Laus im Pelz

Solidarität Noch streiten die EU-Finanzminister über Corona-Bonds. Es wird sich zeigen, ob die Staatenunion bei der Krisenabwehr „systemrelevant" ist
Bisher hinterlässt die EU im Umgang mit Corona einen recht verlorenen Eindruck
Bisher hinterlässt die EU im Umgang mit Corona einen recht verlorenen Eindruck

Foto: Isabel Infantes/AFP/Getty Images

Bröckelt die Front gegen „Zukunfts-“, „Solidaritäts-“ oder eben „Corona-Bonds“ – oder hat sie Bestand? Soeben hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärt, Europa müsse Handlungsfähigkeit beweisen, „allerdings momentan ohne Einführung von Eurobonds“. Was heißt „momentan“? Wäre man strikt dagegen, hätte es heißen können, „allerdings nicht durch die Einführung von Eurobonds“.

Sich nicht endgültig festzulegen, heißt abwarten und abwägen, wie lange die Pandemie noch dauert und in welchem Maße die Volkswirtschaften der Eurozone geschädigt werden. Nur dürfte fraglos feststehen, je mehr sich Staaten wie Italien, Spanien und Frankreich mit ihren Forderungen zurückgewiesen wissen, desto nachhaltiger werden sie sich brüskiert fühlen. Zumal die politische Hintergrundmusik ihren Teil zum dissonanten Verhältnis gegenüber Deutschland beiträgt, wenn gerade jetzt der Eindruck erweckt wird: Wer redlich und sparsam gewirtschaftet hat, ist eben krisenresistenter als andere und kann dafür nicht zu seinem Nachteil in Haftung genommen werden.

In welcher Welt lebt die FDP?

Feststeht, auch im Fall von „Corona-Bonds“ blieben natürlich die Gesamtschulden Italiens oder Frankreichs mit derzeit 135 bzw. 99 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Verbindlichkeiten dieser Staaten – und nur dieser Staaten. Dafür müssen sie allein aufkommen und allein nach Wegen der Refinanzierung suchen. Nur wie sie das tun und zu welchem Preis ihnen das am Finanzmarkt gelingt, kann durch kollektive Bonds beeiflusst, mutmaßlich erleichtert werden.

Man setzt sich aber mit diesen Anleihen keine Laus in den Pelz, die dort auf unabsehbare Zeit nistet. Die Gesamtschulden etwa Italiens werden auch durch gemeinsame Anleihen nicht auf Deutschland oder die Niederlande übertragen. Sie würden vielmehr „mitgetragen“, wenn z.B. nach dem Ende einer akuten Phase der Corona-Krise Anleihen für ein Wiederaufbauprogramm zu tragbaren Zinskonditionen gebraucht würden, wie das Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire mit seinem Vorschlag zeitlich befristeter Bonds angeregt hat.

Insofern ist es sachlich nicht gerechtfertigt, sich des Totschlagarguments zu bedienen, es gäbe eine „Vergemeinschaftung von Schulden“, und mit diesem Kampfbegriff die ideologische Haftungsgrenze vor sich her zu treiben, wie das die FDP zustande bringt, wenn sie durch ihre Generalsekretärin Teuteberg mitteilen lässt: „Corona-Bonds würden aber bedeuten, Handeln und Haften zu trennen in Europa, dauerhaft die Stabilitätsarchitektur nachteilig zu verändern und Fehlanreize für übermäßige Verschuldung zu geben.“

Man fragt sich, in welcher Welt die Partei lebt. Welche „Fehlanreize“ sollten das im Augenblick sein? Der Zwang, sich mit mehr und besserem medizinischem Equipment auszurüsten, um Menschenleben zu retten? Das Gebot des staatliche Beistands, um Unternehmen vor dem Ruin zu bewahren? Die soziale Mindestnorm, Hilfe für Menschen zu ermöglichen, die innerhalb kürzester Zeit jedes Einkommen verlieren? Die Notwendigkeit, Vorkehrungen zu treffen, damit irgendwann ein gewisses Maß an ökonomischer Leistungskraft zurückgewonnen wird?

Bankenrettung in Deutschland

Und wenn schon bei Schulden von „Vergemeinschaftung“ die Rede ist – wie war das bei der Bankenrettung in Deutschland während der 2009 ausgebrochenen Finanzkrise? Was geschah mit den schwer ins Straucheln geratenen Häusern Commerzbank und Hypo Real Estate, um nur die ganz schweren Fälle zu nennen?

Diese seinerzeit faktisch illiquiden, aber als „systemrelevant“ eingestuften Institute erhielten staatliche Garantiezusagen in dreistelliger Milliardenhöhe und wurde durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin) gestützt, einen Extrahaushalt des Bundes, der wiederum staatliche Finanzgeber wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau einbezog. Das heißt, der Staat bürgte – vorzugsweise mit Steuergeldern seiner Bürger – für den Erhalt privater Finanzunternehmen. Deren Verluste fielen der gesamten Gesellschaft zur Last und wurden quasi „vergemeinschaftet“.

Und dieses Label galt nicht allein für den Ressourceneinsatz. Denn je höher das Staat sich deshalb selbst verschulden musste, desto stärker hatten das die Bürger auch durch ein in der Konsequenz vermindertes staatliches Leistungsvermögen mitzutragen – sei es bei den Sozialleistungen, den öffentlichen Investitionen oder anderen Ausgaben. Wie wurde da hierzulande „Stabilitätsarchitektur“ nachteilig verändert?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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