Lidl, Biontech & Co.: Wie begrenzt man die Macht der Superreichen?
Analyse Jahrzehnte neoliberaler Politik haben gezeigt: Vermögen tröpfelt nicht von oben nach unten. Welche Maßnahmen sind geeignet, hier entschieden umzusteuern?
Genug vom Saus und Braus der Milliardäre. Genug von den Existenzängsten der Ärmsten und den Abstiegsängsten der Mitte. Genug auch von der Klimakrise und genug davon, dass der Staat kaum mehr in der Lage ist, die gesellschaftlichen Probleme wirklich anzugehen!
Eines zeigt uns jede Krise aufs Neue: wie wichtig ein politischer Kurswechsel wäre. Denn der gegebene Zustand hat eine lange Vorgeschichte: Er ist die Folge von Dekaden neoliberaler Politik, die die Handlungsfähigkeit des Staates einschränkte und die Krisenlast auf die große Mehrheit abwälzte. Wieder und wieder und noch einmal. Gleichzeitig wurden die Superreichen nur noch reicher. So hat sich die Anzahl der Milliardäre in der Bundesrepublik seit 2005 auf rund 200 Personen mehr als verd
rund 200 Personen mehr als verdoppelt, und das Vermögen verteilt sich auf immer weniger Köpfe. 2021 besaßen zwei Familien mehr Vermögen als die untere Hälfte. Würde man anstelle des Vermögens nur das Betriebsvermögen betrachten, wäre der Anteil noch höher.Hier liegt die Krux: beim Betriebsvermögen. Vor allem mit ihm geht die kaum zu fassende Macht der Superreichen einher. Ihre Entscheidungen haben Folgen für die ganze Gesellschaft. Sie besiegeln Niedriglöhne für Zehntausende, pumpen Milliardeninvestitionen in fossile Projekte – und verstärken unsere Krisen noch. Man denke an die Strüngmann-Brüder, die Biontech-Großaktionäre. Ihr Vermögen vervierfachte sich mitten in der Krise in ein paar Monaten von einem Dutzend auf vier Dutzend Milliarden Euro. Der Grund: Fette Krisenprofite standen in Aussicht – zum Leid der Gesellschaft und des Globalen Südens. Ganz erhärtete sich diese Aussicht auf Megaprofite zwar nicht, die Macht der Superreichen zeigt dieses Beispiel aber perfekt, denn sie hätten natürlich Einfluss auf den Preis der Impfstoffe nehmen können.Wenn Geld zu Macht wirdDerzeit ist aber Dieter Schwarz als Eigner der Discounterketten Lidl und Kaufland der reichste Deutsche. Er besitzt über 40 Milliarden Euro. Für diesen Reichtum arbeiten 500.000 Menschen in über 13.000 Filialen. Auch wenn sich die Geschäftsmodelle von Lidl und Biontech stark unterscheiden, haben sie eine fundamentale Sache gemeinsam, die man auch bei vielen anderen Superreichen findet: Ihr jeweiliges Unternehmen ist stets eins von wenigen in ihrem Bereich. Damit haben sie eine enorme Marktmacht. Im Fall von Biontech ganz klar zu Lasten der Menschen und der Wirtschaft. Denn natürlich hätten mit einer Vergesellschaftung der Patente viele Menschen vor Leid geschützt werden können. Obendrein hätte das die wirtschaftlichen Schäden reduziert. Auf der anderen Seite wären die Vermögen einiger Superreicher dahingeschmolzen.Das zeigt natürlich auch: Die Superreichen haben enorme politische Macht. Im Fall von Biontech hatten sie massiven Einfluss auf die Pandemiebekämpfung durch die Politik. Das ist sicherlich ein Extrembeispiel. Doch auch sonst spielen die Superreichen und Konzerne Politik gegeneinander aus – wenn sie etwa Standorte einfach in anderes Land verlagern oder damit auch nur drohen. Oder sie bezahlen hochkarätige Klinkenputzer, bis die Bedingungen stimmen. Ganz klar ist jedenfalls: Ihre Macht bewegt sich in jeder Hinsicht in einer ganz anderen Dimension als die jedes Durchschnittsbürgers.All das ist nicht nur eine Folge politischer Entscheidungen im Zeichen des Neoliberalismus, sondern entspricht dessen Ziel. Die Angebotsseite aus Unternehmen und Eigentümern soll gestärkt werden – auch, indem man die Arbeitnehmer schwächt. Diese Angebotspolitik fußt auf einem der größten Märchen von wirtschaftsliberalen Politikern und Professoren: dass das Wachstum schon irgendwann zur großen Mehrheit durchsickere. Man nennt das in der Wirtschaftswissenschaft „Angebotspolitik“. Diese Art von Politik ist eng verwoben mit dem Programm des Neoliberalismus, der auf Deregulierung, Privatisierung und Entstaatlichung setzt. Genau diese Agenda wurde schon in den letzten Jahrzehnten gefahren – und soll nun von der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP unter dem schönen Titel „transformative Angebotspolitik“ fortgesetzt werden – ganz im Sinne einer Verwaltung des Neoliberalismus mit „Vision“.Wirtschaftliche ScheinvernunftDer größte Baustein auf dem Weg zu diesen Zuständen war in den letzten Jahrzehnten die Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder und seiner Bündnispartner von den Grünen. Mit diesem Brachialprogramm konnten die Unternehmen die Lohnkosten enorm drücken – zugunsten der Profite und der Macht der Superreichen. Auch die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur half den Superreichen, denn dadurch gab es neue Orte und frische Renditen für das Kapital. Dazu kommt die Schuldenbremse für öffentliche Haushalte, die den Druck für weitere Privatisierungen erhöht und zudem Vollbeschäftigung verhindert – und damit Löhne drückt.Doch damit ist es nicht genug: Die Kapitalseite wurde auch ganz direkt gefördert. Es kam zu einer regelrechten Serie von Steuersenkungen. Jede für die Superreichen relevante Steuer wurde entweder deutlich gesenkt oder quasi gleich abgeschafft. So etwa die Steuern auf Arbeitseinkommen, Kapitalerträge oder Unternehmensgewinne, die allesamt stark abnahmen. Noch krasser ist es nur bei den vermögensbezogenen Steuern. Gerade dort, wo hohe Steuern am wichtigsten wären, fielen sie am weitesten in den Keller. Die Vermögensteuer ist seit Jahrzehnten ausgesetzt. Und die Erbschaftsteuer ist durch die Privilegien für Superreiche komplett ausgehöhlt.All das geschah unter dem Deckmantel scheinbarer wirtschaftlicher Vernunft. Gerhard Schröder und Angela Merkel haben vorgelegt, wo heute Finanzminister Christian Lindner (FDP) gerne weitermachen würde: Gibt man den Reichen satt, fällt auch für die Normalen was ab, oder nicht? Doch dieses Versprechen des legendären Trickle-down blieb leer. Das Vermögen tröpfelte keineswegs nach unten durch – sondern es sammelte sich am oberen Ende: bei den Superreichen. Aber was ist das eigentlich? Wer ist superreich?Das fabelhafte eine ProzentDas ist eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Wichtig ist, welche Grundsätze man zugrunde legt. Und hier passiert manchmal der erste folgenreiche Fehler: Man schaut nur auf das Vermögen an sich, nicht aber auf dessen Zusammensetzung. Das bedeutet: Weder der selbstständige Anwalt von nebenan noch der Ampel-Minister gehören zu den Superreichen. Klar, beiden geht es wahrscheinlich nicht schlecht. Doch beide sind auch sehr weit davon entfernt, superreich zu sein. Dementsprechend gering ist die Macht, die sie aus ihrem Vermögen ziehen. Vielleicht haben sie eine kleine oder größere Immobilie. Damit geht zwar ein wenig exklusiver Boden einher – doch die damit verbundenen Machtpositionen sind doch relativ überschaubar. Anders ist es bei den wirklichen Superreichen. Statt einer selbst genutzten Immobilie haben sie Betriebsvermögen. Gleichzeitig haben sie nicht ein paar Millionen, sondern Dutzende Milliarden Euro an Vermögen.Daher verläuft die Grenze zwischen „superreich“ und „nicht superreich“ genau dort, wo das Vermögen nicht nur ein gewaltiges Volumen aufweist, sondern umschlägt, also zu Kapital wird. Die Leute im obersten Zehntel der Vermögenspyramide sind noch nicht „superreich“. Erst innerhalb des obersten Bevölkerungsprozents liegt die wahre Klassengrenze – also oberhalb von zwei Millionen. Aber selbst die Macht dieser Millionäre ist begrenzt. Faktisch konzentriert sich diese in einer hauchdünnen Elite – jenen 0,1 Prozent, die über zehn und mehr Millionen verfügen. Ganz zu schweigen von jenen 200 Personen, die noch 100-mal mehr besitzen.Demokratisches UmverteilenVon den Wenigen zu den Vielen – so muss man Macht umverteilen, wenn man die Schäden für Wirtschaft, Menschen und Klima bändigen will. Denkbar sind hier im Grunde zwei Routen. Erstens: die Verfügungsgewalt über das Vermögen durch Regeln einzuschränken. Etwa durch Mindestlöhne, Verbote von fossiler Technologie oder Einschränkungen für den Konzernlobbyismus. Zweitens und vor allem aber geht es um eine Reduzierung der Vermögenshöhe – um eine ordentliche Steuerpolitik und um Vergesellschaftungen.Bei den Steuern gehen die Meinungen über das richtige Vorgehen aber auseinander. Entscheidend ist, wo man ansetzt. Manche wollen nur Spitzeneinkommen stärker besteuern, manche Erbschaften, manche Vermögen. Allein sind all diese Maßnahmen kaum wirkungsvoll. Die Einkommensteuer setzt nur bei dem an, was laufend zu Vermögen dazukommt. Die Erbschaftsteuer betrifft nur die Weitergabe, Megavermögen zu Lebzeiten verhindert sie nicht. Aber auch eine moderate Vermögensteuer wirkt ähnlich wie eine Einkommensteuer: Sie schöpft nur einen Teil der Kapitalrendite ab.Im besten Fall können diese drei Maßnahmen zusammen die weitere Explosion der Megavermögen aufhalten, zumindest ein wenig bremsen. Dass so aus Milliardären Millionäre werden, ist aber nicht zu erwarten. Denn die Maßnahmen setzen inhaltlich nicht dort in ausreichender Höhe an, wo es notwendig wäre – und sind auch politisch besonders schwer umzusetzen. Vermögen- wie Erbschaftsteuer müssen nämlich durch den Bundesrat, weil das Aufkommen an die Länder geht. Und dort wären selbst bei gegebenen Mehrheiten im Bundestag die Verhältnisse fraglich. Umso wichtiger sind Maßnahmen, die auch tatsächlich politisch umsetzbar sind. Bleibt auf der steuerpolitischen Ebene vor allem die Vermögensabgabe.Unternehmensanteile als SteuerzahlungBei dieser muss der Bundesrat nicht zustimmen, und sie könnte wohl tiefer in die Vermögen eingreifen. Sie hat aber den gleichen Nachteil wie die anderen Steuern: Superreiche können einen Kredit aufnehmen, um ihre Steuerschuld zu zahlen. Damit sinkt zwar ihr Nettovermögen, aber das Brutto bleibt gleich. Sie haben die gleichen Aktienpakete, nur ein wenig Schulden auf der anderen Seite. So können sie weiter über klimaschädliche Investitionen oder schlechte Löhne entscheiden. Umso wichtiger wäre es, Steuern eine transformative Wirkung zu geben. Etwa indem diese nicht mit Geld bezahlt werden, sondern mit Unternehmensanteilen. Dann hätten die Steuern auch einen wirtschaftsdemokratischen Zweck. Und man würde einige Fragen hoher Steuern beantworten – etwa die nach liquiden Mitteln zur Begleichung.Das zusammen bringt uns schon weiter bei der Jagd auf die Milliarden. Doch in manchen vom Neoliberalismus verformten Bereichen muss es schneller gehen mit der Umverteilung privater Megavermögen – etwa bei Energie, Verkehr oder Wohnen. Hier brauchen Umverteilung und Wirtschaftsdemokratie vor allem Vergesellschaftungen.Mit diesen beiden Gruppen von Maßnahmen kann die Umverteilung von Macht und Vermögen beginnen. Für die Menschen, für das Klima und für die Wirtschaft. Abgeschlossen ist die Umverteilung erst dann, wenn die Superreichen nicht mehr Entscheidungen mit Folgen für die ganze Gesellschaft treffen können. Wenn also ein Zustand erreicht ist, in dem die Menschen wirklich mitentscheiden können.Placeholder authorbio-1