Es war pragmatisch, vorausschauend und integer, dass sich Russlands Außenminister Sergej Lawrow beim Treffen mit UN-Syrien-Emissär Lakhdar Brahimi nicht von Präsident Assad lossagen wollte. Ein solches Verhalten hat nichts mit überzogener Loyalität, traditionellen Sympathien oder Kumpanei, sondern Vertragstreue zu tun. Noch ist die syrische Regierung der Partner Moskaus und niemand sonst. In den internationalen Beziehungen bleibt Verlässlichkeit ein hohes, leider allzu häufig entbehrtes Gut. Assad jetzt abzuschreiben, hätte bedeutet, in das Lager seiner externen Gegner zu wechseln und Damaskus vollends iranischem Einfluss zu überlassen.
Moskau stellt Fragen
Sicher, vorerst gibt es keine Aussichten auf Verhandlungen zwischen den syrischen Kriegsparteien. Die äußeren Paten dieses Konflikts wie die USA und Frankreich oder Saudi-Arabien und Katar oder andere Golfemirate sind damit nicht aus der Verantwortung entlassen. Im Gegenteil, ein Krisenmanagement mit Russland sollte zumindest versucht werden. Dessen Syrien-Diplomatie hat sich bewegt. Noch vor einem halben Jahr wäre es undenkbar gewesen, die Auslandsfiliale des Anti-Assad-Lagers – die Nationale Koalition unter Moas al-Chatib – nach Moskau einzuladen. Dass eine solche Offerte ausgeschlagen wird, überrascht nicht weiter. Wer glaubt, dass ihm der Sieg bald in den Schoß fällt, verschwendet keinen Gedanken an Kompromisse. Dieser Maximalismus verhilft Moskau dazu, dem Westen Fragen zu stellen: Was erwartet ihr für die Zeit nach Assad? Soll es eine islamistische Diktatur geben, der ihr doch anderswo – sei es in Afghanistan, im Jemen, im Sudan, in Mali oder Somalia – jedes Existenzrecht bestreitet? Darauf bleiben die Parteigänger eines Regimewechsels in Syrien überzeugende Antworten schuldig. Einiges spricht allerdings dafür, dass sich Washington und Moskau hinter den Kulissen wegen dieser Ungewissheiten und Unwägbarkeiten arrangieren, um Koordinaten eines Post-Assad-Staates auszuhandeln. Die US-Amerikaner haben hysterisch genug über die Chemiewaffen-Bestände des jetzigen Regimes lamentiert. Um so mehr dürfte sie beunruhigen, wem diese Arsenale möglicherweise in die Hände fallen. Al-Qaida-Ableger, sunnitischen Fanatiker, islamistische Freischärler aus dem Irak kommen in Betracht? Für die US-Regierung dürfte sich in dieser illustren Schar kein seriöser Partner finden, dem sie auch nur das geringste Vertrauen schenkt. Und schon gar keinen Freund Israels.
Das ist Verhandlungssache
Wer immer eines nahen oder fernen Tages in Damaskus regiert, wird sich weder mit der Annexion der Golan-Höhen abfinden noch einen Premierminister wie Benjamin Netanjahu inbrünstig in die Arme schließen. Bashar al-Assad war für Israel ein berechenbarer Gegner. Seine Nachfolger könnten zu allem entschlossene Feinde sein, die etwas damit anzufangen wissen, wenn sie über eines der größten Chemiewaffen-Depots weltweit verfügen können. Zu erwarten, dass die dank ihrer Marinebasis Tartus in Syrien präsenten russischen Militärs diese Bestände im Falle des Falls vor unbefugtem Zugriff sichern, erscheint unrealistisch. Aber ist es gewiss gut zu wissen, wie sie reagieren, falls das die Amerikaner oder die NATO oder Friedenstruppen der Arabischen Liga übernehmen wollen. Der politische Preis eines solches Arrangements ist Verhandlungssache, daran führt kein Weg vorbei.
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