Graebers "Debt" und der Laden meiner Tochter

Kapitalismus Wie mir meine Tochter das Wesen der Werbung, des Konsums, der Verschuldung, des Geldes und des Kapitalismus in kurzer Zeit eindrucksvoll vor Augen führte

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Nach über drei Wochen habe ich es hinter mir – die Lektüre von David Graebers Buch „Schulden“. Schwer zu sagen, warum es sich doch etwas hingezogen hat, und ich pro Tag – wenn überhaupt dazu gekommen – nicht mehr als dreißig Seiten geschafft hatte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mir das Buch im englischen Original zu kaufen – und ich hatte meine Englisch-Kenntnisse überschätzt. Oder aber ist es mir immer wieder passiert, dass ich irgendwie den „roten Faden“ wenn nicht verloren, doch auf diesen aufpassen musste - vor allem wenn der Autor sich einerseits zu sehr in ethnologische und anthropologische Details vertiefte und darin ausbreitete, oder aber sich immer wieder wiederholte. Vielleicht aber waren meine Erwartungen zu groß – denn „Schulden“ ist keineswegs ein Buch, welches die Herkunft und das Wesen der Schulden und des Verschuldens grundlegend erklärt. Der Autor scheint außerdem mehr über das Wesen des Geldes als über das der Schulden zu schreiben. Beides ist zwar durchaus verwandt und verknüpft, doch nicht dasselbe. Was auch enttäuscht, ist die eher kurze Abhandlung der letzten 30 oder gar 150 Jahre – und der Tatsache, wie sehr das kapitalistische, aber auch andere Wirtschaftssysteme auf Schulden, fehlende Nachhaltigkeit und auf „ungedecktem Zocken auf die Zukunft“ basiert sind.

Eines der angenehmsten Ablenkungen von der Lektüre war meine 4jährige Tochter, und dabei hatte ich oft den Eindruck, mehr, schneller und grundsätzlicher das Wesen des Kapitalismus kennenlernen zu können als bei David Graeber. Denn – seit kurzem will meine Tochter mit Vorliebe „Laden spielen“. Es läuft natürlich so ab, dass sie den Laden hat – und ich der Kunde/Käufer sein muss. Sie hat natürlich den einzigen Laden – so gefällt es ihr am besten, sie hat das Monopol. (Welcher Kapitalis will schon "freien Markt" mit Konkurrenz?) Somit ist auch selbstverständlich, dass sie das Warenangebot und die Preise bestimmt (auch wenn diese günstig erscheinen – zwischen „zwei dreißig“ und „fünf siebzehn“). Aber das Spiel beginnt eigentlich damit, dass sie gekonnt – eher mit „lieb sein“ als mit Drohungen und Geschrei – mich dazu bringt, in ihren Laden zu gehen. Auch wenn ich eigentlich nichts brauche. (Dachte ich!...). Sobald ich durch diese gekonnte Werbung mal im Laden bin – schafft sie es natürlich, mir alle mögliche Waren anzudrehen. Hundefutter-Packungen (habe ich einen Hund?), Pasta, Spielsachen („Für deine Babys“), , Pixi-Bücher, Perlen-Halskette (die mir zwar nicht passte...) und eine Taschenlampe und so weiter. Es dauert nicht lange bis meine Einkaufstasche (die ich vorher gar nicht hatte – ich dachte ja nicht daran, so viel zu kaufen! - aber auch diese verkaufte sie mir) voll ist. Natürlich hatte ich vorher „Spielgeld“ mit gehabt – teils aus Plastik, teils alte Münzen, die nicht mehr im Gebrauch sind (Schillinge, Francs, Gulden, DM, alte Zlotys).

Eines Tages passierte mir aber folgendes: Ich habe zu viel eingekauft, oder aber (denn man kann ja nicht „zu viel“ einkaufen) – mir ging das Geld aus. Ich hatte meiner Tochter beim Einkaufen alle meine Münzen und das Monopoly-Geld gegeben. Und nun standen wir vor einem Problem – wie sollten wir denn weiter spielen? (Ich hoffte kurz, mit einem „Tut mir Leid, mein Geld ist jetzt alle, dann müssen wir wohl aufhören...“ wäre das Spiel vorbei, ich ich könnte zu Graeber oder zum „www.freitag.de“ zurückkehren). Für meine Tochter war es ein Problem von nur sehr kurzer Dauer. Ohne lange zu überlegen, „verließ“ sie kurz ihren Laden, sagte „Das ist jetzt kurz eine Bank“ - und kehrte zu ihrer Kasse zurück, mit dem liebevollen Angebot, mir „neues Geld“ einfach zu geben. („Und dann bin ich wieder der Laden“). Damit ich weiter – bei ihr - einkaufen konnte. Egal was. Schüsseln, Ravioli, Plüschtiere. Ein anderes Mal hat sie ihr „Kassengeld“ nicht gefunden – auch kein Problem. Sie nahm einige Memory-Karte, und erklärte diese zum „Geld“. Wie eine Zentralbank. Denn solange wir daran glauben würden, dies sei Geld, dies hätte einen Tauschwert, konnte das Spiel ja weitergehen. Zum Glück ist meine Tochter erst vier, und „gibt“ mir das Geld – ohne es als meine Schulden zu vermerken, und zum Glück kennt sie auch den Zins noch nicht. Außerdem gibt es – bei jeder neuen „Geldflut“ - immer einen besonderen Service ihrerseits: ich bekomme ein rosa Portemonnaie, um das Geld – für eine kurze Zeit, begrenzt durch meine Konsumnaivität und ihre Werbestrategien – aufbewahren zu können. Natürlich muss ich das Portemonnaie auch sofort bezahlen...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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