oder jemandem zuzustimmen, und wie stimmen wir überhaupt zu? Diesen Fragen geht die Philosophin Manon Garcia, die nach Stationen an den US-amerikanischen Universitäten Yale und Harvard nun praktische Philosophie an der Freien Universität in Berlin lehrt, in ihrem Buch Das Gesprä
Das Gespräch der Geschlechter – Eine Philosophie der Zustimmung nach.Schon zu Beginn des Buches zeigt sich die Komplexität des Themas. Denn das Zustimmen hat in verschiedenen Sphären andere Bedeutungen. Garcia differenziert hier zwischen dem Juristischen, dem Politischen und dem Intimen. In manchen Bereichen stimmt man durch Akzeptanz zu, wiederum andere verlangen nach einer aktiven Zustimmung.So ist das Akzeptieren einer Regierung oft ein reines Nicht-Widerstreben, während diese Form der Zustimmung beim Sex nicht ausreicht und man hier von Vergewaltigung sprechen würde. Es gibt also verschiedene Jas, derer wir uns in unserem Leben bedienen. Wer sich allerdings allein auf die Zustimmung konzentriert, denkt zu kurz und klammert den Kontext aus.Das ist vor allem relevant, um zwischen unmoralisch (im Sinne von verboten), moralisch gut (also erlaubt und gewünscht) und um der Konsequenz willen, moralisch schlecht (also erlaubt, aber nicht unbedingt gut) unterscheiden zu können. Bei moralisch schlechtem Sex handelt es sich um Geschlechtsverkehr, bei dem, ausgehend von einer Zweipersonenbeziehung, beide Personen eingewilligt haben, obwohl eine der beiden Vorbehalte hatte.Mächtige MechanismenWurde die Person zum Sex überredet? Oder hat einer der Partner das Gefühl, Sex haben zu müssen und stimmt deswegen zu? Hier auch von Vergewaltigung zu sprechen, würde das Verbrechen bagatellisieren. Aber natürlich stellen solche Szenen auch kein Bild eines erfüllten Sexuallebens dar. Die Differenzierung zwischen moralisch gut und moralisch schlecht erlaubt es, einen Diskurs über Zustimmung und Ablehnung zu führen, indem sie einem die nötigen sprachlichen Mittel dazu in die Hand gibt. Daran anschließend folgt in dem Buch ein langer Ausflug in die Idee der Zustimmung und die feministische Kritik, die aufzeigt, dass es im Patriarchat nie zu einer ernsthaften Zustimmung kommen kann. Dem Argument nach sind die verschiedenen Repressionsmechanismen gegenüber Frauen zu mächtig, um von einer freien Entscheidung sprechen zu dürfen.Nach einem fulminanten Kapitel durch die philosophische Machtanalyse merkt die Autorin allerdings an, dass es sich hierbei um die ideale Theorie handelt – also eine Theorie, der Perfektionismus und ein großes Maß an Unmöglichkeit anhaftet. In dieser Ideenwelt wird moralischer Sex unmöglich, gleichzeitig würde eine strikte Auslegung einer Entmündigung gleichkommen. Folglich dürfe man sie nicht instrumentalisieren, um Menschen ihren freien Willen abzusprechen. Was diese systemtheoretische Analyse von freien Entscheidungen allerdings so anziehend ihre Relevanz gibt, ist ihre Übertragbarkeit auf andere Lebensbereiche.Wenn man sich philosophisch weiter in idealer Theorie bewegen und Realpolitik kurz zur Seite schieben will, eröffnet ein solcher Analyseansatz neue Möglichkeiten zur Behandlung diversester Fragestellungen. Die Kritik des freien Willens lässt sich sogar auf den Arbeitsmarkt übertragen. Egal, wie gern jemand dem Job nachgeht: es ergibt sich trotzdem die Problematik der Freiwilligkeit zur Lohnarbeit in einer kapitalistischen Gesellschaft, wo das Individuum aus materialistischen Gründen arbeiten muss, um existieren zu können. Das entspricht zwar dem breit akzeptierten Gesellschaftsmodell, trotzdem lädt eine solche Philosophie zum Nachdenken über den hier existierenden freien Willen ein.Ähnlich großartige Ausschweifungen in die Philosophie finden sich auch an anderen Stellen, etwa wenn Garcia von einer Hierarchisierung von individueller Freiheit und dem Gesetz durch die Gerichte spricht. Als Fall dient ihr ein Urteil zur BDSM-Szene, das Verletzungen im Zuge dieser Praktiken kriminalisiert hätte. Die staatliche Aufgabe des Schutzes der Menschen durch das Strafgesetz wurde hier über die individuelle Freiheit der beteiligten Personen gestellt.Solche Hierarchisierungen begegnen einem im Alltag täglich, wie zum Beispiel durch das Arbeitsrecht oder bei der Restriktion von Drogen. Lange umkämpfte Rechte, wie die Mittagspause für alle, zwingen das Individuum zum Abhalten einer Pause am Arbeitsplatz, auch wenn es das nicht möchte.Trotzdem entschließt sich der Gesetzgeber, der arbeitenden Bevölkerung diese Entscheidung abzunehmen. In diesem Zusammenhang kann eine Hierarchisierung auch positiv sein. So würden die wenigsten die Mittagspause im Arbeitsrecht angreifen.Was Garcias Buch lesenswert macht, ist ihre Nähe zum Zeitgeist, ohne dabei in Phrasen abzurutschen. Einwände werden immer wieder erklärt, entkräftet oder eingebettet, gleichzeitig bleibt das Buch, auch durch die Übersetzung von Andrea Hemminger, gut verständlich. Die Lektüre ist fordernd, aber nicht überfordernd. Immer wieder unterbricht Garcia den Text durch die Einführung fiktiver Paare, die als Illustration für den theoretischen Inhalt dienen. Diese durchleben verschiedene Szenarien sexueller Begegnungen. So analysiert die Autorin das Konzept der Zustimmung und der Moral. Man brütet über den Sätzen und ist gleichzeitig mit einer Reflexion des eigenen Sexuallebens konfrontiert.Lücken bleiben jedoch – so lassen sich Machtanalysen heterosexueller Beziehungen nicht einfach auf queere Beziehungsformen ummünzen. Denn was heißt es, wenn beide Teile einer Partnerschaft ähnlich von patriarchalen Strukturen betroffen sind? Das Buch endet mit einem Appell für erotische Gespräche – mehr über Sex sprechen, auch wenn es unangenehm sein kann. Der Mythos, dass Worte eine Stimmung zerstören, ist hier hinfällig. Denn wieso sollten Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit unsexy sein?In einer Welt voller Sprache können Menschen das Sprechen über Bedürfnisse auch auf die intimsten Beziehungen übertragen und so lernen, Sexualpartner*innen „nicht nur als Mittel, sondern auch als Zweck zu behandeln“. Einen besseren Tipp gibt es wahrscheinlich nicht.Placeholder infobox-1