Ohne Bonds steigen die moralischen Schulden

Coronakrise Wenn die Solidarität mit anderen EU-Staaten jetzt ausbleibt, kann das vereinte Europa getrost abdanken
Ausgabe 14/2020
Eine Mitarbeiterin im Krisenmanagementzentrum der EU in Brüssel beobachtet den Verlauf der Corona-Pandemie
Eine Mitarbeiterin im Krisenmanagementzentrum der EU in Brüssel beobachtet den Verlauf der Corona-Pandemie

Foto: Aris Oikonomou/AFP/Getty Images

Was liegt näher, als bei über 1.000 Corona-Toten pro Tag in Italien, Frankreich und Spanien auf dieses Maximum an Not und Leid mit einem Optimum an Hilfe zu reagieren? Es würde dadurch in Deutschland kein Arzt abgezogen, kein Krankenhausbett weniger verfügbar sein, kein Test entfallen. Dieses Optimum verlangt neben anderem die Bereitschaft zu gemeinsamen Anleihen der Euroländer, damit die Corona-bedingte Schuldenaufnahme schwer heimgesuchter Staaten nicht deren finanziellen Kollaps provoziert. Der Kollaps droht, wenn die Zinsen für eine unvermeidliche Kreditaufnahme am Kapitalmarkt derart steigen, dass ein Staatsbankrott nicht mehr auszuschließen ist. Er kann eintreten, wenn die Kreditwürdigkeit abhandenkommt, wie das Griechenland 2010 unter etwas anderen Umständen widerfahren ist.

Durch Corona-Bonds, die alle Eurostaaten als Sicherheit für einzelne oder mehrere Eurostaaten zeichnen, wäre das aufzuhalten. Deutschland mit seiner hohen Bonität käme Italien mit einer vergleichsweise schlechten Bonität zu Hilfe. Weil deutsche Anleihen am Kapitalmarkt begehrt sind, hätte das eine zinsdämpfende Wirkung. Um das zu bewirken, müsste freilich ein Dogma geopfert werden, das die Regierungen Angela Merkels während der zurückliegenden Eurokrise im Verein mit den Niederlanden und Österreich wie eine Monstranz vor sich hertrugen – die Maxime des „No Bailout“. Danach darf ein Euroland nicht für das andere haften.

Würde diesem Prinzip abgeschworen, hieße das nicht mehr und nicht weniger als: Die Gläubiger gehen mit dem – natürlich schon vor der Corona-Krise – hochverschuldeten Italien schonender um, wenn sie sich notfalls an Deutschland halten können. Insofern sind kollektive Bonds ein Signal und Symbol gleichermaßen für „uneingeschränkte Solidarität“, wie sie von einer Bundesregierung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schon einmal gegenüber den USA bekundet und als militärischer Beistand in Afghanistan abgerufen wurde.

Bleibt jetzt vergleichbarer Bekennermut gegenüber Italienern, Franzosen und Spaniern aus, kann das vereinte Europa getrost abdanken. Nach der Pandemie, wie dieses „Danach“ auch immer aussehen mag, dürfte eine seit Längerem unverkennbare Erosion in Zerfall übergehen. Erweist sich die Staatenunion in diesem Moment nicht als Solidargemeinschaft, wird ihre Zukunft bestenfalls in der einer Freihandelszone bestehen. Europa erfasst kein konjunktureller Einbruch, keine Rezession, keine Haushaltskrise, sondern ein Zustand des Schocks und der Lähmung. Er setzt Wirtschaften außer Kraft, die ihren Gesellschaften verlorenzugehen drohen. Da sind Corona-Bonds ein Versprechen, dass zumindest versucht wird, ein Jahre dauerndes ökonomisches Dahinsiechen zu verhindern. Daher ist Deutschland nicht nur zur Finanzsolidarität mit seinen Partnern aufgefordert, sondern zur Solidarität mit sich selbst, weil es die Liquidität und den Markt dieser Partner braucht. Hilf anderen, zu überleben, und du hilfst dir selbst. Wo sollte das mehr zutreffen als in der EU, die als konzertierte Aktion der Volkswirtschaften immer noch am besten funktioniert hat?

Im Übrigen hat es ihn schon gegeben, den Sünden- oder eben Präzedenzfall. Mit gemeinsamen Anleihen wurde 1975 reagiert, als die Ölkrise einigen Mitgliedsstaaten im Süden der damaligen Europäischen Gemeinschaft, des Vorläufers der EU, zu schaden drohte. Die Bundesrepublik Deutschland wollte es seinerzeit vermeiden, abseitszustehen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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