Es grenzte schon an Amtsmissbrauch, als Portugals konservativer Staatschef Cavaco Silva der autoritären Versuchung erlag und Premierminister Passos Coelho eine weitere Amtszeit verschaffen wollte. Dabei hatte dessen Mitte-Rechts-Regierung beim Parlamentsvotum Anfang Oktober kein klares Mandat erhalten. Die Koalition aus Partido Social Democrata (PSD) und Centro Democrático e Social (CDS) blieb zwar mit gut 38 Prozent stärkste Formation, aber ohne Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Ihr durch präsidialen Erlass die Macht zu sichern, musste früher oder später zum Offenbarungseid führen. Für den haben nun Sozialisten, Linksblock, Kommunisten und Grüne gesorgt. Ihr Misstrauensantrag im Parlament zwang die Minderheitsregierung endgültig zum Abgang.
Das Volk verbilligen
Der Sturz von Passos Coelho mag kein politisches Erdbeben sein, doch ermöglicht es einen Regierungswechsel, der den Paradigmenwechsel einschließt. Immerhin hat der designierte Regierungschef António da Costa vom Partido Socialista im Wahlkampf versprochen, er werde sich Brüsseler Sparauflagen nicht willenlos beugen. Riskiert er das wirklich, dürfte die Euro-Rettungsgemeinde von EU-Kommission bis EZB alles andere als amüsiert sein. Bisher galt Portugal als ihr Musterschüler und eine Art Anti-Griechenland, das man Rebellen wie Alexis Tsipras als nachahmenswertes Beispiel für Demut und Disziplin vorhalten konnte.
Im April 2011 war Portugal nicht mehr in der Lage, die Refinanzierung seiner Staatsschulden zu tragen, und musste sich unter den Euro-Rettungsschirm begeben, was zwar finanzielle Beihilfen brachte, aber gleichfalls an drakonische Reformauflagen gebunden war. Wie üblich wurden Sozialleistungen beschnitten, Pensionen und Renten gekürzt, Gehälter ebenso, die Arbeitslosenbezüge um ein Viertel reduziert, die Staatsausgaben ebenfalls zurückgefahren.
Auch wenn die Neuverschuldung in den Jahren nach 2011 zurückging, stiegen doch die Gesamtschulden des Landes, weil die wirtschaftliche Leistungskraft nicht reichte, sie energisch abzuschmelzen. Lagen diese Verbindlichkeiten 2011 noch bei 111 Prozent des Bruttoinlandprodukts, hat diese Quote im laufenden Jahr den Wert von 126 Prozent des BIP überschritten.
Von ihrer Perspektivlosigkeit überzeugt, haben seit 2011 über 500.000 zumeist junge und hoch qualifizierte Portugiesen ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Ein Aderlass bei menschlichen Ressourcen, dessen Dimension fassbar wird, hält man sich vor Augen, dass diese Abwanderung eine Gesamtbevölkerung von nur 10,5 Millionen Bürgern trifft.
Einst innig verfeindet
Offenbar wollen sich die portugiesischen Sozialisten nicht dafür hergeben, dass die Austeritäts- und Reformversessenheit in ihrem Land weiter wildern darf wie bisher. Um ihrer selbst – weil ihrer Glaubwürdigkeit – willen haben sie eine Koalition mit Passos Coelho ebenso verweigert wie eine Tolerierung seines Kabinetts, das nun nach nur elf Tagen gescheitert ist.
Was sich abzeichnet und als Abstimmungsgemeinschaft schon funktioniert, wäre eine Mitte-Links-Allianz mit dem marxistischen Bloco de Esquerda von Catarina Martins und dem Coligação Democrática Unitária, dem Wahlbündnis der portugiesischen Kommunisten und Grünen.
Käme es dazu, wäre das eine Zäsur, wie sie in den Jahrzehnten nach der Nelken-Revolution von 1974, die dank patriotischer Offiziere zum Sturz des Diktators Caetano führte, undenkbar war. Im Sommer 1975 in einen bis in die Nähe eines Bürgerkrieges führenden Machtkampf verstrickt waren sich Sozialisten und Kommunisten hernach in inniger Feindschaft verhasst. Nicht Gräben, sondern Welten hielten sie auseinander: hier erklärte Sozialdemokraten, die sich in den 70er und 80er Jahren mit ihrem Parteichef Mario Soares an Willy Brandt, François Mitterrand und der Sozialistischen Internationale orientierten – dort prinzipienfeste Marxisten-Leninisten um Alvaro Cunhal, der von guten Beziehungen zur KPdSU mehr hielt als vom Eurokommunismus der spanischen und italienischen KP.
Um den jetzigen, sicher pragmatischen Schulterschluss zwischen derartigen Widersachern haben sich besonders die EU-Sparkommissare redlich verdient gemacht. Wie in Athen scheint auch in Lissabon die Abkehr vom neoliberalen Dogma und der davon ausgehenden sozialen Deklassierung mehrheitsfähig und regierungsrelevant zu sein – eine Ermutigung für Podemos genau einen Monat vor den Parlamentswahlen in Spanien.
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