Der Exodus hat längst begonnen

Iran/USA Die EU ist im Nahen Osten zu sehr Partei, um die USA ausbremsen zu können
Ausgabe 21/2018
Nichts riskieren: Total will seinen Anteil am South-Pars-Gasfeld im Iran nur behalten, sollten die USA auf Sanktionen verzichten
Nichts riskieren: Total will seinen Anteil am South-Pars-Gasfeld im Iran nur behalten, sollten die USA auf Sanktionen verzichten

Foto: Behrouz Mehri/AFP/Getty Images

In Brüssel kann man sich glücklich schätzen. Der EU wird der ultimative Beweis von Widerstandskraft wohl erspart bleiben und damit die Kraftprobe mit der Trump-Regierung, die den Ausstieg aus dem Iran-Abkommen nutzen will, um einen souveränen Staat unter Sanktionsdiktat zu stellen, ökonomisch auszuhungern und als politische Ordnung zu zerstören. Mit dieser imperialen Anmaßung, die weiter zurückführt als ins 19. Jahrhundert, ist Deutschland verbündet. Die Bundesregierung macht keinerlei Anstalten, der damit einhergehenden Preisgabe des zivilisatorischen Minimums zu entkommen. Weil ihr dafür das transatlantische Verhältnis zu teuer ist, wird sie den Atomvertrag nicht retten können. Wozu auch?

Der Exodus aus Iran hat längst begonnen. Unternehmen wollen nichts riskieren und ziehen sich zurück. Das deutet Siemens an, so handhabt es die dänische Reederei-Gruppe A. P. Moller-Maersk, die erklärt, man habe keine andere Wahl, als sich Firmen anzuschließen, die ihre Beziehungen mit Iran kappen. Der weltgrößte Spediteur für Öl-Container will noch erfüllen, was bis zum 8. Mai vereinbart wurde, und dann abmustern. Gleiches gilt für den französischen Multi Total, der seinen 50,1-prozentigen Anteil am South-Pars-Gasfeld in Iran nur behalten will, sollten die USA ausdrücklich auf Sanktionen verzichten.

Wie sich zeigt, konterkariert dieser Ausstieg nach dem Ausstieg die von den EU-Regierungschefs auf ihrem Sofia-Gipfel bekundete Absicht, standhafte Konzerne als Kronzeugen für die eigene Standhaftigkeit zu bemühen. Ohnehin ist die gegen Verlust nicht gefeit. Es gibt dafür eine Bedingung, gegen die Iran nicht verstoßen darf: unbedingte Vertragstreue. Dies schließt jeden Schritt – und sei er winzig – zur Wiederaufnahme der Uran-Anreicherung aus. So sichert man sich ab. Wer dies gegenüber der iranischen Regierung zur Conditio sine qua non erhebt und um die inneren Zwänge weiß, denen sie ausgesetzt ist, trifft Vorsorge für den eigenen Rückzug: Wir wollten den Rettungsversuch, aber ihr zwingt uns, ihn abzubrechen. Es wird leicht (oder vorsätzlich) übersehen, dass sich Präsident Rohani selbst schützen muss, indem er ankündigt: Jeder Exodus von Investoren aus der EU zwinge sein Land, darauf zu reagieren und wieder begrenzt Uran anzureichern. Was soll man in Teheran sonst tun, als einen Preis zu nennen, den die Missachtung bisheriger Vertragstreue hat? Den Vertrag zu verletzen, kann derzeit ein Mittel sein, ihn zu schützen.

Warum wurde die Front zur Verteidigung des Nuklearabkommens – besonders mit Russland und China – nicht formiert, bevor der US-Präsident den Atomdeal schleifen konnte? Was hat die drei EU-Vertragsstaaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland daran gehindert? Vermutlich nicht der Irrglaube, die Trump-Regierung werde schon nicht bis zum Äußersten gehen. Ausschlaggebend dürfte vielmehr die Gefangenschaft in einer nahöstlichen Schlachtordnung gewesen sein, in der man zu den Amerikanern steht, so konfliktverschärfend das auch immer sein mag. Am 14. April führten Frankreich und Großbritannien gemeinsam mit den USA einen Militärschlag gegen die sich abzeichnende Nachkriegsordnung in Syrien. Und der Vertragsstaat Deutschland hat das ausdrücklich begrüßt. Trump musste noch nicht einmal fragen, seid ihr mit Assad und gegen uns? Die Antwort verstand sich von selbst. Seid ihr mit den Mullahs und gegen uns? Auch diese Frage wird sich erübrigen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden