Diplomatische Kärrnerarbeit fällig

Nordkorea China und die USA sollten Pjöngjang gemeinsam die Sicherheitsgarantien geben, die es mit seinen Kernwaffen erzwingen will. Alles andere sorgt für noch mehr Eskalation
Ausgabe 27/2017
Mit seinen Interkontinentalraketen nähert sich Nordkorea dem Status etablierter Atommächte an
Mit seinen Interkontinentalraketen nähert sich Nordkorea dem Status etablierter Atommächte an

Foto: STR/AFP/Getty Images

Der übliche Vorwurf, ein „Schurkenstaat“ verhalte sich eben irrational, wenn er Interkontinentalraketen testet, wird dem Vorgang nicht gerecht. Noch das Umschalten in den Empörungsmodus.

Die nordkoreanische Führung handelt rational, weil rücksichtslos auf ihre existenziellen Interessen bedacht. Sie treibt mit der forcierten nuklearen Selbstermächtigung gleich mehrere Großmächte vor sich her – die USA als Gegner auf der koreanischen Halbinsel, aber auch China, Russland und Japan. Am 4. Juli, dem US-Nationalfeiertag, war der Test der Langstreckenrakete KN-14 erfolgreich.

Das Geschoss flog 950 Kilometern weit, hätte aber viel weiter entfernt liegende Ziele erreichen können, wäre nicht eine steile Flugbahn gewählt worden. Das ist mehr als nur ein Indiz dafür, dass Nordkorea künftig über Interkontinentalraketen verfügen könnte, die eine Reichweite von mindestens 5.500 Kilometern haben müssen, um dieser Kategorie zugerechnet zu werden. Es wäre damit die US-Pazifikküste erreichbar. Und es gäbe ein Potenzial, das zu einer nuklearen Abschreckung verhilft, mit der sich Nordkorea dem Status etablierter Atommächte annähert.

Besser als je zuvor könnte Staatschef Kim Jong-un der Maxime genügen, bei einem Angriff auf sein Land Waffen einzusetzen, die über enorme Vernichtungskraft verfügen, wenn sie US-Basen in Südkorea oder gar US-Territorium treffen.

Junktim vorgeschlagen

Als sich die USA und die UdSSR Mitte der 1960er Jahre derart gegenüberstanden, war man sich in Washington und Moskau schnell über ein Axiom einig: keine thermonukleare Konfrontation. Das daraufhin entstandene Vertragssystem sorgte für keine absolute Sicherheit, aber es minimierte Risiken. Der Durchbruch war 1972 das ABM-Abkommen über begrenzte strategische Abwehrsysteme, das eine gegenseitige Verwundbarkeit festschrieb. Wer angriff, beschwor seine Selbstvernichtung herauf.

Damit ist gesagt, was jetzt in der Korea-Frage an diplomatischer Kärrnerarbeit fällig ist. Nur sind die Voraussetzungen schlecht, sie leisten zu können. Xi Jinping und Wladimir Putin, die Präsidenten Chinas und Russland, bieten ein Junktim an, das eine Option sein muss, aber wohl nicht sein wird: Nordkorea gibt sein Atomprogramm auf, dafür verzichten die USA und Südkorea auf Manöver, die nach nordkoreanischer Lesart jederzeit in eine Intervention münden können. Zweifellos kommt Peking eine Schlüsselrolle zu, aber nicht, indem es Pjöngjang zur Räson bringt.

Es ist ein Trugschluss, beide Staaten würden in der Atomfrage weit auseinanderdriften. China kann es recht sein, wenn die pazifischen Ambitionen der USA in Südkorea an Grenzen stoßen, die Nordkorea zieht – das nutzt eigener Regionalmacht. China kann es nicht recht sein, kommt es zu einem militärischen Schlagabtausch, in den man selbst mit hoher Wahrscheinlichkeit verwickelt ist.

Der Ausweg wären gemeinsame Sicherheitsgarantien der USA und Chinas für Nordkorea, wenn Kim Jong-un in dem Maße sein Atompotenzial abbaut, wie die USA in Südkorea abrüsten. Gleichzeitig wäre ein Friedensvertrag zwischen beiden koreanischen Staaten nötig, da Südkorea bis heute nicht das Waffenstillstandsabkommen von 1953 (es beendete einst den Korea-Krieg) unterzeichnet hat.

Es gibt derzeit die Alternative, entweder wird Nordkorea mit Bestandsgarantien versorgt, die es mit seinen Kernwaffen erzwingen will, oder es wird gewaltsam in die Knie gezwungen, was sich Donald Trump gut und oft überlegen dürfte. Zu gewinnen ist wenig, zu verlieren viel.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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