Was liegt näher, als bei über 1.000 Corona-Toten pro Tag in Italien, Frankreich und Spanien auf dieses Maximum an Not und Leid mit einem Optimum an Hilfe zu reagieren? Es würde dadurch in Deutschland kein Arzt abgezogen, kein Krankenhausbett weniger verfügbar sein, kein Test entfallen. Dieses Optimum verlangt neben anderem die Bereitschaft zu gemeinsamen Anleihen der Euroländer, damit die Corona-bedingte Schuldenaufnahme schwer heimgesuchter Staaten nicht deren finanziellen Kollaps provoziert. Der Kollaps droht, wenn die Zinsen für eine unvermeidliche Kreditaufnahme am Kapitalmarkt derart steigen, dass ein Staatsbankrott nicht mehr auszuschließen ist. Er kann eintreten, wenn die Kreditwürdigkeit abhandenkommt, wie das Griechenland 2010 unter etwas anderen Umständen widerfahren ist.
Durch Corona-Bonds, die alle Eurostaaten als Sicherheit für einzelne oder mehrere Eurostaaten zeichnen, wäre das aufzuhalten. Deutschland mit seiner hohen Bonität käme Italien mit einer vergleichsweise schlechten Bonität zu Hilfe. Weil deutsche Anleihen am Kapitalmarkt begehrt sind, hätte das eine zinsdämpfende Wirkung. Um das zu bewirken, müsste freilich ein Dogma geopfert werden, das die Regierungen Angela Merkels während der zurückliegenden Eurokrise im Verein mit den Niederlanden und Österreich wie eine Monstranz vor sich hertrugen – die Maxime des „No Bailout“. Danach darf ein Euroland nicht für das andere haften.
Würde diesem Prinzip abgeschworen, hieße das nicht mehr und nicht weniger als: Die Gläubiger gehen mit dem – natürlich schon vor der Corona-Krise – hochverschuldeten Italien schonender um, wenn sie sich notfalls an Deutschland halten können. Insofern sind kollektive Bonds ein Signal und Symbol gleichermaßen für „uneingeschränkte Solidarität“, wie sie von einer Bundesregierung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schon einmal gegenüber den USA bekundet und als militärischer Beistand in Afghanistan abgerufen wurde.
Bleibt jetzt vergleichbarer Bekennermut gegenüber Italienern, Franzosen und Spaniern aus, kann das vereinte Europa getrost abdanken. Nach der Pandemie, wie dieses „Danach“ auch immer aussehen mag, dürfte eine seit Längerem unverkennbare Erosion in Zerfall übergehen. Erweist sich die Staatenunion in diesem Moment nicht als Solidargemeinschaft, wird ihre Zukunft bestenfalls in der einer Freihandelszone bestehen. Europa erfasst kein konjunktureller Einbruch, keine Rezession, keine Haushaltskrise, sondern ein Zustand des Schocks und der Lähmung. Er setzt Wirtschaften außer Kraft, die ihren Gesellschaften verlorenzugehen drohen. Da sind Corona-Bonds ein Versprechen, dass zumindest versucht wird, ein Jahre dauerndes ökonomisches Dahinsiechen zu verhindern. Daher ist Deutschland nicht nur zur Finanzsolidarität mit seinen Partnern aufgefordert, sondern zur Solidarität mit sich selbst, weil es die Liquidität und den Markt dieser Partner braucht. Hilf anderen, zu überleben, und du hilfst dir selbst. Wo sollte das mehr zutreffen als in der EU, die als konzertierte Aktion der Volkswirtschaften immer noch am besten funktioniert hat?
Im Übrigen hat es ihn schon gegeben, den Sünden- oder eben Präzedenzfall. Mit gemeinsamen Anleihen wurde 1975 reagiert, als die Ölkrise einigen Mitgliedsstaaten im Süden der damaligen Europäischen Gemeinschaft, des Vorläufers der EU, zu schaden drohte. Die Bundesrepublik Deutschland wollte es seinerzeit vermeiden, abseitszustehen.
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