Toxische Männlichkeit, Klimaangst und Instagram-Konkurrenz: Mühsames Mädchensein
Zukunft Junge Frauen heute haben allen Grund, besorgt zu sein – aber unsere Kultur spiegelt das auf Schritt und Tritt in vergrößerter Form auf sie zurück. Was eine Studie über junge Britinnen herausgefunden hat, gilt auch für andere Industrieländer
„Give me back my girlhood, it was mine first“ – Fans vor einem Taylor-Swift-Konzert in New York, Mai 2023
Foto: Brian Finke/Redux/Laif
Britney Spears wusste, es war noch nie einfach, „kein Mädchen mehr und noch keine Frau“ zu sein. Doch eine neue, von der britischen Jugendorganisation „Girlguiding“ beauftragte Studie zeigt, dass die Sieben- bis 21-Jährigen im Vereinigten Königreich heute so unglücklich sind wie seit 2009 nicht mehr.
Ich selbst war Mitte der 2000er Jahre Teenager. Damals gab es die altbekannten Probleme heranwachsender Mädchen: Depressionen, Ängste, Mobbing, Probleme mit dem eigenen Körperbild, Essstörungen oder problematische Interaktionen mit dem anderen Geschlecht. Ohne diese Schwierigkeiten kleinreden oder „meine Zeit“ einfach für besser halten zu wollen: Es gab damals Grenzen, die als Schutz vor Schaden durch andere und vo
ere und vor dem jugendlichen Drang zur Selbstzerstörung wirkten.Ein einfaches Beispiel: Mein einziger Zugang zum Internet befand sich auf einem Familien-PC. Ich konnte ihn so lange benutzen, wie meine Eltern bereit waren, zu tolerieren, dass sie keine Telefonanrufe tätigen oder empfangen konnten. Meine „sozialen Medien“ beschränkten sich auf Nachrichten auf dem Internetportal MSN oder anonyme Beiträge in öffentlichen Foren, die sich an gemeinsamen Interessen orientierten: Einen großen Teil meiner Jugend verbrachte ich in den Foren einer Internetseite für Gitarren-Akkorde. Selbst meine Streifzüge in riskanteren Online-Räumen wie dem Video-Chatdienst Chatroulette, der Unbekannte zusammenbringt, oder auf „Shock Sites“ – Seiten mit schockierendem Inhalt – wirken heute plump und banal.Die Sozialen Medien nehmen jungen Mädchen einen privaten RückzugsraumIn meinem Leben gab es eine klare Trennung zwischen online und offline. Das eigene Zuhause war ein geschützter Ort, an den man sich nach der Schule zurückziehen konnte und der eine Atempause vom sozialen Leben und von Ängsten bot. Heute kann jeder junge Mensch, der ein Smartphone besitzt, ein heimliches und unaufhörliches Online-Leben haben, während sich die Maßstäbe für den Selbstvergleich – in Bezug auf Schönheitsnormen oder das Körperbild – von der Realität gelöst haben.Die Idole meiner Kindheit: Hollywood-Stars, die unerreichbar waren. Es erschien nicht wirklich plausibel, sie mit meiner eigenen Daseinsebene in Verbindung zu bringen. Heute wachsen junge Frauen in einem Medienumfeld auf, in dem sich sogar Mädchen aus der nahe gelegenen Schule in makellosem Promi-Glanz auf Instagram präsentieren können; ein Umfeld, in dem Fotobearbeitungssoftware kostenlos und weit verbreitet ist und in dem man sich selbst und andere erbarmungslos unter die Lupe nimmt. Da so viel vom Privatleben selektiv zur Schau gestellt wird, verstärkt sich das immer wiederkehrende Gefühl, dass die Pubertät ein Wettbewerb ist – die Beliebteste, die Hübscheste oder die Dünnste zu sein –, ungemein.Darüber hinaus wird dieser Wettbewerb relativ öffentlich ausgetragen – die Experimente und Fehltritte Jugendlicher laufen Gefahr, im Internet dokumentiert zu werden. Im Vergleich dazu fanden meine eigenen Experimente in einem geschützten Kreis statt. Mit ungefähr 15 stibitzte ich das Handy meiner Eltern, um meinem damaligen Freund ein „sexy Foto“ zu schicken. Die Bildqualität war schlecht, das Motiv kaum zu erkennen. Es war damals noch nicht die Norm, Fotos zu teilen, schon gar nicht, live zu streamen. Private Nachrichten, Gruppenchats, Screenshots und sogar Weiterleitungen – die Technologie, die Überwachung und „Beweiskultur“ in online geführten Streitgesprächen möglich macht – steckten noch in den Kinderschuhen.Die Klimakrise als Drohkulisse begleitet das ErwachsenwerdenDer Grat, auf dem junge Frauen heute wandern müssen, wenn sie den Weg zwischen der eigenen Identität und den sozialen Welten suchen, mag schmal wirken. Gleichzeitig ist es schwierig, die Bedrohungen der Welt auszublenden. Ich hatte noch die Freiheit, mit der „globalen Erwärmung“ als schwachem Wissen im Hintergrund aufzuwachsen. Dagegen zeigt die Girlguiding-Umfrage, dass das Schreckgespenst der Klimakrise bereits Kinder belastet, die noch nicht einmal die Pubertät hinter sich haben.Heute spüren die jungen Leute Mitte 20 eine Angst, dass sie nicht genug gegen die Klimakrise tun. Es ist, als hätten sie die Botschaft der Medien internalisiert, die auf Greta Thunberg und ihren Schulstreik für die Klimabewegung zurückgeht: dass Kinder nicht nur „unsere Zukunft“ sind, sondern verantwortlich dafür, sie für uns alle zu retten. Mit den aktuellen wirtschaftlichen und politischen Schwiergkeiten vor allem in Industrieländern wird die Phase immer kürzer, in der Kinder, was Erwachsenenbelange angeht, selig unwissend bleiben dürfen.Das, was wir derzeit als „Jugendkultur“ bezeichnen, gibt sich hochgradig informiert, und zwar in einer Weise, die Fatalismus nur fördern kann.Ein neues Bewusstsein für die Gefahren im Patriarchat eine junge Frau zu seinDie sozialen Medien haben viel dafür getan, das feministische Verständnis von Sexualpolitik und Vergewaltigungskultur in den Mainstream zu bringen. Auf Tiktok begegne ich häufig Konzepten und Analysen auf einem Level, das mir einst erst in einem Gender-Studies-Aufsatz in meinem zweiten Jahr an der Uni begegnet war.Eine Sprache zu kreieren, die diese Erfahrungen verstehen lässt, kann ein zweischneidiges Schwert sein: Sie macht auch darauf aufmerksam, inwiefern man gefährdet und benachteiligt ist. Nirgendwo ist das offensichtlicher als bei den vielen Dating-Ratschlägen für junge Frauen auf Tiktok. Dort grassieren Listen mit übertrieben spezifischen „Red Flags“, also roten Fahnen bei der Partnersuche und Möglichkeiten, Narzissten, Missbrauchstäter und andere „toxische“ Männer zu erkennen. Dazu kommen die unbestreitbaren Statistiken über die Häufigkeit sexueller Übergriffe.Kein Wunder, dass Mädchen im Teenageralter das Gefühl haben, dass überall Risiken lauern – und nur geringe Chancen bestehen, unbeschadet davonzukommen. Bereits von diesem jungen Alter an lastet dieses Bewusstsein auf ihnen und verstärkt die schon bestehenden Ängste von Heranwachsenden.Vorzeitig weltmüdeJunge Frauen heute haben allen Grund, besorgt zu sein – aber unsere Kultur spiegelt das auf Schritt und Tritt in vergrößerter Form auf sie zurück. Selbst die Popmusik – bis ins 21. Jahrhundert hinein Ausdruck von jugendlichem Übermut und Ausbruch, ein Mittel für Nähe und kollektive Euphorie – ist langsamer, trauriger und abgeschotteter, ihre Stars an ihrem Alter gemessen vorzeitig weltmüde und offen besorgt. Die 20-jährige US-Amerikanerin Olivia Rodrigo singt darüber, beim lähmenden Vergleich mit anderen nicht „hübsch genug“ zu sein; die Lieder der 21-jährigen Billie Eilish behandeln Themen wie Klima-Angst, Tod und Erfahrungen von sexuellem Missbrauch.Wenn ich heute mit Frauen, die jünger sind als ich, über ihre Zukunftsängste, ihre Sorgen in Sachen Arbeit, Dating und soziale Medien rede, kommt mir die Forderung einer Frau aus meiner Generation in den Sinn. Angelehnt an eine Songzeile der 33-jährigen US-Pop-und-Country-Sängerin Taylor Swift: Gebt den Mädchen ihr Leben zurück – es gehörte zuerst ihnen!Placeholder authorbio-1
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