Reisen Couchsurfing mag immer noch beliebt sein, aber für Frauen und queere Menschen kann diese Methode Übergriffe bergen. Eine App will das Übernachten bei Fremden gerade für sie schöner und sicherer machen
Erst Rucksacktouristin in Südamerika, nun Modedesignerin, Performerin und App-Entwicklerin in Berlin: Nora von Breitenbach
Foto: Theresa Stritzinger für der Freitag
Ein Wohnzimmer, bei einem fremden Menschen, in einem fremden Land. Eine Frau schläft auf einer Matratze auf dem Boden, eine Couch gibt es nicht. Das ist ihr trotzdem lieber, als sich mit dem Gastgeber ein Doppelbett teilen zu müssen. Weitere Optionen gebe es bei ihm nicht. Aber das erwähnt er erst, als sie bereits angekommen ist.
Das ist eine von zahlreichen schlechten Erfahrungen, die Nora von Breitenbach machte, als sie vor einigen Jahren immer wieder bei fremden Menschen übernachtete, nachdem sie bei diesen über die App „Couchsurfing“ einen kostenlosen Schlafplatz gefunden hatte. Lange bevor die heute 30-jährige Bremerin auf die Idee kam, eine ähnliche Plattform für queere Menschen zu gründen, erlebte sie als Reisende diese und and
se und andere Horrorgeschichten, wie sie es nennt.Frauen, FLINTA*, LGTBIQ* und BIPoCStandard sei es, dass Schlafmöglichkeiten verschwiegen werden oder gar darüber gelogen wird, erzählt Nora von Breitenbach. Kurz zuvor ist sie mit dem Fahrrad zu ihrem Büro in einer ehemaligen Schule in Berlin-Mitte geeilt. Ihre langen blonden Haare sind zusammengebunden, sie trägt Sportklamotten. Sie liebe es, zu schwimmen, erzählt sie später. Aber das Singen ebenso: Ihr Alter Ego Herr Nora dreht in Berlin Musikvideos, die sie auf Instagram hochlädt. Sie lacht häufig. Absurdität bringe sie zum Lachen, Humor sei wichtig für sie. Auch wenn sie über ernste Themen redet.Unangenehme bis gefährliche Situationen bei einer Reise würden Frauen, FLINTA*, LGTBIQ*- und BIPoC-Menschen gut kennen, als Teil dieser Gruppen könne man sich stundenlang ähnliche Anekdoten erzählen, meint sie. „Wir sind so sozialisiert worden, als gehöre es zu unserem Leben, dass für uns ‚allein zu reisen‘ riskant ist“, sagt von Breitenbach.Nicht ohne Grund lautet ein Motto von „Quouch“, ihrer Erfindung: „No more overnight stays with horny single men“. Etwa: Keine Übernachtungen mehr bei notgeilen Single-Männern. „Weiße cis-hetero Männer sind in der Regel die einzige Gruppe, die sich ohne große Gefahren in der Welt bewegen kann, ohne Angst haben zu müssen“, behauptet von Breitenbach. „Das ist unfair! Deshalb wollte ich diesem Privileg etwas entgegensetzen.“Die Community unter sichVor zwei Jahren erstellte sie das Konzept, seit August dieses Jahres ist „Quouch“ als App verfügbar. Mehr als 3.000 User*innen, die meisten zwischen 18 und 29 Jahre alt, sind dort registriert. In über 70 Ländern wird die App benutzt, vor allem in Großstädten wie Paris, New York, Barcelona und Berlin. Abgesehen von einer Gay-Version der Unterkünfte-Plattform Airbnb für schwule Männer gab es bisher keine solche Übernachtungsplattform nur für Queere.Die Idee hatte Nora von Breitenbach, als sie mit ihrer Partnerin auf der Couch lag. Voller Fernweh träumten sie sich in die Welt hinaus. „‚Wie schön wäre es‘, fragten wir uns, ‚so günstig wie früher zu reisen, ohne aber die gleichen Dummheiten wie früher aushalten zu müssen?‘“, erzählt sie. „Oder noch besser: Verreisen, nur um coole Menschen aus der Community zu treffen.“ Zu diesem Zeitpunkt war von Breitenbach in einem dreimonatigen Programmierer-Camp und musste ein eigenes Projekt als Abschlussarbeit präsentieren. So habe sie mit einigen Kommilitonen eine erste Version der App für queeres Übernachten entworfen.Unterstützung vom WirtschaftsministeriumSeit Juli 2022 arbeitet sie in einem Viererteam, mit der Unterstützung von zwei Praktikant*innen, in diesem Büro. Miete und Gehälter konnten mit einem Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums und durch den Europäischen Sozialfonds bezahlt werden. Allerdings sei es damit seit September vorbei. Mit einer Crowdfunding-Kampagne und eventuellen Mitgliedsbeiträgen von wenigen Euro im Monat hofft sie, das Projekt weiter finanzieren zu können.Nach Investoren zu suchen oder mehr Geld von den User*innen zu verlangen, habe sie nicht vor. „Wir wollen kein kommerzielles Start-up werden“, sagt sie. „Um zu überleben, setzen wir lieber auf Solidarität.“ Alternative Wirtschaftsmodelle und neue Technologien hätten es Nora von Breitenbach schon während des Studiums der Kognitionswissenschaft in Osnabrück angetan. „Das sollte eine Mischung aus KI, Informatik, Psychologie und Technik sein, aber es war langweilig, zu viel Mathe“, sagt sie heute.Deshalb ging es danach rasch auf große Reise. Drei Jahre war sie mit ihrem Rucksack in Süd- und Mittelamerika unterwegs. Dort sammelte sie einen Großteil ihrer Erfahrungen mit Couchsurfing. Seit 2020 wohnt sie in Berlin und betätigt sich ebenso als Bloggerin, Modedesignerin wie Performerin. Als Teil der Queer-Community identifiziert sich Nora von Breitenbach „seit immer“, wie sie es ausdrückt.„BIPoC Only“, „Abortion Friendly“, „Drag Performers“, aber auch „Clean Freak“, „Party Lover“, „Vegan“ und „Neurodiverse“ – das sind nur einige der Filter, die User*innen bei der Suche nach einer Bleibemöglichkeit in der App einsetzen und mit denen sie die angezeigten Profile begrenzen können.„Trans Only“Dass User*innen andere User*innen mit ähnlichen Interessen finden und damit sichergehen können, dass sie sich bei ihren Gastgeber*innen wohl fühlen werden, hatte für die Gründerin von Anfang an Priorität.Damit aber die Filter ihre Funktion erfüllen, gibt es auf der Plattform Anmerkungen dazu, wie sie richtig zu benutzen sind. So steht in den Leitlinien von Quouch: „Wenn du cisgender bist, aber transsexuelle Menschen unterstützt, ist das großartig! Aber bitte klicke nicht auf den Filter „Trans Only“, denn er ist dafür da, dass transgender Menschen sich gegenseitig finden, und zwar nur sich.“ „Wir wollten viele verschiedene Perspektiven bei den Filtern repräsentiert wissen, um damit zugleich das Risiko einer bösen Überraschung zu verringern“, erklärt von Breitenbach.Sie und das Quouch-Team legen viel Wert auf das Thema Sicherheit. Queere Menschen erleben aufgrund ihrer sexuellen Orientierung öfter Diskriminierung und sind häufiger von Hass und Hetze betroffen als cis-hetero Menschen. So wurden im vergangenen Jahr im Kriminalpolizeilichen Meldedienst 1.005 Hassdelikte im Themenfeld „Sexuelle Orientierung“ in Deutschland registriert. Deshalb ist es für die Entwicklerin wesentlich, dass sich die User*innen in der App und später auch am Reiseziel frei fühlen können. Für einen Account bei Quouch brauchen neue User*innen einen Einladungscode. Ein klares Profilbild zu haben, sei eine weitere Voraussetzung. Täglich alle Accounts auf unvollständige oder verdächtige Profile zu checken, sei für das kleine Team herausfordernd und doch nötig. „Trotz aller Maßnahmen ist es nicht hundertprozentig möglich, zu überprüfen, ob ein Profil Fake ist“, erläutert von Breitenbach. Deshalb wird den User*innen geraten, Unregelmäßigkeiten zu melden.Mehr als einen Couchsurfing-Service anbieten„Wir versuchen jeden Tag, Quouch so sicher, inklusiv und positiv wie möglich zu gestalten. Leider gibt es, wie bei jeder App, bei der man Fremde online trifft, immer Gefahren außerhalb und innerhalb der Queer-Community. Es ist wichtig, vorsichtig zu sein, wenn man mit Quouch unterwegs ist“, heißt es auf der Website. „Bis heute mussten wir niemanden sperren“, erzählt von Breitenbach. Die zwischenmenschliche Verbindung innerhalb der Queer-Community sei das Wesentliche bei der queeren Übernachtungsplattform. Deswegen existieren Kategorien wie „Nur rumhängen (ohne Schlafen)“, „Tipps in der Stadt“ oder auch „Co-Working“.Ihr Plan ist, mehr als einen Couchsurfing-Service anzubieten. „Dass queere Menschen sich in Fitnessclubs, in Coffeeshops der Stadt oder in Veranstaltungen connecten können, egal, wo sie sind, wäre unser Ideal“, sagt Nora von Breitenbach.Sie möchte die Plattform in eine Art 360-Grad-Reise-Erfahrung nur für queere Menschen verwandeln, damit „alle Menschen in Ruhe und ohne Angst die Welt erkunden dürfen – auch wenn das naiv oder utopisch klingen mag“.
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