„How to Have Sex“-Regisseurin Walker: „Ich war immer wieder sprachlos“
Interview Molly Manning Walker erzählt in ihrem Film „How to Have Sex“ von drei britischen Mädchen, die im Griechenlandurlaub Spaß haben wollen. Ein Gespräch über das Frausein, sexualisierte Gewalt und das Drehen politischer Filme
Im Griechenland-Party-Urlaub mit Freundinnen soll die 16-jährige Tara (Mia McKenna-Bruce) endlich ihre Unschuld verlieren
Foto: MK2 Films, Darren Eagles
Gleich mit ihrem ersten Spielfilm wurde die britische Regisseurin Molly Manning Walker nach Cannes eingeladen und gewann dort in der Sektion Un Certain Regard den Hauptpreis. How to Have Sex erzählt von drei britischen Mädchen, die eine Woche lang im Griechenlandurlaub Party und Spaß haben wollen. Dabei ist beschlossene Sache, dass die 16-jährige Tara (Mia McKenna-Bruce) endlich ihre Unschuld verlieren soll. Während sie ausschweifend feiern und mit den Jungs vom Nachbarbalkon anbandeln, fällt den Freundinnen nicht auf, dass sich Tara unter dem Druck zunehmend unwohl fühlt. Bis einer der Jungs ihre Unsicherheit ausnutzt und sie ohne ihr Einverständnis zum Sex drängt. Damit verarbeitet die 30-jährige Regisseurin eigene Erfahrungen und hofft,
fahrungen und hofft, eine Debatte über den Umgang Jugendlicher mit Sexualität anzustoßen.der Freitag: Molly Manning Walker, wie gut kannten Sie diese Partyszene, die Sie in „How to Have Sex“ zeigen?Molly Manning Walker: Mit 16, 17 war ich selbst Teil dieser Welt, habe auch in Griechenland Urlaub gemacht. Ich war damals eine komplett andere Person, mit aufgeklebten Wimpern, Bräunungscreme, und ständig auf Partys. Ich musste also nicht viel recherchieren, um die Geschichte von Tara und ihren Freundinnen zu erzählen, weil ich eigene Erinnerungen daran hatte. Aber wir machten eine Reihe von Workshops mit Jugendlichen, um zu verstehen, was sich womöglich verändert hat. Und ich verbrachte noch mal zwei Wochen in der Party-Stadt Malia.Was war dabei die zündende Idee? Ging es Ihnen um das Thema einvernehmlicher Sex, um die Mädchenfreundschaft?Zunächst hatte ich den Titel, davon leitet sich alles ab. Ich wollte festhalten, wie wir in dem Alter durch andere oft falsch lernen, wie wir unsere Sexualität erleben. Und daran hat sich erschreckend wenig geändert. Bei den Workshops gaben wir Teenagern zum Beispiel eine Szene aus dem Film zu lesen, in der ein Mädchen zum Sex genötigt wird, und sie meinten, das sei ja gar kein Übergriff, weil sie schon die Nacht zuvor miteinander geschlafen haben. Es gab Mädchen, die sagten: „Kein Wunder, dass sie angemacht wird, so wie sie rumläuft.“ Ich war immer wieder sprachlos.Wie haben Sie diese Szenen später mit den Darstellern gefilmt?Ich wollte die Tat selbst nicht im Detail zeigen, die Kamera konzentriert sich auf Taras Gesicht. Es geht darum, wie sie sich in diesem Moment fühlt, nicht so sehr um die Gewalt selbst. Wir arbeiteten dabei eng mit einer Intimitätskoordinatorin, die half, die Szenen zu choreografieren. Während des gesamten Drehs versuchten wir, einen möglichst sicheren Raum zu schaffen. So waren immer beratende Personen am Set, die von allen angesprochen werden konnten.Warum war es für Sie wichtig, eine externe Intimitätsperson einzubeziehen?Weil ich glaube, dass es für die Darsteller wichtig war. Wenn sie alles für den Film tun wollen, weil sie so daran glauben, gibt es eine andere Person, die das hinterfragt. So fällt es ihnen leichter, kurz innezuhalten und zu sagen, wenn sie sich mit einer Szene unwohl fühlen. Diese Person ist Ansprechpartner für alles Mögliche und die Hemmschwelle ist niedriger als der Regisseurin gegenüber.Sie haben den Film letztes Jahr im November gedreht, im Mai wurden sie damit nach Cannes eingeladen, seitdem läuft er international auf Festivals. Wie haben Sie dieses Jahr erlebt?Der Dreh war eine kathartische Erfahrung für mich. Was danach kam, die Öffentlichkeit und die Presse, war dann oft sehr schwierig. Es ist zwar schön zu sehen, dass sich so viele Menschen von dem Film angesprochen fühlen und sich darin wiedererkennen. Aber es gab auch aggressive Reaktionen. In Cannes haben mich Journalisten gefragt: „Wie haben Sie denn Ihre Jungfräulichkeit verloren?“ Ernsthaft? Sie haben meinen Film gesehen und stellen mir diese Frage? Vor allem Männer, aber nicht nur. Ich glaube, einige fühlen sich angegriffen, weil sie das Verhalten des Typen im Film auf sich beziehen und es nicht als Angriff wahrnehmen wollen. Es kamen so Sprüche wie: „Warum ist sie nicht aus dem Bett, wenn sie nicht wollte?“ Kürzlich meinte jemand: „Fantastischer Film! Wenn ich nach Hause komme, werde ich meiner Tochter sagen, sie soll sich mehr anziehen.“ Eine andere Person fand es verstörend, dass kein Kondom benutzt wurde. Aber keine Rede davon, dass es eine Vergewaltigung war.Wie gehen Sie damit um?Manchmal steige ich darauf ein und erkläre, warum es wichtig ist, das anders wahrzunehmen. Und an anderen Tagen denke ich mir, lass sie reden, es ist nicht meine Aufgabe, sie zu erziehen. Aber ich spüre auch eine Verantwortung, wenn im Publikum Erinnerungen an eigene traumatische Situationen hochkommen. Damit kann ich nicht immer gut umgehen.Sie selbst haben entschieden, offen damit umzugehen, als Jugendliche selbst sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Wie haben Sie die Reaktionen darauf wahrgenommen?Es ist immer wieder herausfordernd. Wenn ich entspannt und ausgeschlafen bin und es ein gutes Gespräch ist, weil ich mich vom Gegenüber respektiert fühle, denke ich: Okay, lass uns reden und etwas verändern. Aber es gibt auch immer wieder Leute, die mir versichern, sie lieben den Film, um mir im gleichen Atemzug teils ziemlich aggressiv zu erklären, was sie selbst unter „Konsens“ verstehen. Dann wird’s oft knifflig.Der Film ist im November in Großbritannien angelaufen. Sie zeigen den Film aber nicht nur im Kino, sondern auch in Schulen und für Jugendgruppen. Welche Eindrücke haben Sie dabei?Vorletzte Woche war ich mit dem Film an meiner alten Highschool. Das war sehr emotional, weil die Kids erkannt haben, welchem Gruppendruck sie ausgesetzt sind, und ihn zugleich selbst aufbauen. Nicht nur, was Sex angeht, auch Drogen und Alkohol oder welche Klamotten gerade angesagt sind. Wir wollen diese Screenings fortsetzen und damit an rund 200 Schulen gehen. Wir überlegen jetzt, eine Art Seminar zu entwickeln, in dem über bestimmte Szenen und Aspekte des Films diskutiert werden kann, darüber etwa, wie die Mädchen sich gegenseitig unter Druck setzen, aber auch, wie sie ihre Gefühle artikulieren und über den Übergriff reden.Sie sind vor Kurzem 30 geworden. Inwieweit hat sich die heutige Situation für Teenager verändert seit Ihrer Jugend?Vor allem soziale Medien. Heute ist es viel leichter, etwas vorzumachen, ein Idealbild von sich zu schaffen, etwa auf Instagram. Alles wird zur Performance. Im realen Leben, aber auch im Internet. Dass das oft unterschiedliche Dinge sind, macht es für Jugendliche kompliziert und verwirrend.Drogen und Alkohol spielen in der Partykultur eine große Rolle. Sie haben mehrere Jahre nüchtern gelebt. Wie kam es dazu?Ich habe einen starken Suchtcharakter und irgendwann gemerkt, dass ich da in etwas hineinschlittere. Also habe ich versucht, mich zu schützen, indem ich einen klaren Schlussstrich ziehe. Aber dann wurde ich süchtig nach Arbeit, auch nicht gesund. Und jetzt versuche ich es mit einer Balance, ein bisschen Arbeit und hin und wieder ein Drink, mal schauen, wie das funktioniert. Mein Vater lebt als trockener Alkoholiker seit vielen Jahren nüchtern. Das hat mich für meinen eigenen Umgang sensibilisiert.Sie haben an der National School for Film and Television in London studiert und zunächst als Kamerafrau gearbeitet. Woher kommt Ihr Interesse am Medium?Für mein Abitur in Fotografie wollte ich Occupy St. Paul’s fotografieren, die Protestbewegung 2011/12 in London. Damals kamen gerade die neuen Digitalkameras der 5D-Generation auf, mit denen man auch hochauflösende Videos drehen konnte. Also fing ich an, das filmisch zu dokumentieren. Das waren meine ersten Erfahrungen als Filmemacherin. Mein Interesse für bildliches Erzählen fing Feuer.Wie kam dann der Schritt hin zu persönlicheren Geschichten?Ich drehte etwas über den besten Freund meines Bruders, der wegen Graffitis in den Knast musste. Da entstand der Wunsch, Filme zu machen, die zugleich persönlich und politisch sind. Das Thema sexualisierte Gewalt beschäftigt mich schon lange, aber es gab keinen Film, der es so verhandelt, wie ich es erlebt habe. Davon wollte ich erzählen, auch weil das leichter ist, als Geschichten zu erfinden. Aber diese Offenheit macht auch verletzlich und ich bin froh, langsam am Ende dieses Kapitel anzukommen.Nun ist Ihr Film als bestes Debüt für den Europäischen Filmpreis nominiert, der am 9. Dezember in Berlin verliehen wird.Ich versuche, mir um Auszeichnungen nicht so viele Gedanken zu machen. Für mich zählen die kleinen Siege viel mehr. Erst letzte Woche schrieb mir ein alleinerziehender Vater, dass er mit seinem Sohn den Film im Kino gesehen habe und sie danach zum ersten Mal ganz offen darüber gesprochen haben, was einvernehmlicher Sex ist. Das ist für mich, was wirklich wichtig ist.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1Eingebetteter Medieninhalt
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